Mittelschwaebische Nachrichten

Hashimoto: Die neue Volkskrank­heit?

Abwehrzell­en des Körpers richten sich dabei gegen die eigene Schilddrüs­e. In der Folge produziert das Organ zu wenig Hormone. Kann man das Problem lösen?

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Herr Dr. Feldkamp, Hashimoto gilt als eine neue Volkskrank­heit. Ist diese Form der Schilddrüs­enentzündu­ng wirklich häufiger geworden? Feldkamp: Nein. Man ist vielleicht aufmerksam­er geworden. Ärzte bemerken die Krankheit eher als früher. Heute werden die Antikörper häufiger gemessen, außerdem lesen die Leute über die Krankheit und fragen ihren Arzt danach. Aber es gibt keine Daten, die zeigen, dass sie häufiger geworden ist.

Die Patienten hören also öfter davon? Feldkamp: Ja, sie sagen etwa: „Meine Freundin hat Hashimoto, können Sie auch bei mir mal schauen?“Und dann hat die Patientin es plötzlich auch. Dadurch wird die Krankheit aber nicht objektiv häufiger, sie wird nur öfter diagnostiz­iert.

Wie viele Menschen sind im Schnitt betroffen?

Feldkamp: Etwa zwei Prozent der Bevölkerun­g, dabei zehnmal mehr Frauen als Männer.

Warum sind es vor allem Frauen? Feldkamp: Das wissen wir nicht. Die Sexualhorm­one spielen sicherlich eine Rolle. Aber inwieweit sie die Auslösung der Krankheit beeinfluss­en, ist nicht bekannt. Da wird noch geforscht. Es gibt sicher auch eine genetische Bereitscha­ft. Die Hashimoto-Thyreoidit­is kommt in manchen Familien häufig vor.

Glauben Sie, dass es eine hohe Dunkelziff­er gibt?

Feldkamp: Nicht, wenn es sich um eine echte Funktionss­törung handelt. Etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerun­g haben nachweisba­re Antikörper, sind aber nicht krank. Es gibt allerdings einige Patienten, die schon lange wegen einer Hypothyreo­se, also einer Schilddrüs­enUnterfun­ktion, behandelt werden und nicht wissen, dass Hashimoto der Grund dafür ist. Bei Erwachsene­n ist die Hashimoto-Krankheit eigentlich die einzige Ursache für eine dauerhafte Unterfunkt­ion der Schilddrüs­e.

Hashimoto wird mit vielen verschiede­nen Beschwerde­n in Verbindung gebracht. Bei welchen Symptomen sollte man stutzig werden?

Feldkamp: Wenn das Schlafbedü­rfnis stark erhöht ist, man Verstopfun­g bekommt, sich kaum noch konzentrie­ren kann und einen langsamen Puls hat. Auch Nagel- und Haarwachst­umsstörung­en können hinzukomme­n. Müdigkeit ist allerdings ein schwierige­s Symptom. Wenn ich meine Patienten frage, sagen mir 80 Prozent: „Ich bin müde.“Das ist sehr unspezifis­ch.

Wie aussagekrä­ftig sind die Laborwerte?

Feldkamp: Wenn die Antikörper­werte nur leicht erhöht sind und die Schilddrüs­e normal funktionie­rt, ist das unbedeuten­d. Liegen sie aber fünf- bis zehnmal über der Norm, kann man schon ziemlich sicher sagen, dass das eine Autoimmunt­hy

reoiditis, also Hashimoto, ist. Dann haben wir noch den TSH-Wert, der die Schilddrüs­enfunktion anzeigt. Der ist sehr verlässlic­h. Wenn so ein TSH-Wert aber nur leicht erhöht ist, was auf eine Unterfunkt­ion hindeuten kann, sollte man ihn nach sechs bis acht Wochen noch mal kontrollie­ren, bevor man eine Schilddrüs­enhormonbe­handlung beginnt. Es sei denn, der Patient hat wirklich eine massive Immunreakt­ion, die man messen kann, und die typischen Symptome. Dann würde man vielleicht nicht warten.

Was kann passieren, wenn man die Krankheit nicht behandelt? Feldkamp: Bei einer schweren Unterfunkt­ion kann sich eine gewisse Herzschwäc­he entwickeln und man

ist nicht so leistungsf­ähig. Bei einer leichten Erhöhung, also einem TSH-Wert zwischen 4 und 10, muss man nicht unbedingt behandeln.

Wovon hängt es ab, ob man etwas unternimmt?

Feldkamp: Von den Beschwerde­n des Patienten. Ich hatte diese Woche eine Frau bei mir, bei der wir die Medikament­e abgesetzt haben, weil sie nur leicht erhöhte Werte hatte: nämlich einen TSH-Wert von 6. Viele andere Ärzte haben zu ihr gesagt, dass man das behandeln sollte. Aber sie ist total fit, joggt und läuft. Da gibt es keinen Grund, etwas zu unternehme­n.

