Mittelschwaebische Nachrichten
Twitter und Facebook fehlt eine klare Linie
Im Kampf gegen Fake News und Hass spielen die sozialen Netzwerke keine überzeugende Rolle – gerade, wenn es um Donald Trump geht
Kurz vor der Präsidentschaftswahl hatte Donald Trump noch einmal schwere Geschütze aufgefahren: Joe Biden sei gekauft und bezahlt von den großen Technologieunternehmen, den Medienhäusern, Spendern und Einflussnehmern mit „starken Spezialinteressen“, schrieb der USPräsident an die fast 88 Millionen Nutzer, die ihm auf Twitter folgen. Trump wiederholte damit einen Vorwurf, den er seit seiner Amtsübernahme immer wieder formuliert hat: Es gäbe eine Verschwörung von großen Medien, einflussreichen Menschen und Tech-Unternehmen gegen ihn. Besonders das liberale Silicon Valley mit seinen milliardenschweren Facebooks, Twitters, Amazons und Googles hat er im Fokus. Sie seien „Feinde des Volkes“. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.
Zum einen weiß Donald Trump um die Wichtigkeit dieser Zukunftstreiber. Er braucht sie im Kampf um die globale Vorherrschaft im Internet und er weiß: Wer das Netz dominiert, dominiert die Welt. Deshalb möchte er etwa vermeiden, dass ausländische ChatProgramme, Computerspiele oder Shopping-Dienste in den USA ausgerollt und zum Abschöpfen von Daten der Bürger eingesetzt werden. Das sollen wenn dann bitte schön Unternehmen aus dem eigenen Land tun. Zum Zweiten setzt
Trump gerade Twitter als sein wohl mächtigstes (und günstigstes) Mobilisierungsinstrument ein. Mit seinen Kurznachrichten macht er dort Politik, erzeugt Stimmung, beleidigt, verängstigt, motiviert und polemisiert nahezu rund um die Uhr. Wenn Trump twittert, hat das reale Folgen. Selbst große US-Medien bekommen Informationen von nationaler Tragweite zuerst über die Social-Media-Kanäle des Präsidenten mit. So auch am Mittwochmorgen, als Trump den Demokraten via Twitter vorwarf, die Wahl „stehlen“zu wollen. Kein neuer, aber durch seine permanente Wiederholung nicht minder krasser Vorwurf. Twitter und Facebook markierten die Botschaft mit einem Warnhinweis:
„Einige oder alle der Inhalte, die in diesem Tweet geteilt werden, sind umstritten und möglicherweise irreführend in Bezug auf die Beteiligung an einer Wahl oder einem anderen staatsbürgerlichen Prozess“, begründete Twitter den Hinweis.
Die Markierung wäre für die meisten Politiker eine Blamage. Dem US-Präsidenten ist sie wahrscheinlich recht egal. Denn: Zahlreiche ähnliche Tweets und Facebook-Posts des US-Präsidenten blieben ohne Markierung. Die Mobilisierung läuft weiter.
Diese Widersprüchlichkeit im Umgang mit Hass und Fake News ist ein Phänomen, das viele Experten seit Jahren besorgt: Die großen Technologieunternehmen suchen eine klare Linie. Hier eine Löschtruppe, da ein halb gares Eintreten für Wahrhaftigkeit und demokratische Prinzipien: Meist fehlt die konkrete Übersetzung in Handlungen und die Nachvollziehbarkeit. Was wann von wem warum gelöscht wird oder eben auch nicht – vieles bleibt im Abstrakten. Das macht die Netzwerke angreifbar – auch vom Präsidenten.
Twitter und Facebook müssen klarmachen, was genau sie meinen mit ihrem Engagement gegen Hass und Fake News. Und sie müssen verdeutlichen, wie sie ihr Hausrecht bei Akteuren gleich welcher Couleur durchsetzen. Nicht nur rund um eine US-Wahl. Und auch nicht nur gegen Trump.