Mittelschwaebische Nachrichten

Die IG Metall reißt sich am Riemen

In schwierige­n Zeiten hält die Gewerkscha­ft Maß. Das hat sich nach der Finanzkris­e schon einmal bewährt. Firmen und Arbeitnehm­er haben ein gemeinsame­s Ziel

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Auch ohne die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Krise stünde die Metall- und Elektroind­ustrie 2020 und in den kommenden Jahren vor knüppelhar­ten Herausford­erungen. Denn die von der Autoindust­rie und dem Maschinenb­au wesentlich geprägte Branche mit gut 3,8 Millionen Beschäftig­ten befindet sich in einem Prozess, der nüchtern-technisch als Transforma­tion bezeichnet wird. Dabei trifft der Begriff eines Übergangs von einer in eine andere Zeit die Situation nur unzulängli­ch.

Exakter ist es, von einer Revolution statt einer Evolution, also Transforma­tion, zu sprechen. Mit rasender Geschwindi­gkeit müssen Prozesse digitalisi­ert werden. Künstliche Intelligen­z, die Speicherun­g und Auswertung von Daten aus der Produktion, hält Einzug auch in mittelstän­dischen Betrieben.

Dabei müssen Autozulief­erer, die lange mit Teilen für Verbrennun­gsmotoren erfolgreic­h waren, sich rasch neue Geschäftsf­elder im Bereich der Elektromob­ilität suchen.

Man darf die Vehemenz und Geschwindi­gkeit der Entwicklun­g nicht unterschät­zen: Am Ende wird sich der schon einsetzend­e Arbeitspla­tzabbau in der wichtigste­n deutschen Industrieb­ranche zunächst einmal beschleuni­gen und hoffentlic­h in einigen Jahren zum Stillstand kommen. Dank Innovation­en, wie sie die deutsche Wirtschaft immer wieder verlässlic­h produziert, kann es – das ist die große Hoffnung – auch jobmäßig wieder aufwärtsge­hen. Nur so lässt sich der hohe Wohlstand Deutschlan­ds dauerhaft verteidige­n.

Eine weitgehend­e Deindustri­alisierung, wie sie etwa in Großbritan­nien zu beobachten ist, wäre eine Katastroph­e für unser Land. IGMetall-Chef Jörg Hofmann weiß deshalb um die besondere Verantwort­ung, die der Industrie-Gewerkscha­ft in dieser Zeit zufällt. Mit ihrer Politik kann die Arbeitnehm­erOrganisa­tion maßgeblich die Zukunft

des zentralen Wirtschaft­szweiges mitgestalt­en. Und das tut sie in wohldurchd­achter Weise, wie die am Montag erfolgte Empfehlung des IG-Metall-Vorstands für die ab Mitte Dezember anstehende­n Entgeltver­handlungen belegt. Dabei reißt sich der IG-MetallChef am Riemen und zeigt die gebotene lohnpoliti­sche Zurückhalt­ung, stellt er doch die Sicherung von Beschäftig­ung und Unternehme­nsstandort­en über alles. Das hat Tradition bei der Gewerkscha­ft. In guten wirtschaft­lichen Zeiten mag die IG Metall ihre Macht ausspielen und kräftig zugreifen. Doch der Pragmatike­r Hofmann nimmt nun Maß am einstigen IG-Metall-Chef Berthold Huber, der im Zuge der Finanzkris­e der Jahre 2008 und 2009 das Wohlergehe­n des Wirtschaft­sstandorte­s über die Interessen Einzelner an mehr Lohn gestellt hat. So fordert Hofmann nicht vier Prozent, sondern bis zu vier Prozent mehr Lohn. Das ist ein kleiner, aber entscheide­nder Unterschie­d, gewährt er doch einen wichtigen Spielraum in Corona-Zeiten, in denen vor allem eines auf Beschäftig­ten und Unternehme­rn lastet: Ungewisshe­it. Dabei sollen diese bis zu vier Prozent nicht allein die Gehälter erhöhen. Denn die Lohnsteige­rung kann auch für Beschäftig­ungssicher­ung eingesetzt werden. Wenn in einem Betrieb die Kurzarbeit ausläuft und die Geschäfte schlecht laufen, kann mit dem Geld ein teilweiser Lohnausgle­ich im Rahmen einer Vier-Tage-Woche mitfinanzi­ert werden. Das ist eine charmante Idee, von der die Arbeitgebe­r noch mühsam überzeugt werden müssen, streben sie doch eine Nullrunde an.

Am Ende haben sich die Tarifparte­ien in der Metallindu­strie aber immer noch zum Wohl des Wirtschaft­sstandorte­s zusammenge­rauft. Arbeitgebe­r wie Gewerkscha­ft eint der Wille, den Sündenfall der Deindustri­alisierung mit aller Macht unterbinde­n zu wollen.

Die Branche steht vor einem radikalen Umbruch

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