Mittelschwaebische Nachrichten

Die neue Herzlichke­it

Mit der Wahl von Biden verbinden sich Hoffnungen auf eine Normalisie­rung der Beziehunge­n zu den USA. Die Regierung sollte sich aber beeilen, mahnen die Grünen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Im diplomatis­chen Geschäft sind manchmal die Dinge interessan­t, die nicht gesagt werden. Als Bundeskanz­lerin Angela Merkel am 9. November 2016 auf die Wahl von Donald Trump reagierte, tat sie das mit der nüchternen Formel: „Sehr geehrter Herr Trump, zu Ihrer Wahl zum Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten von Amerika gratuliere ich Ihnen.“Es fehlte eine Höflichkei­tsformel, die die Kanzlerin schon beim Amtsantrit­t von Barack Obama verwendete und die sie am 9. November 2020 auch einfügte: „Ich gratuliere Joe Biden ganz herzlich zu seiner Wahl zum 46. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten von Amerika.“Diese „Herzlichke­it“, sie soll in den transatlan­tischen Beziehunge­n der Zukunft den Unterschie­d ausmachen. Bidens Sieg ist aufseiten der deutschen Diplomatie mit großen Hoffnungen verbunden.

„Es gab bisher seitens des Oval Office bestenfall­s eine große Ignoranz gegenüber Deutschlan­d. Wir haben ja sogar erlebt, dass Deutschlan­ds Bild in der Welt vom Präsidente­n verunglimp­ft wurde“, blickt der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Omid Nouripour kritisch auf fast vier Jahre Trump zurück. Der Außenexper­te ist unter anderem Vize

der Parlamenta­riergruppe USA im Bundestag, er gehört den Vorständen der Atlantikbr­ücke und der Deutschen Atlantisch­en Gesellscha­ft an. Ein Ausdruck des amerikanis­chen Desinteres­ses sei gewesen, dass Deutschlan­d seit Trumps Amtsantrit­t die meiste Zeit ohne einen amerikanis­chen Botschafte­r habe auskommen müssen, sagte Nouripour unserer Redaktion und ergänzte: „Das sagt sehr viel aus, dieser Vorgang.“

Mit dem neuen Präsidente­n soll sich das alles grundlegen­d ändern, wie auch die Kanzlerin hofft. „Joe Biden bringt die Erfahrung aus Jahrzehnte­n in der Innen- wie in der Außenpolit­ik mit“, sagte die CDUPolitik­erin bei einem Statement im Kanzleramt. „Er kennt Deutschlan­d und Europa gut. Ich erinnere mich gerne an gute Begegnunge­n und Gespräche mit ihm“, erklärte Merkel.

Nouripour sieht das ähnlich. „Jetzt kommt einer, der sich wieder für uns interessie­rt, der uns kennt“, sagte er. Ob es allerdings für die sofortige Verbesseru­ng der deutschame­rikanische­n Beziehunge­n reicht, scheint fraglich. „Die größte Aufgabe für die neue amerikanis­che Regierung wird das Zusammenfü­hren des Landes sein. Es geht dabei um soziale Fragen, um die Corona-Pandemie und den Rassismus“, sagte der außenpolit­ische Sprecher der Grünen. Das seien handfeste Gründe für die Annahme, „dass die Amerikaner in erster Linie mit sich selbst beschäftig­t sein werden in den nächsten Jahren.“Eine ähnliche Einschätzu­ng hatte am Sonntag auch Unionsfrak­tionsvize Johann Wadephul (CDU) geäußert.

Merkel bot Washington erneut an, dass Deutschlan­d und die EU „in dieser Partnersch­aft im 21. Jahrhunder­t mehr eigene Verantwort­ung übernehmen“. Amerika erwarte „von uns – und dies zu Recht – stärkere eigene Anstrengun­gen, um für unsere Sicherheit zu sorgen und in der Welt für unsere Überzeugun­gen einzutrete­n“.

Nouripour riet, mit dieser Positionie­rung nicht zu lange zu warten. Es wäre angesichts der drei großen internatio­nalen Baustellen Handel, Klima sowie Außen- und Sicherheit­spolitik „von großer Bedeutung, wenn die Europäer jetzt nicht erst einmal monatelang warten, bis die Biden-Administra­tion uns erklärt hat, was sie sich vorstellt, sondern selber mit konkreten Vorschläge­n für eine Kooperatio­n auf den Markt gehen“, forderte er. Dies wäre auch ein Zeichen, „dass wir den Weckruf gehört haben und mehr für uns selbst stehen wollen“.

Ein bisschen Zeit haben die Divorsitze­nder plomaten dies- und jenseits des Atlantiks noch, um sich auf die neue Herzlichke­it einzustell­en. Biden soll am 20. Januar vereidigt werden, vorher kann es keine offizielle­n Absprachen geben, wie eine Sprecherin des Auswärtige­n Amtes am Montag erklärte.

Allerdings waren die diplomatis­chen Kanäle nie komplett zu. Weder Trump konnte das verhindern noch die Corona-Pandemie, die das Reisen erschwerte. „Wir hatten gerade in den letzten Monaten extrem viel Austausch mit den amerikanis­chen Kolleginne­n und Kollegen über digitale Foren. Der Kontakt ist ja nicht abgerissen“, sagte Nouripour. Es sei natürlich etwas anderes, wenn man in Washington sei und dort auch die Stimmung spüre. „Aber der fehlende Austausch war nicht das Problem. Das Problem war das fehlende Interesse im Weißen Haus selbst.“

Merkel erklärte, sie freue sich auf die Zusammenar­beit mit Biden und US-Vizepräsid­entin Kamala Harris. Beiden wünschte die Regierungs­chefin „Kraft, Erfolg und Gottes Segen“. Bei Trump hatte sich auch das weniger zuversicht­lich angehört. Offenbar in Kenntnis seiner politische­n Fähigkeite­n wünschte Merkel dem Präsidente­n seinerzeit „eine glückliche Hand“.

 ?? Archivfoto: dpa, Maurizio Gambarini ?? Angela Merkel kennt Joe Biden schon lange: 2013 war er etwa als Vizepräsid­ent unter Barack Obama zu Gast in Berlin.
Archivfoto: dpa, Maurizio Gambarini Angela Merkel kennt Joe Biden schon lange: 2013 war er etwa als Vizepräsid­ent unter Barack Obama zu Gast in Berlin.

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