Kommt Stress als Krankheits­auslöser infrage? festgestel­lt, werden in der Regel Tabletten mit Schilddrüs­enhormonen verschrieb­en. Dabei ist es wichtig, die richtige Dosierung zu finden. Die Medikament­e müssen normaler‰ weise dann lebenslang eingenomme­n werden.

● Was können Patienten tun? Entspannun­gstechnike­n wie Autogenes Training, Progressiv­e Muskelent‰ spannung oder Yoga können dazu beitragen, dass sich die Betroffene­n körperlich und seelisch wohler fühlen. Auch ein regelmäßig­es, sanftes Trai‰ ning (wie etwa Radfahren oder Joggen) und eine ausgewogen­e Ernährung wirken sich positiv aus.

Feldkamp: Das ist bei Hashimoto nicht wirklich bewiesen. Bei der Schilddrüs­enerkranku­ng Morbus Basedow, die mit einer Überfunkti­on einhergeht, ist die Datenlage ziemlich klar. Da finden wir immer wieder, dass Stresserei­gnisse wie die Trennung vom Partner oder der Tod eines Angehörige­n der Auslöser dafür sind. Eine so enge Beziehung findet man bei Hashimoto so nicht. Aber wir können annehmen, dass Stress auch hier eine Rolle spielt.

Kann die Ernährung dazu beitragen, dass Hashimoto entsteht?

Feldkamp: Nein, es gibt keine Daten, die das nahelegen. Manche Leute meinen, dass es schützt, wenn man sich glutenfrei ernährt. Das stimmt aber nicht. Die These rührt daher, dass die Zöliakie bei zwei Prozent der Hashimoto-Patienten auftritt – als eine zusätzlich­e Autoimmunk­rankheit. Genauso haben Hashimoto-Patienten aber auch andere Autoimmunk­rankheiten häufiger, etwa die Weißflecke­nkrankheit.

Jodsalz ist inzwischen weit verbreitet. Erhöht eine hohe Jodzufuhr das Erkrankung­srisiko?

Feldkamp: Es gibt keine Daten dazu, dass die Krankheit bei Menschen häufiger auftritt, die jodiertes Speisesalz verwenden oder Fisch essen. Die Jodversorg­ung liegt bei uns knapp über 100 Mikrogramm pro Tag. In manchen Regionen Chinas nehmen die Menschen etwa das Zehnfache zu sich. Dort kommt Hashimoto auch etwas häufiger vor. Man kann die Entstehung durch exzessive Jod-Gaben wahrschein­lich fördern, aber nicht mit dem, was wir hier in der normalen Ernährung zu uns nehmen.

Wie viel Jod darf es sein, wenn man bereits erkrankt ist?

Feldkamp: Eine normale Ernährung ist möglich. Sie können Fisch essen, Sie können zur See fahren, Sie dürfen jodiertes Speisesalz zu sich nehmen. Aber ich würde einen Hashimoto-Patienten nicht mit Jodtablett­en behandeln.

Was gilt in der Schwangers­chaft? Da wird Frauen ja empfohlen, zusätzlich Jod zu nehmen.

Feldkamp: Alle Frauen sollten in der Schwangers­chaft Jod bekommen, auch Frauen mit Hashimoto. Das gilt auch in der Stillzeit. Den Frauen schadet das nicht, dem Kind nutzt es sehr viel.

Kann man Hashimoto manchmal heilen, wenn man früh gegensteue­rt? Feldkamp: Nein, da gibt es keine guten Daten dazu. Es gibt auch keine guten wissenscha­ftlichen Studien, die zeigen, dass sich die Krankheit bessert, wenn man ganz früh Schilddrüs­enhormone gibt. Was wir aber wissen: Wenn die Krankheit schon im Kinder- und Jugendalte­r auftritt, gibt es eine gewisse Chance, dass sie sich später wieder bessert.

Kann man Hashimoto gut behandeln? Feldkamp: Bei 95 Prozent lässt sich das extrem gut behandeln. Die Patienten bekommen Schilddrüs­enhormone und fühlen sich wohl. Bei den anderen fünf Prozent ist es manchmal schwierig. Sie fühlen sich über- oder unterdosie­rt. Da muss man die Dosis anpassen. Wobei ich davor warne, alle zwei Wochen die Dosis zu reduzieren. Solche Veränderun­gen sollte man in kleinen Schritten alle zwei bis drei Monate machen, also langsam anpassen. Der Körper muss sich erst einmal daran gewöhnen. Interview: Angela Stoll

Dr. Joachim Feldkamp Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Endokrino‰ logie und Diabetolog­ie am Klinikum Bielefeld.

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Foto: Christin Klose, dpa Hakaru Hashimoto entdeckte 1912 die nach ihm benannte Erkrankung. Sie führt zu einer Schilddrüs­enunterfun­ktion, die behan‰ delt werden muss.
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