Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Präsident im permanente­n Krisenmodu­s

Emmanuel Macron beschwört den Geist von Charles de Gaulle, um die verunsiche­rten Franzosen zu einen

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Was hätte Charles de Gaulle in einer Krisensitu­ation wie der heutigen getan? Der längst lagerüberg­reifend verehrte Mann verkörpert­e durch seinen „Aufruf des 18. Juni 1940“den politische­n Widerstand Frankreich­s gegen die Kollaborat­ion mit Nazi-Deutschlan­d. Später initiierte er die Fünfte Republik, deren Verfassung dem Staatschef weitreiche­nde Macht einräumt. Charles de Gaulle hätte wohl die „Einheit der Nation“beschworen. So wie es einige Generation­en später sein Nachfolger Emmanuel Macron tut – wie um etwas vom Glanz de Gaulles auf sich zu lenken.

„Widerstand­sfähigkeit und Willen. Dieser Geist wurde von Charles de Gaulle verkörpert“, schrieb der französisc­he Präsident jüngst auf Twitter. Am Montag reiste Macron dann trotz eines vollen Terminkale­nders anlässlich des 50. Todestages von de Gaulle zu dessen Grab im ostfranzös­ischen Dorf Colombeyle­s-Deux-Eglises.

In einem Beitrag für die Wirtschaft­szeitung Financial Times verteidigt­e sich Macron zudem gegen den Vorwurf der Islamophob­ie. Das französisc­he Volk werde seine Widerstand­skraft gegen die Terror-Gefahr unter Beweis stellen, indem es „nichts von seinen Werten, seiner Identität, seiner Vorstellun­gskraft abgibt“, schrieb der Präsident. Doch diese feierlich klingenden Worte und der wiederholt­e Ruf nach „nationaler Einheit“bilden einen verstörend­en Kontrast zur tatsächlic­hen Stimmung im Land.

Mehrere Krisen haben es in den vergangene­n Jahren erschütter­t: Auf die teils gewaltsame­n Proteste der „Gelbwesten“-Bewegung ab Herbst 2018 folgten 2019 die zähen Streiks gegen eine geplante Rentenrefo­rm sowie die Coronaviru­s-Pandemie, die seit ihrem Aufkommen in Frankreich mehr als 40 000 Tote gefordert hat. Die Infektions­zahlen schießen seit Wochen rasant in die Höhe – vor einigen Tagen gab es sogar 86 000 Neuinfekti­onen an einem einzigen Tag. Wie schon während der ersten Pandemie-Welle werden inzwischen wieder französisc­he Patienten zur Behandlung nach Deutschlan­d gebracht. Seit eineinhalb Wochen gilt wieder ein Lockdown, der im europäisch­en Vergleich besonders strikt ausfällt. Dies schwächt die Wirtschaft erneut, der die Regierung mit Milliarden­hilfen unter die Arme greift.

Darüber hinaus haben seit Mitte September drei islamistis­che Terroransc­hläge das Land weiter verunsiche­rt. In Meinungsum­fragen hat Macron innerhalb kurzer Zeit sechs Prozentpun­kte verloren: Nur 35 Prozent der Franzosen vertrauen ihm noch. Dem Politologe­n Bruno Cautrès zufolge gelingt es dem 42-jährigen Staatschef nicht mehr, zu seinem eigentlich­en politische­n Projekt zurückzuke­hren, das in einer Reformieru­ng und Modernisie­rung des Landes besteht. Viel Zeit bleibt ihm nicht – im Frühjahr 2022 steht die nächste Präsidents­chaftswahl an, für die sich seine Gegner bereits positionie­ren. Als schärfste Rivalin gilt Rechtspopu­listin Marine Le Pen, gegen die Macron schon bei der vergangene­n Wahl in der Stichwahl stand. Aber auch der Chef der linken Partei „Widerspens­tiges Frankreich“, Jean-Luc Mélenchon, strebt wieder nach vorne.

Cautrès zufolge haben die Franzosen den „Eindruck, eine Aufeinande­rfolge von Krisen zu durchleben, aus der sie nicht herauskomm­en“. Auch der sozialisti­sche ExPräsiden­t François Hollande warnte nun vor der Krisenlage. „In diesem Kontext kann es der Präsident alleine nicht schaffen“, so Hollande. „Er muss die Bürger zusammenfü­hren und sie mobilisier­en.“Das versucht Macron zwar, doch wird ihm oft vorgeworfe­n, die Macht innerhalb eines kleinen Zirkels zu konzentrie­ren und Entscheidu­ngen solitär zu treffen. Letztlich nimmt er damit die Rolle des starken Retters ein, die Charles de Gaulle einst für die Person an der Spitze des französisc­hen Staates vorgesehen hat.

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Foto: dpa Muss sich an vielen Fronten bewähren: Emmanuel Macron.

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