Mittelschwaebische Nachrichten
Tracht und Macht
Tradition und Heimat wecken bei vielen Menschen Emotionen – ein wirkungsvolles Instrument für Politiker. In Bayern wusste das lange niemand so für sich zu nutzen wie die CSU. Warum das heute anders ist
Maas gratuliert Belgier zum BundeswehrJubiläum
Außenminister Heiko Maas (SPD) hat sich mit seinen Glückwünschen zum 65. Geburtstag der Bundeswehr auf Twitter viel Häme und Spott eingehandelt. Seine Gratulation illustrierte er am Donnerstag mit einem Foto, auf dem er einem belgischen UN-Blauhelmsoldaten in Mali die Hand schüttelt. Im Text bedankte er sich bei „unseren Soldatinnen und Soldaten“, die sich weltweit unter größter Gefahr und persönlichem Risiko für Frieden und Sicherheit einsetzten. Der CSU-Politiker Florian Hahn schrieb daraufhin an Maas: „Sie schütteln da zwar keinem Bundeswehr-Soldaten die Hand, sondern einem Belgier, aber der freut sich bestimmt auch über Ihre Glückwünsche.“Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb: „Ob Mailand oder Madrid – Hauptsache Brüssel. Herzlichen Glückwunsch, liebe Bundeswehr. Hauptsache ist doch, dass sich unser Außenminister freut.“Der AfD-Fraktionsvize Peter Felser nannte die Panne „mehr als peinlich“. Der Tweet wurde gelöscht. „Der Tweet ist gelöscht, um Missverständnisse zu vermeiden. Mein Dank bleibt“, schob Maas nach.
München
Jahre, ja Jahrzehnte hatte die Rechnung der CSU im Freistaat funktioniert: Bayern gleich Tradition gleich Kirche. Gleich Wählerstimmen gleich Wahlsieg-Garantie. Doch dann kam der April 2018 und mit ihm der Tag, an dem Markus Söder ans Kreuz griff. Der Erlass, nach dem in sämtlichen bayerischen Dienstgebäuden ein Kreuz aufgehängt werden sollte, habe zum Ziel, die „christlich-abendländische Tradition Bayerns“zu betonen, sagte Söder, damals frisch inthronisierter Ministerpräsident. Doch nicht breite Zustimmung aus dem konservativen Lager folgte dieser Inszenierung, sondern massiver Widerstand – und eine Lektion. „Damals hat die CSU gelernt: Die alten Instrumente im Umgang mit Tradition und Heimat funktionieren nicht mehr“, sagt Michael Weigl, Politikwissenschaftler an der Uni Passau. Ein halbes Jahr nach dem Kreuzerlass verlor die CSU in Bayern die absolute Mehrheit.
Traditionen, meist religiösen Ursprungs, sind wichtiger Bestandteil im Leben von Millionen von Menschen. Sie strukturieren den Jahresablauf, prägen die Lebensrealität mit – und sind dadurch wirkungsvolle Anknüpfungspunkte für Politiker. Politikwissenschaftler Weigl: „Traditionen werden als Instrument genutzt, um Menschen zu mobilisieren, Identifikation mit Partei und Politik zu schaffen und damit Legitimation eigene Maßnahmen herzustellen. Wer Tradition pflegt, suggeriert Volksnähe.“Dies wusste in Bayern über Jahrzehnte niemand so für sich zu nutzen wie die CSU. Doch die anderen Parteien haben nachgezogen. Sie deuten „Tradition“und „Heimat“immer stärker für sich aus und treten entsprechend auf.
