Mittelschwaebische Nachrichten
Sportler schauen in die Röhre
Über Nacht verbietet die Staatsregierung die letzten Reste Vereinssport in der Halle. Auslöser ist ein Gerichtsurteil zu Fitnessstudios. Dabei wäre das ohnehin fast folgenlos geblieben
Budapest
Als Alfred Finnbogason am Donnerstagabend in der 73. Minute das Spielfeld in der PuskásAréna in Budapest verließ, da schien der Stürmer des FC Augsburg mit Island auf EM-Kurs. Mit viel Cleverness verteidigten die Gäste das frühe 1:0 von Gylfi Sigurdsson (11.) nach einem Fehler von Torhüter Peter Gulacsi (RB Leipzig), Gastgeber Ungarn wirkte im menschenleeren 67 000 Zuschauer fassenden Stadion ratlos. Doch dann überschlugen sich in der Schlussphase die Ereignisse im EM-Play-off-Finalspiel (einem von vier). Finnbogason musste tatenlos von der Bank aus mit ansehen, wie zuerst dem eingewechselten Loic Nego der 1:1-Ausgleich (84.) gelang und wie dann nach einem wilden Hin und Her in der Nachspielzeit Dominik Szoboszlai für die Ungarn den 2:1-Siegtreffer (92.) erzielte.
Der isländische Traum von der dritten großen Turnierteilnah- me nach der EM
2016 und der WM 2018 war innerhalb von Minuten geplatzt. Finnbogason und seine Kollegen verfolgten mit versteinerten Mienen, wie die Ungarn ihre vierte EM-Qualifikation nach 1964, 1972 und 2016 enthusiastisch feierten. Ungarn, eines der zwölf Gastgeberländer, trifft nun in der Gruppe F auf Portugal, Frankreich und Deutschland.
Die DFB-Auswahl bestreitet alle Partien der Vorrunde in der Münchner Allianz Arena. Am 15. Juni 2021 geht es gegen Frankreich, vier Tage später gegen Portugal. Am 23. Juni findet das abschließende Gruppenspiel gegen Ungarn statt. Das EM-Finale in London ist auf den 11. Juli terminiert.
Das wird für Ungarn wohl genauso unerreichbar bleiben, wie für die anderen drei Sieger des Qualifikationsmarathons, der im März 2019 begonnen hatte. Schottland (erstmals nach 24 Jahren) setzte sich mit 5:4 n. E. in Serbien durch, die Slowakei gewann 2:1 n. V. gegen Nordirland und Nordmazedonien 1:0 in Georgien. Für den kleinen Staat (Hauptstadt ist Skopje), nördlich von Griechenland gelegen, ist es die erste Teilnahme an einer Europameisterschaft überhaupt.
Augsburg
Kurz nur lebte die trügerische Hoffnung, dass Fitnessstudios inmitten des bundesweiten Lockdowns wieder öffnen dürfen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte am Donnerstag unter Verweis auf das Gleichheitsprinzip deren bisherige Schließung aufgehoben, weil auf der anderen Seite sonstige Sportstätten für Individualsport geöffnet seien. Die Reaktion folgte prompt. Die Bayerische Staatsregierung verschärfte die Corona-Beschränkungen quasi über Nacht (siehe dazu auch die Randbemer
und verbietet ab Freitag den Indoor-Sport komplett. Tennis und Badminton waren im Einzel noch erlaubt gewesen. Damit sind im November nur Schul- und Profisport in Innenräumen möglich. Leistungssportler der Bundes- und Landeskader dürfen ebenfalls trainieren.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte zuvor in seiner Entscheidung dem Eilantrag eines Fitnessstudio-Inhabers zum Teil stattgegeben. In seiner Entscheidung ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass Inhaber durch die Regelung benachteiligt würden, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt sei, teilte ein Justizsprecher mit. Die vollständige Schließung von Fitnessstudios wertete das Gericht demnach als nicht verhältnismäßig.
Das hätte allerdings nur bedeutet, dass Fitnessstudios Individualtraining anbieten dürfen. Eine Sprecherin des Arbeitgeberverbandes deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen (DSSV) sagte gegenüber unserer Redaktion, dass diese Regelung den allermeisten Fitnessstudios nichts genutzt hätte, da der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag gestanden hätte. Höchstwahrscheinlich wären die meisten Fitnessstudios trotz des Urteils geschlossen geblieben. Vor diesem Hintergrund wollte die Sprecherin die Sinnhaftigkeit des Eilantrags nicht kommentieren.
Bayern jedoch blieb seiner Linie treu, mit besonders rigiden Maßnahmen die hohen Infektionszahlen senken zu wollen. Die Konsequenzen für den letzten Rest Vereinssport sind eklatant. