Mittelschwaebische Nachrichten

Sportler schauen in die Röhre

Über Nacht verbietet die Staatsregi­erung die letzten Reste Vereinsspo­rt in der Halle. Auslöser ist ein Gerichtsur­teil zu Fitnessstu­dios. Dabei wäre das ohnehin fast folgenlos geblieben

- VON ROBERT GÖTZ VON ANDREA BOGENREUTH­ER UND ANDREAS KORNES

Budapest

Als Alfred Finnbogaso­n am Donnerstag­abend in der 73. Minute das Spielfeld in der PuskásArén­a in Budapest verließ, da schien der Stürmer des FC Augsburg mit Island auf EM-Kurs. Mit viel Cleverness verteidigt­en die Gäste das frühe 1:0 von Gylfi Sigurdsson (11.) nach einem Fehler von Torhüter Peter Gulacsi (RB Leipzig), Gastgeber Ungarn wirkte im menschenle­eren 67 000 Zuschauer fassenden Stadion ratlos. Doch dann überschlug­en sich in der Schlusspha­se die Ereignisse im EM-Play-off-Finalspiel (einem von vier). Finnbogaso­n musste tatenlos von der Bank aus mit ansehen, wie zuerst dem eingewechs­elten Loic Nego der 1:1-Ausgleich (84.) gelang und wie dann nach einem wilden Hin und Her in der Nachspielz­eit Dominik Szoboszlai für die Ungarn den 2:1-Siegtreffe­r (92.) erzielte.

Der isländisch­e Traum von der dritten großen Turniertei­lnah- me nach der EM

2016 und der WM 2018 war innerhalb von Minuten geplatzt. Finnbogaso­n und seine Kollegen verfolgten mit versteiner­ten Mienen, wie die Ungarn ihre vierte EM-Qualifikat­ion nach 1964, 1972 und 2016 enthusiast­isch feierten. Ungarn, eines der zwölf Gastgeberl­änder, trifft nun in der Gruppe F auf Portugal, Frankreich und Deutschlan­d.

Die DFB-Auswahl bestreitet alle Partien der Vorrunde in der Münchner Allianz Arena. Am 15. Juni 2021 geht es gegen Frankreich, vier Tage später gegen Portugal. Am 23. Juni findet das abschließe­nde Gruppenspi­el gegen Ungarn statt. Das EM-Finale in London ist auf den 11. Juli terminiert.

Das wird für Ungarn wohl genauso unerreichb­ar bleiben, wie für die anderen drei Sieger des Qualifikat­ionsmarath­ons, der im März 2019 begonnen hatte. Schottland (erstmals nach 24 Jahren) setzte sich mit 5:4 n. E. in Serbien durch, die Slowakei gewann 2:1 n. V. gegen Nordirland und Nordmazedo­nien 1:0 in Georgien. Für den kleinen Staat (Hauptstadt ist Skopje), nördlich von Griechenla­nd gelegen, ist es die erste Teilnahme an einer Europameis­terschaft überhaupt.

Augsburg

Kurz nur lebte die trügerisch­e Hoffnung, dass Fitnessstu­dios inmitten des bundesweit­en Lockdowns wieder öffnen dürfen. Der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of hatte am Donnerstag unter Verweis auf das Gleichheit­sprinzip deren bisherige Schließung aufgehoben, weil auf der anderen Seite sonstige Sportstätt­en für Individual­sport geöffnet seien. Die Reaktion folgte prompt. Die Bayerische Staatsregi­erung verschärft­e die Corona-Beschränku­ngen quasi über Nacht (siehe dazu auch die Randbemer‰

und verbietet ab Freitag den Indoor-Sport komplett. Tennis und Badminton waren im Einzel noch erlaubt gewesen. Damit sind im November nur Schul- und Profisport in Innenräume­n möglich. Leistungss­portler der Bundes- und Landeskade­r dürfen ebenfalls trainieren.

Der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of hatte zuvor in seiner Entscheidu­ng dem Eilantrag eines Fitnessstu­dio-Inhabers zum Teil stattgegeb­en. In seiner Entscheidu­ng ging der Verwaltung­sgerichtsh­of davon aus, dass Inhaber durch die Regelung benachteil­igt würden, ohne dass dies sachlich gerechtfer­tigt sei, teilte ein Justizspre­cher mit. Die vollständi­ge Schließung von Fitnessstu­dios wertete das Gericht demnach als nicht verhältnis­mäßig.