Und das, laut Weigl, ohne Glaubwürdigkeit zu verlieren. Denn: „Die Begriffe haben sich durch Globalisierung und Digitalisierung geöffnet, flexibilisiert, modernisiert. Früher waren diese Themen vor allem konservativ und ökonomisch konnotiert. Das gilt heute nur noch bedingt.“Mit Themen wie Umweltschutz könnten heute auch Grüne oder SPD für Heimat und Traditionspflege stehen. Dabei steht die Politik nach Ansicht von Weigl vor einer paradoxen Situation. „Heimat und Tradition sind für viele grundlegende emotionale Werte, um sich in einer hochglobalen Welt zu verorten. Andererseits folgt aus dieser regionalen Grundierung nicht mehr unbedingt, dass sich diese Menschen auch eine regionenbezogene Politik wünschen“, sagt Weigl. „Das Argument ,Wählt mich, weil ich etwas für eure Heimat tue’ greift heute nicht mehr gleich.“
Auch Theo Waigel, CSU-Ehrenvorsitzender und ehemaliger Bundesfinanzminister, hat einen Paradigmenwechsel festgestellt. „Tradition und Heimat sind nach wie vor unverzichtbare Größen in der Politik“, sagt er im Gespräch mit unserer
Redaktion. „Aber die Sensibilität im Umgang damit ist gewachsen. Es reicht als Politiker nicht mehr, nur Tracht zu tragen. Es braucht auch ein Bewusstsein, welche Werte mit Tradition verbunden sind: Heimat, Gemeinschaft, Religion, Engagement in Staat und Gesellschaft, auch Dialekt und Musik.“Dass sich neben der CSU auch andere Parteien immer stärker dem Thema widmeten, begrüße er. „Das muss Ansporn sein, Tradition mit Leben zu füllen und weiterzuentwickeln. Tradition und Moderne müssen in Bayern Hand in Hand gehen.“In Bayern sei ein intefür
„Laptop und Lederhose“wird oft mit dem Namen Edmund Stoiber asso ziiert. Kein Wunder, schließlich trug die CSU den Slogan in StoiberJah ren wie eine Monstranz vor sich her. Doch er ist kein Produkt Stoibers spezieller rhetorischer Begabung, son dern geht auf den ehemaligen Bun despräsidenten Roman Herzog zurück. Der gebürtige Landshuter sagte 1998 anlässlich einer MesseEröff nung, in Bayern gebe es genug Be lege dafür, dass Technikbegeisterung und Tradition kein Gegensatz seien. Das Land habe den Sprung vom öko nomischen Schlusslicht ganz nach vorne geschafft. „Hier sind Lederhose und Laptop eine Symbiose einge gangen.“(kmax) grativer Traditionsbegriff entwickelt worden, der auf die Zukunft ausgerichtet sei und mit einem Gestaltungsanspruch einhergehe.
Diesem Credo folgend, schrieb sich die CSU in der Ära von Ministerpräsident Goppel (1962 bis 1978) den Slogan „Tradition und Fortschritt“auf die Fahnen, in den 1990er Jahren ersetzt durch „Laptop und Lederhose“. Diese Devise war in erster Linie Marketing. Doch sie stand auch für den enorm beschleunigten Wandel, den die Bayern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt hatten. Dabei zeigt der Slogan auch Konfliktlinien auf, die in Bayern zwischen Tradition und Moderne verlaufen. So wurden Traditionen oft klischeehaft verengt, gerade ober- und altbayerische Traditionen wurden zu gesamtbayerischen stilisiert. Ein Beispiel: die Lederhose, ursprünglich meist als traditionelloberbayerisches Kleidungsstück wahrgenommen, gilt heute als Allgemeingut. „Anstatt die kulturelle Vielfalt in Bayern abzubilden, wird bis heute sehr viel stärker ein Klischee-Bayern inszeniert – auch vonseiten der Staatsregierung“, sagt Politikwissenschaftler Weigl.
Einer, der die Konsequenzen dieser Entwicklung von Berufs wegen unmittelbar erlebt, ist Hans Well. Er war 35 Jahre lang Kopf der bayerischen Musik- und Kabarettgruppe „Biermösl Blosn“, ist nun mit seinen Kindern unter dem Namen „Wellbappn“unterwegs – und stellt immer häufiger fest: „Die Leute kennen viele Lied- und Musikformen nicht mehr, die noch vor gar nicht so langer Zeit selbstverständlich waren. Da geht einiges an Tradition, an kulturellem Reichtum und Vielfalt verloren.“Es gebe zwar Unterschiede zwischen Stadt und Land, insgesamt mache sich aber „kulturelle Einfalt“und eine „Eventisierung“der Traditionen breit: „Schauen Sie auf das Oktoberfest. Da ist die Lederhose ein Utensil wie an Fasching.“
Gleichzeitig stellt Well, der sich in seinen Texten bevorzugt an der CSU abarbeitet, fest, dass die eigentlich positiv besetzten Begriffe „Heimat“und „Tradition“auch missbraucht würden – zur „kommerziellen Verramschung“, aber auch politisch. Well verweist auf Konservative und Rechte wie die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“. „Wenn ich sehe, wie die mit ,Tradition‘ und ,Heimat‘ werben, wird’s mir schlecht.“Dass Tradition politisch missbraucht werden kann, konstatiert auch Politikwissenschaftler Weigl. „Dieses Potenzial ist da. Die Nationalsozialisten etwa haben es in erschreckender Weise vorgemacht, wie der Heimatbegriff für eine Abgrenzung gegenüber konstruierten Feindbildern missbraucht werden kann.“Im demokratischen Bayern seit 1946 aber sei es immer mehr um Selbstvergewisserung denn um Ausgrenzung gegangen. Erst in jüngster Zeit seien wieder vermehrt aggressivere Töne von Rechtspopulisten zu hören.
Ein StoiberSlogan?