Mittelschwaebische Nachrichten
Die IG Metall reißt sich am Riemen
In schwierigen Zeiten hält die Gewerkschaft Maß. Das hat sich nach der Finanzkrise schon einmal bewährt. Firmen und Arbeitnehmer haben ein gemeinsames Ziel
Auch ohne die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise stünde die Metall- und Elektroindustrie 2020 und in den kommenden Jahren vor knüppelharten Herausforderungen. Denn die von der Autoindustrie und dem Maschinenbau wesentlich geprägte Branche mit gut 3,8 Millionen Beschäftigten befindet sich in einem Prozess, der nüchtern-technisch als Transformation bezeichnet wird. Dabei trifft der Begriff eines Übergangs von einer in eine andere Zeit die Situation nur unzulänglich.
Exakter ist es, von einer Revolution statt einer Evolution, also Transformation, zu sprechen. Mit rasender Geschwindigkeit müssen Prozesse digitalisiert werden. Künstliche Intelligenz, die Speicherung und Auswertung von Daten aus der Produktion, hält Einzug auch in mittelständischen Betrieben.
Dabei müssen Autozulieferer, die lange mit Teilen für Verbrennungsmotoren erfolgreich waren, sich rasch neue Geschäftsfelder im Bereich der Elektromobilität suchen.
Man darf die Vehemenz und Geschwindigkeit der Entwicklung nicht unterschätzen: Am Ende wird sich der schon einsetzende Arbeitsplatzabbau in der wichtigsten deutschen Industriebranche zunächst einmal beschleunigen und hoffentlich in einigen Jahren zum Stillstand kommen. Dank Innovationen, wie sie die deutsche Wirtschaft immer wieder verlässlich produziert, kann es – das ist die große Hoffnung – auch jobmäßig wieder aufwärtsgehen. Nur so lässt sich der hohe Wohlstand Deutschlands dauerhaft verteidigen.
Eine weitgehende Deindustrialisierung, wie sie etwa in Großbritannien zu beobachten ist, wäre eine Katastrophe für unser Land. IGMetall-Chef Jörg Hofmann weiß deshalb um die besondere Verantwortung, die der Industrie-Gewerkschaft in dieser Zeit zufällt. Mit ihrer Politik kann die ArbeitnehmerOrganisation maßgeblich die Zukunft
des zentralen Wirtschaftszweiges mitgestalten. Und das tut sie in wohldurchdachter Weise, wie die am Montag erfolgte Empfehlung des IG-Metall-Vorstands für die ab Mitte Dezember anstehenden Entgeltverhandlungen belegt. Dabei reißt sich der IG-MetallChef am Riemen und zeigt die gebotene lohnpolitische Zurückhaltung, stellt er doch die Sicherung von Beschäftigung und Unternehmensstandorten über alles. Das hat Tradition bei der Gewerkschaft. In guten wirtschaftlichen Zeiten mag die IG Metall ihre Macht ausspielen und kräftig zugreifen. Doch der Pragmatiker Hofmann nimmt nun Maß am einstigen IG-Metall-Chef Berthold Huber, der im Zuge der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 das Wohlergehen des Wirtschaftsstandortes über die Interessen Einzelner an mehr Lohn gestellt hat. So fordert Hofmann nicht vier Prozent, sondern bis zu vier Prozent mehr Lohn. Das ist ein kleiner, aber entscheidender Unterschied, gewährt er doch einen wichtigen Spielraum in Corona-Zeiten, in denen vor allem eines auf Beschäftigten und Unternehmern lastet: Ungewissheit. Dabei sollen diese bis zu vier Prozent nicht allein die Gehälter erhöhen. Denn die Lohnsteigerung kann auch für Beschäftigungssicherung eingesetzt werden. Wenn in einem Betrieb die Kurzarbeit ausläuft und die Geschäfte schlecht laufen, kann mit dem Geld ein teilweiser Lohnausgleich im Rahmen einer Vier-Tage-Woche mitfinanziert werden. Das ist eine charmante Idee, von der die Arbeitgeber noch mühsam überzeugt werden müssen, streben sie doch eine Nullrunde an.
Am Ende haben sich die Tarifparteien in der Metallindustrie aber immer noch zum Wohl des Wirtschaftsstandortes zusammengerauft. Arbeitgeber wie Gewerkschaft eint der Wille, den Sündenfall der Deindustrialisierung mit aller Macht unterbinden zu wollen.
Die Branche steht vor einem radikalen Umbruch