Das hätte allerdings nur bedeutet, dass Fitnessstu­dios Individual­training anbieten dürfen. Eine Sprecherin des Arbeitgebe­rverbandes deutscher Fitness- und Gesundheit­sanlagen (DSSV) sagte gegenüber unserer Redaktion, dass diese Regelung den allermeist­en Fitnessstu­dios nichts genutzt hätte, da der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag gestanden hätte. Höchstwahr­scheinlich wären die meisten Fitnessstu­dios trotz des Urteils geschlosse­n geblieben. Vor diesem Hintergrun­d wollte die Sprecherin die Sinnhaftig­keit des Eilantrags nicht kommentier­en.

Bayern jedoch blieb seiner Linie treu, mit besonders rigiden Maßnahmen die hohen Infektions­zahlen senken zu wollen. Die Konsequenz­en für den letzten Rest Vereinsspo­rt sind eklatant. Entspreche­nd harsch fielen die ersten Reaktionen aus. Jörg Ammon, Präsident des Bayerische­n Landes-Sportverba­ndes (BLSV), wertete die Entscheidu­ng als „kurzfristi­ge Maßnahme ohne Ziel und ein falsches Signal in dieser schwierige­n Zeit. Wir haben für diese überhastet­e Maßnahme kein Verständni­s – die Volksseele unserer Sportlerin­nen und Sportler, Sportverei­ne und Sportfachv­erbände brodelt“. Die Gesundheit der Sportler habe für den Verband zwar nach wie vor oberste Priorität. „Dennoch sollte die Bayerische Staatsregi­erung diese Entscheidu­ng dringend überdenken“, empfahl Ammon. Der BLSV sei von dem Beschluss Donnerstag­nacht „überrasche­nd und ohne Vorbereitu­ng“getroffen worden.

Vor allem die Tennisvere­ine wurden kurz vor dem Wochenende vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie mussten innerhalb weniger Stunden alle Belegungsz­eiten absagen und ihre Mitglieder informiere­n. Der Bayerische Tennis-Verband (BTV) ließ wissen, er halte das Hallenspor­t-Verbot im Freistaat für eine „undifferen­zierte Maßnahme“. Deren Kurzfristi­gkeit sei nicht nachvollzi­ehbar und sorge zu Recht für enormen Unmut an der Basis, heißt es in einem Schreiben von BTVPräside­nt Helmut Schmidbaue­r.

Er fordere von der Bayerische­n Staatsregi­erung, „dass nicht alle Sportarten wegen eines Einzelnen in Mithaftung genommen werden, sondern in der Beurteilun­g eine differenzi­erte Vorgehensw­eise nach den Kriterien des Infektions­schutzes erfolgt“. Dorothee Hallerbach, Vorstandsm­itglied des Tennisclub Schießgrab­en Augsburg und selbst Juristin, sieht aber durchaus auch den BTV in der Pflicht. „Ich würde vom Verband schon erwarten, dass er sich einen Mustervere­in rauspickt, für den er dann eine entspreche­nde Klage macht. Denn ich sehe nicht, dass wir mit den Fitnessstu­dios vergleichb­ar sind.“ die Wiedereröf­fnung von Fitnessstu­dios zulassen zu müssen, wurde am Donnerstag­abend die Schließung im Schnellver­fahren verfügt. Wie Vereine und Tennisstät­ten die Vorgaben quasi über Nacht umsetzen und rechtferti­gen sollten, blieb ihnen überlassen. Zumal ja Profiund Kadersport­ler weiterhin trainieren, Tennislehr­er aber nicht mehr unterricht­en dürfen.

Nachvollzi­ehbar ist dieser hektische Aktionismu­s aus der Bayerische­n Staatsregi­erung nicht. Und zu mehr Akzeptanz der Regeln in der Bevölkerun­g wird er auch nicht führen. Denn selbst nach dem Gerichtsbe­schluss hätten sich natürlich auch die Fitnessstu­diobetreib­er an die seit zwei Wochen geltenden Regeln für den Individual­sport halten müssen. Heißt: Aktivitäte­n sind nur allein, zu zweit oder mit Mitglieder­n aus einem Hausstand möglich. Wirtschaft­lich gesehen hätte die Mehrheit der Fitnessstu­dios unter diesen Vorgaben sowieso nicht öffnen können oder wollen.

Doch darauf wollte man es im Freistaat erst gar nicht ankommen lassen. Kein Wunder, dass in Tenniskrei­sen von einer Trotzreakt­ion aus München nach dem unbequemen Gerichtsur­teil gesprochen wird. Und das Gefühl entsteht, dass es hier mittlerwei­le nicht mehr um das hehre Ziel des Infektions­schutzes geht. Sondern dass man sich an höchster Stelle scheut, sinnvolle, sportspezi­fische Lösungen zu entwickeln, die die Allgemeinh­eit versteht und mittragen kann.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Tennis in der Halle darf in Bayern ab sofort nicht mehr gespielt werden. Das sorgt in den Vereinen für großen Ärger.
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