Mittelschwaebische Nachrichten
Schüler müssen sichtbar sein
Die meisten Unfälle mit Kindern passieren morgens auf dem Weg zur Schule. Bei Nebel und Dunkelheit steigt die Gefahr. Was ein Fachberater für Verkehrserziehung rät
Landkreis Jeder fünfte Verkehrsunfall mit Kindern passiert auf dem Schulweg. 707 solcher Unfälle sind 2018 auf Bayerns Straßen registriert worden, 2019 waren es 649. Häufigster Grund: Kinder achten nicht auf den Verkehr, überqueren die Straße und werden oft von Autofahrern zu spät gesehen. In dieser dunklen, nebligen Jahreszeit ist die Gefahr für Kinder besonders groß. Wir haben mit Burkard Sterk gesprochen, Fachberater für Verkehrserziehung und Unfallverhütung im Schulamtsbezirk Günzburg.
Wo liegt für Kinder auf dem Schulweg die größte Gefahrenquelle?
Burkard Sterk: Die Hauptzahl der Unfälle ereignet sich morgens zwischen sieben und acht Uhr. Zu dieser Zeit ist das Verkehrsaufkommen besonders hoch, im Winter kommen Dunkelheit und bei uns in Donaunähe die Nebelproblematik hinzu. Das alles sind keine guten Rahmenbedingungen. Das führt mich zu dem Stichwort „Sicherheit durch Sichtbarkeit“.
Was bedeutet das genau?
Sterk: Kinder im Grundschulalter müssen besonders sichtbar sein. Deshalb hat die Kreisverkehrswacht Günzburg bis zum Schuljahr 2019/2020 im Herbst auch immer leuchtend gelbe Mützen an die Erstklasskinder verteilt. Heuer waren es zum Schuljahresbeginn erstmals gelbe Sicherheitswarnwesten. Das Tragen beruht natürlich auf Freiwilligkeit. Ich ermuntere auch die Lehrer immer wieder, dass sie die Schüler darauf hinweisen. Die Kinder sollten gerade in der dunklen Jahreszeit helle Kleidung tragen. Schulranzen sollten unbedingt Reflektoren haben oder man hängt Blinklichter dran. Radfahrer sind auch oft viel zu dunkel bekleidet und haben keine reflektierende Kleidung an. Zudem sollten nur Fahrräder mit ordnungsgemäßer Beleuchtung benutzt werden. Der Kommunale Unfallversicherungsverband Bayern empfiehlt übrigens, die Kinder nicht mit dem Roller in die Schule zu schicken. Sie verfügen über keine Beleuchtung. Verletzt werden Kinder häufig auch, wenn sie mit dem Auto zur Schule gebracht und nicht altersgemäß gesichert werden.
Böse Zungen sprechen von der „Generation Rücksitz“oder „Elterntaxi“. Immer mehr Eltern fahren ihren Nachwuchs mit dem Auto in die Schule. Laut einer Statistik sind in den 70er-Jahren 92 Prozent der Grundschüler alleine in die Schule gegangen, 2016 nur noch 23 Prozent. Liegt darin ein weiteres Problem?
Sterk: Durchaus. Ich merke es selbst am Morgen, wenn ich zur Schule fahre. Links und rechts der Fahrbahn stehen überall parkende Fahrzeuge, die dann oft beim Anfahren nicht einmal blinken. Ich versuche, diese besonders stark frequentierte Zeit zu umgehen und fahre lieber früher los. Je mehr Fahrzeuge vor der Schule sind, desto uneinsichtiger und gefährlicher wird es gerade für die Kinder. Kinder im Grundschulalter haben eine ganz andere Wahrnehmung als Erwachsene. Sie können stehende nicht von fahrenden Autos unterscheiden. Den Anhalteweg können sie auch nicht einschätzen und glauben, dass ein Auto sofort stehen bleiben kann.
Eigentlich sollten Eltern deshalb mit besonders gutem Beispiel vorangehen. Sterk: Das stimmt. Wir müssen uns als Erwachsene an der eigenen Nase fassen, wir geben oft nicht das beste Beispiel ab. Und Kinder schauen auf das, was die Eltern machen. Ich habe, als meine Söhne noch jünger waren, immer versucht, zu beherzigen, was ich als Fachberater predige. Auch beim Tragen eines Helms können die Eltern mit gutem Beispiel vorangehen. Eltern sollten im Hinterkopf haben, dass Verkehrserziehung immer eine gemeinsame Sache von Schule und Elternhaus ist. Das sollte allen ein hohes Anliegen sein.
Sie sind seit acht Jahren Fachberater für die Schulen im Landkreis. Warum haben Sie dieses Ehrenamt übernommen und was genau ist Ihre Aufgabe? Sterk: Ich wollte diesen Bereich immer schon mal kennenlernen. Als die Stelle vakant war, habe ich mich bereit erklärt, sie zu übernehmen, es ist eine reizvolle Aufgabe. Als Fachberater bin ich am Schulamt angesiedelt und bin Ansprechpartner für die jeweiligen Sicherheitsbeauftragten der Schulen. Ich betreue etwa 35 Grund- und Mittelschulen und die
Montessori-Schule in Günzburg. In dieser Funktion bin ich auch Beisitzer bei der Kreisverkehrswacht. Die Hauptaufgabe des Fachberaters ist es, die Lehrerschaft und die Eltern für dieses Thema zu sensibilisieren, nicht nachzulassen, zu erreichen, dass nichts Schlimmes passiert und immer wieder damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Mir ist es eine Herzensangelegenheit, dass die Kinder gut zur Schule kommen und wohlbehalten wieder nach Hause. Mein Motto, und dieses gebe ich auch allen Schülern weiter, ist: „Lieber eine Minute im Leben verlieren, als das Leben in einer Minute.“
Hat sich, seitdem Sie Fachberater sind, die Sicherheitssituation für die Schüler verbessert?
Sterk: Wir hatten schon lange keine gravierenden Schulwegunfälle mehr. Überall in Bayern, wo es Schulweghelfer gibt, sind zum Glück seit Jahrzehnten keine tödlichen Unfälle mehr passiert. Ein großes Problem ist jedoch, dass immer weniger Eltern bereit sind oder die Zeit haben, diese Dienste zu übernehmen. ⓘ
Burkard Sterk ist Fachberater für Verkehrserziehung und Unfallverhü tung im Schulamts bezirk Günzburg. Er ist 51 Jahre alt und unterrichtet Religion, Geschichte, Politik und Geografie an der Maria TheresiaMittelschule in Günzburg.