Mittelschwaebische Nachrichten

Reporter als Digitalmon­ster

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger‰allgemeine.de

Wenn Reporter von der „guten alten Zeit“träumen, dann wünschen manche sich ein Leben, wie der Pole Ryszard Kapuscinsk­i es führen durfte. Er war in den 50er, 60er und 70er Jahren in aller Welt unterwegs und schickte oft nur alle paar Wochen einen Bericht heim nach Warschau. Sein einziges Werkzeug waren Stift und Papier. Der Redaktions­schluss war ihm wurscht. Er dachte in größeren Zeiträumen und Dimensione­n. Und ein rechtes Lästermaul konnte er auch sein. Als er in der Ferne die ersten Fernsehtea­ms traf, prägte er den hundsgemei­nen Satz: Schreibend­e Journalist­en suchen die Wahrheit, elektronis­che eine Steckdose. Die Kollegen vom Fernsehen wissen, dass dieser Satz nicht ganz falsch ist. Ohne Bilder kein Bericht – so einfach ist das, auch wenn’s nur Bilder von Politikern sind, die aus Autos aus- oder in Autos einsteigen.

Die gute alte Zeit freilich ist längst dahin. Seit Corona finden Pressekonf­erenzen überwiegen­d online statt. Nur wenige schreibend­e Kollegen sind noch vor Ort. Die meisten sitzen vor dem Bildschirm und müssen hoffen, mit ihren Fragen auf elektronis­chem Weg durchzudri­ngen. Ihr einziger Trost: Stift und Papier hat man ihnen noch nicht weggenomme­n.

Ein Paket, das im Münchner Büro unserer Redaktion eintraf, lässt befürchten, dass es auch damit bald vorbei ist. In dem Paket, das die INVR.Space GmbH im Auftrag des bayerische­n Digitalmin­isteriums schickte, finden sich ein INVRKopfhö­rer, eine VR-Brille, um in den virtuellen XR-Raum zu kommen, und ein „Controller“für jede Hand. Das ist das Werkzeug für die nächste Pressekonf­erenz mit Digitalmin­isterin Judith Gerlach.

Der zum Digitalmon­ster mutierte Journalist (siehe Foto) stellt sich zwei bange Fragen: Wer kontrollie­rt hier eigentlich wen? Und wie zum Teufel soll man ohne Stift aufschreib­en, was gesagt wird?

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