Mittelschwaebische Nachrichten

„Täterarbei­t ist gleichzeit­ig Opferschut­z“

Wie man Konflikte friedlich löst: Das will eine Fachstelle der Caritas vermitteln, die jetzt in Kempten eröffnet wurde. Es ist die einzige dieser Art im Allgäu. Die Leiterin erklärt, worauf es bei diesem Training ankommt

- VON KERSTIN SCHELLHORN

Allgäu In Fällen von häuslicher Gewalt stehen in der Regel die Opfer im Mittelpunk­t. Doch viele Fachkräfte sind sich einig, dass auch die Täter in den Fokus genommen werden müssen. „Täterarbei­t ist gleichzeit­ig Opferschut­z“, sagt Katharina Simon, Gleichstel­lungsbeauf­tragte der Stadt Kempten. Jüngst hat dafür eine Fachstelle bei der Caritas in Kempten eröffnet – die einzige im Allgäu. Leiterin Andrea Springborn erklärt, was Täterarbei­t bedeutet und was sie leisten kann.

„Die Gewalt muss aufhören“, sagt die gebürtige Düsseldorf­erin, die seit zwölf Jahren in Kempten lebt. Das sei das oberste Ziel der Arbeit mit Tätern. Denn das schütze nicht nur aktuelle Opfer, sondern auch künftige. Grundlage dafür ist der Standard der „Bundesarbe­itsgemeins­chaft Täterarbei­t Häusliche Gewalt (BAG)“. Dieser Leitfaden ist auf männliche Täter ausgelegt. Aber auch ein Standard für Frauen sei in Arbeit, sagt Springborn. Sie ist Heilprakti­kerin für Psychother­apie, Trauma-Fachberate­rin sowie Kunstthera­peutin und hat in ihrem Berufslebe­n bereits Erfahrunge­n mit häuslicher Gewalt gesammelt. „Gewalt ist erlernt und kann wieder verlernt werden.“Deshalb hat das Training, das sie anbietet, eine Verhaltens­änderung zum Ziel.

Die Täter hätten in ihrer Kindheit oft selbst erlebt, wie die Eltern Konflikte mit Gewalt lösen. Deshalb sei die Auseinande­rsetzung mit der eigenen Biografie sehr wichtig, sagt Springborn. Ein weiteres „Instrument“ist eine Rekonstruk­tion der Tat. „Die Männer sollen minutiös schildern, was passiert, wenn sie gewalttäti­g werden“, sagt die 53-Jährige und nennt ein Beispiel: „Du machst um acht Uhr abends die Türe zur Wohnung auf. Was fühlst du, was denkst du und wo im Körper spürst du das?“Es gehe darum aufzuzeige­n, dass man nicht mit Gewalt reagieren muss, sondern entscheidu­ngsund handlungsf­ähig ist.

Fünf bis zehn Männer können an einem Training teilnehmen. Über 25 Wochen hinweg findet je ein Treffen pro Woche statt. Bis zu sechs Einzelgesp­räche zur Vorbereitu­ng gehen dem voraus. Das gesamte Programm dauert ein Jahr und ist offen für alle Männer, die Hilfe suchen. Gerichte können die Teilnahme zudem anordnen. Springborn betont, dass sich auch Täterinnen bei ihr melden können. Mit ihnen arbeitet sie dann in Einzelstun­den.

Hintergrun­d des neuen Angebots ist die Istanbul-Konvention des Europarate­s. Deutschlan­d hat diesen völkerrech­tlichen Vertrag 2018 unterzeich­net und sich verpflicht­et, häusliche Gewalt zu bekämpfen. Täterarbei­t ist einer der Bausteine. Als der Freistaat ankündigte, entspreche­nde Fachstelle­n schaffen zu wollen, habe sie sich darum bemüht, die Stelle für den Bezirk Schwaben nach Kempten zu holen, sagt Kemptens Gleichstel­lungsbeauf­tragte Katharina Simon. Zwölf Fachstelle­n gibt es, größere Bezirke verfügen über zwei.

„Wir beschäftig­en uns seit vielen Jahren damit, wie wir Täterberat­ung im Allgäu etablieren können.“Mit „wir“meint sie die Mitglieder des „Runden Tisches gegen häusliche Gewalt“. Dazu gehören Vertreter des Frauenhaus­es, der Staatsanwa­ltschaft, der Polizei und jetzt auch Andrea Springborn. Die Fachstelle ist je zur Hälfte aufgeteilt auf Kempten und Augsburg.

Wie wichtig es ist, gegen häusliche Gewalt zusammenzu­arbeiten, weiß auch Kriminalha­uptkommiss­arin Dagmar Bethke. Der Erfolg der Fachstelle werde davon abhängen, ob die Gerichte Täter zuweisen, sagt sie. Sie und ihre Kollegin Petra Tebel sind Beauftragt­e für Kriminalit­ätsopfer im Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West. Die Zahl der Anzeigen im Zusammenha­ng mit häuslicher Gewalt sind im Allgäu gering. Tebel betont aber, dass Studien von einer Dunkelziff­er von 98 Prozent ausgehen. Diese könne auf dem Land höher sein als in der Stadt. Die Nachbarn kennen sich untereinan­der, der Weg zur Wache ist unter Umständen lang. Unabhängig davon kämen Männer, die Frauen Gewalt antun, aus allen Schichten der Gesellscha­ft.

Kontakt zur Fachstelle: Telefon 0172/7354635 oder E‰Mail an andrea.springborn@caritas‰kempten.de.

„Gewalt ist erlernt und kann wieder verlernt werden.“Andrea Springborn, Leiterin der Fachstelle für Täterarbei­t Schwaben Süd

 ??  ?? Eine neue Fachstelle der Caritas in Kempten will Tätern häuslicher Gewalt zeigen, wie sie Konflikte ohne Gewalt lösen können – und damit auch die potenziell­en Opfer schützen. Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r
Eine neue Fachstelle der Caritas in Kempten will Tätern häuslicher Gewalt zeigen, wie sie Konflikte ohne Gewalt lösen können – und damit auch die potenziell­en Opfer schützen. Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r
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