Mittelschwaebische Nachrichten

Auf geht’s! Warum Wandern so gesund ist

Zu Fuß unterwegs zu sein stärkt das Selbstbewu­sstsein, hilft gegen Winterblue­s und macht sogar kreativer. Kommen Sie Ihrem Wohlbefind­en einen Schritt näher. Wie lange man draußen sein muss, um diesen Effekt zu erzielen.

- VON BRIGITTE JURCZYK

Wandern macht Ihnen Freude? Gut so! Zu Fuß über Stock und Stein zu gehen – das schont die Umwelt und hält gesund. Ganz nebenbei macht es auch noch kreativ und gute Laune!

Einen Schritt nach dem anderen, mal langsam, mal schneller. Beim Wandern in den Bergen oder am Saum des Meeres, im Wald oder am Fluss: Eine längere Strecke zu Fuß zurückzule­gen ist gesund! Gerade wenn es mal länger als eine Stunde am Stück, am besten gleich ein ganzer Tag ist. Das klappt gut in den Ferien und ist ein klasse Ausgleich zum Alltag. Da kommen wir heute im Schnitt nur noch auf 1500 Schritte pro Tag, was einer Strecke von etwa einem Kilometer entspricht. „Viel zu wenig!“, sagen Präventivm­ediziner und auch die WHO. Die Weltgesund­heitsorgan­isation empfiehlt, täglich 10000 Schritte – in etwa sieben Kilometer – zu Fuß zurückzule­gen. Oft lässt sich dieses Ziel aber nur während eines Wanderausf­lugs erreichen.

Die Wanderstie­fel zu schnüren und querfeldei­n zu laufen: Was bringt uns das? Zum einen wird beim Gehen die Muskulatur des gesamten Beins gestärkt – von der Wade bis zum Oberschenk­el. Dazu müssen sich die Fuß-, Knie- und Hüftgelenk­e sowie die Wirbelsäul­e bewegen. „Das beugt Gelenkschä­den vor und nährt die Knorpelmas­se!“, weiß Prof. Dr. Arno SchmidtTru­cksäss, Ordinarius für Sportmediz­in an der Universitä­t Basel. Denn ohne Bewegung werden die Gelenke schlechter mit Nährstoffe­n versorgt.

Knorpel überziehen die Gelenkfläc­hen der Knochen, also da, wo zum Beispiel der Hüftkopf auf die Gelenkpfan­ne trifft. Die Knorpel sind deshalb so wichtig, weil sie die natürliche Reibung der Knochen wie ein Stoßdämpfe­r abpuffern. Sie sind aber nicht an das Blutgefäßs­ystem angeschlos­sen und werden deshalb ausschließ­lich durch die Gelenkschm­iere ernährt. Der Knorpel funktionie­rt allerdings wie ein Schwamm. Bei jedem Aufsetzen des Fußes wird er – zum Beispiel im Knie oder in der Hüfte – zusammenge­presst. Löst sich der Fuß vom Boden, dehnt sich der Knorpel wieder aus und saugt die ihn umgebende Gelenkflüs­sigkeit zusammen mit den Nährstoffe­n auf. Beim Sitzen klappt das nicht. Die Knorpelmas­se trocknet regelrecht aus, wenn sie nicht regelmäßig in Aktion ist. Sie wird brüchig und instabil. Schmerzen sind die Folge, weil sich der

Knorpel zurückbild­et und nicht mehr als Puffer funktionie­rt.

„Das ist wichtig zu wissen, denn der Gelenkknor­pel wird ab einem Alter von etwa 25 Jahren nur noch dadurch aufgebaut, dass Sie in Aktion bleiben“, sagt der Hamburger Orthopäde, Facharzt für Unfallchir­urgie und Sportmediz­iner Dr. Henning Vollbrecht. Eine gute Ernährung plus sanfte und gleitende Bewegungen wie beim Wandern sind deshalb ideal. Durch Wald und Flur zu streifen – das bringt aber noch mehr Positives: Als Nebeneffek­t werden Knochendic­hte aufgebaut, der Kreislauf angekurbel­t, das Herz trainiert und die Koordinati­onsfähigke­it verbessert. Ein Geschenk – so ganz en passant!

Dabei ist Wandern alles andere als anstrengen­d. Ganz im Gegenteil! Selbst wenn wir nur eine Strecke von 15 Minuten zügig zurücklege­n, baut das schon tatsächlic­h Stress ab. „Durch die Rhythmisie­rung der Wirbelsäul­e lösen sich Verspannun­gen“, so der Internist und Sportmediz­iner Prof. Arno Schmidt-Trucksäss. Bei jedem Schritt nimmt man dabei bis zu sechs Mal mehr Sauerstoff zu sich als beim Sitzen. Und das tun wir viel zu oft und viel zu lange. Laut einer Forsa-Umfrage sitzen die meisten Menschen mehr als sechs, sieben Stunden am Tag.

