Mittelschwaebische Nachrichten
Rote Karte für das Lieblingshobby
Guido Lutz pfeift leidenschaftlich gern. Dennoch hat er heuer kein einziges Spiel geleitet. Wie er die Zukunft der Unparteiischen sieht
Autenried Mit der Gesundheit darf man nicht spielen. Und das Risiko, sich auf dem Fußballplatz anzustecken, war Guido Lutz einfach zu groß. Es gibt im Leben schließlich Bedeutenderes als ein mit Leib und Seele ausgeübtes Hobby. Deshalb hat der 54-jährige Fußball-Schiedsrichter aus Autenried beschlossen, keine Spiele zu leiten, so lange die Corona-Pandemie eine unberechenbare Gefahr für ihn und alle anderen Beteiligten darstellt.
Seine Entscheidung hat letztlich dazu geführt, dass Lutz heuer kein einziges Fußballspiel pfiff. Dabei braucht die Schiedsrichtergruppe Westschwaben Leute wie ihn dringender denn je. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Zahl der Unparteiischen im Amateurfußball abnimmt. In Ballungsgebieten dieser Republik nimmt das teilweise schon krasse Formen an, auf der grünen Wiese im Landkreis Günzburg hat es nach Angaben des heimischen Schiedsrichter-Obmanns Robert Zeller aus Breitenthal bisher lediglich dazu geführt, dass einige Spiele der B-Klassen nicht mit Unparteiischen besetzt werden konnten.
In diese noch kleine Wunde bohrt Zeller freilich gerne mit dem ganz dicken Finger. Der Obmann überblickt die Entwicklung über viele Jahre, er weiß um die Altersstruktur seiner Weggefährten (siehe
und er betont deshalb mit der Gebetsmühle in der Hand: „Irgendwann wird es so sein, dass wir die B-Klassen gar nicht mehr besetzen können. Und das wird sich durch die Corona-Zeit beschleunigen.“Lutz pflichtet ihm bei und ergänzt: „Bei uns sind Kameraden dabei, die pfeifen 100 Spiele im Jahr. Die fahren von einem Ort zum anderen, nur damit die Spiele besetzt sind.“
Er selbst zählt derzeit nicht dazu. Weil er verantwortlich handeln möchte. Unter anderem für seine neunjährige Tochter. Und für seinen Betrieb, in dem er 150 Kollegen weiß, denen er jederzeit begegnen kann. Und natürlich für sich selbst. Alter, Familie, Beruf – all das ist zeitraubend und verleitet auch ohne Pandemiegeschehen dazu, den Freizeitsport zu vernachlässigen. An diesem Punkt ist Lutz sehr selbstkritisch und sagt: „Als aktiver Spieler habe ich immer andere verurteilt, die nicht im Training waren. Beim Pfeifen kann man seine Leistung ebenfalls nicht bringen, wenn man nicht trainiert.“Mit Beginn der Corona-Krise im März dieses Jahres nahm sich Lutz selbst aus dem Spiel. Für ihn ist das ein Gebot der mahnenden Vernunft. „Wir sollten eigentlich alle zu Hause bleiben und ich halte mich daran. Das Risiko, mich beim Fußball anzustecken, war mir einfach zu groß.“Statistiken, nach denen sich beim aktiven Sport noch kaum jemand infiziert hat, beeindrucken ihn wenig. „Man kann sich überall anstecken. Und meine persönliche Meinung ist, dass das beim Sport eher noch schneller geht als sonst irgendwo.“
Eine Pause einzulegen ist das eine, aufzuhören etwas völlig anderes. Es fällt Lutz erkennbar schwer, die Frage nach dem Zeitpunkt seiner Rückkehr auf den Platz eindeutig zu beantworten. Er setzt stattdessen ein Fragezeichen, erzählt lieber von seiner persönlichen Schiedsrichter-Werdung. Denn eigentlich wollte er den Trainerschein machen. Doch schlagartig änderten sich ein paar zentrale Themen in seinem Leben. „Und dann macht man halt keinen Trainerschein mehr“, schließt der Autenrieder dieses Kapitel.
Der Blick in die Vergangenheit muss keine Hinweise auf seine persönliche Zukunft bieten. Im kommenden Januar ist Lutz seit immerhin 20 Jahren an der Pfeife. Das hält an der Fußball-Basis zwischen B-Klasse und Kreisklasse niemand durch, der nicht mit vollem Herzen dabei ist. Und welcher Sportler möchte eine lange Laufbahn schon mit einem Jahr des pandemieverschuldeten Nichtstuns beenden?
Ein bisschen stolz ist Lutz darauf, dass er noch nie einen Spielabbruch hatte. „Das wäre all denen gegenüber ungerecht, die nichts gemacht haben“, sagt er zur Begründung. Der Autenrieder versteht sich stets als Spielleiter und deshalb strahlt er normalerweise auch dann Souveränität auf dem Platz aus, wenn’s eng wird. So zum Beispiel, als er selbst bei einem Spiel in Württemberg in eine brenzlige Lage geriet. Spieler der damaligen Gastmannschaft hätten ihn vor einer gehörigen Abreibung bewahrt, sagt er mit immer noch spürbarer Erleichterung. Doch das war eine Ausnahme. Noch während er in Erinnerungen schwelgt, bemerkt Lutz: „Das SchiedsrichterSein hat bisher Spaß gemacht, das Gute wiegt das Schlechte auf.“
Auf einem ganz anderen Blatt steht nach seiner Erfahrung die künftige Entwicklung des Amateurfußballs und damit auch des Schiedsrichterwesens. Dabei sieht Lutz, und damit steht er nicht allein, die Pandemie als Katalysator eines schon länger zu beobachtenden Negativ-Trends. Ursachen für den gebietsweise enormen Schwund erkennt Lutz viele. Eine ist das Zeitbudget junger Menschen in Verbindung mit deren Freizeitgestaltung. „Früher gab’s nichts anderes als Fußball, Feuerwehr und Schützenverein“, beginnt Lutz und fährt fort: „Man muss mal schauen, welche Angebote die jungen Leute heute haben – und andererseits, was man ihnen in der Schule abverlangt.“Womit er die Nachfolge-Generation keineswegs von Verantwortung für gewisse Entwicklungen freispricht, denn: „Die jungen Leute sind heute nicht mehr bereit, ein Ehrenamt für den Verein zu übernehmen. Sie wollen immer nur was haben. Und die meisten, die schimpfen, dass keine Schiedsrichter kommen, sind diejenigen, die selbst am wenigsten tun, um daran etwas zu ändern.“
Wenn sich doch mal Frischlinge durch den Neulingskurs gearbeitet und ihre ersten Spiele absolviert haben, werfen sie nach kritischen, womöglich unsachlichen Äußerungen von außen allzu schnell die Flinte ins Korn, kritisiert der Routinier. Das Argument, es gebe keinen nachvollziehbaren Grund, sich in Ausübung seines Hobbys Sonntag für Sonntag beschimpfen zu lassen, lässt Lutz so nicht gelten. „Das ist wie beim Arbeiten: Es gibt eine gute Arbeit und es gibt die andere. Wie man damit umgeht, liegt an den Spielern. Und an einem selbst.“
Er selbst schimpft als Zuschauer übrigens auch auf den Schiedsrichter. „Das gehört einfach dazu. Aber alles mit Maß und Ziel.“