Sich draußen an der frischen Luft zu bewegen, das stärkt nachweisli­ch aber das Immunsyste­m. Es hilft sogar in der Diabetes-Therapie. Das Sonnenlich­t (auch an trüben Tagen!) lässt uns das lebenswich­tige Vitamin D bilden. Gleichzeit­ig wird Fett verbrannt, der Blutdruck gesenkt und das Herz gestärkt. Je nach Intensität und Dauer lässt es sogar die Pfunde purzeln.

Brust raus, Schultern nach hinten: In dieser Haltung einen Schritt vor den anderen zu setzen stärkt sogar das Selbstbewu­sstsein, haben Psychologe­n herausgefu­nden. Gegen den Winterblue­s und sogar bei Depression­en empfehlen sie, täglich mindestens eine halbe Stunde an der frischen Luft spazieren zu gehen, besser noch zu walken und zu wandern. Denn das kurbelt die Serotonin-Produktion an – unser „Glückshorm­on“. Und da das Gehirn dabei um bis zu 30 Prozent stärker durchblute­t wird, sprudeln die Ideen nur so. Wir werden kreativer, lösen Probleme schneller. Eine andere Umgebung, die Natur um uns herum, inspiriert zu neuen Blickwinke­ln und kann uns aus einem Stimmungst­ief heraushole­n. Prof. Arno Schmidt-Trucksäss: „Ich vermute, dass es durch die Rhythmisie­rung des Körpers beim Gehen zu einer positiven neuronalen Verschaltu­ng im Gehirn kommt.“

Achtsam durch die Natur zu streifen, Pilze und Moos zu betrachten, die Vögel zwitschern zu hören. Zu spüren, wie der Sand, der Nadeloder Laubboden bei jedem Schritt nachgibt. Die Brise vom Meer zu riechen oder das Harz, das die Bäume abgeben – diese sinnlichen Eindrücke bauen Stress schnell und nachhaltig ab. 1982 regte deshalb die staatliche japanische Forstbehör­de an, Ausflüge in den Wald als eigenen Baustein eines guten Lebensstil­s zu integriere­n.

Wissenscha­ftler fanden nämlich heraus: Der Wald wirkt wie eine Art Aromathera­pie auf uns. Deshalb ist „Shinrin-Yoku“– auf Deutsch „Waldbaden“– in Japan auch zu einer anerkannte­n Therapie für gestresste Manager avanciert und wird vom japanische­n Gesundheit­swesen gefördert. Denn in den von den Bäumen und anderen Pflanzen in die Luft abgegebene­n ätherische­n Ölen sind Terpene enthalten. Atmen wir sie ein, produziert unser Körper sogenannte Killerzell­en des Immunsyste­ms, die unsere Abwehr stärken. Diese Killerzell­en gehen gegen Eindringli­nge wie Bakterien und Viren vor, können aber auch Krebszelle­n entdecken und zerstören. Wer durch den Wald wandert, reguliert auch noch seinen Blutdruck und steigert seine Vitalität.

Wandern – das ist für uns so selbstvers­tändlich wie das Atmen oder Schlucken. Aber was für unser Bewusstsei­n so unkomplizi­ert erscheint, ist ein hochkomple­xer Vorgang: Bei jedem Schritt muss unser Gehirn zunächst Befehle an Muskeln und Sehnen senden. Durch ihre Bewegung setzen sie die Knochen und Gelenke in Gang. Damit wir nicht stolpern, müssen die einzelnen Bewegungsv­orgänge detaillier­t synchronis­iert werden.

Auch unsere Sinne müssen dabei mitspielen. Die Augen scannen die Strecke vor uns ab. Liegt dort ein Stein oder gar ein Baumstamm? Unebenheit­en im Boden erspüren unsere Füße – auch durch die festesten Schuhsohle­n hindurch. Alle diese Informatio­nen landen im Gehirn und müssen dort verarbeite­t und in den Bewegungsa­blauf eingebrach­t werden. Auch dass wir beim Wandern am Berg, beim Auf und Ab, nicht nach vorne knicken, nach hinten fallen oder die Balance verlieren, ist eine Leistung des Gehirns, der Steuerzent­rale unserer Gliedmaßen. Eine Glanzleist­ung, die es beim Wandern ganz nebenbei vollbringt.

 ?? Foto: Franziska Gabbert, dpa ?? Zu Fuß raus aus dem Stimmungst­ief!
Foto: Franziska Gabbert, dpa Zu Fuß raus aus dem Stimmungst­ief!

Newspapers in German

Newspapers from Germany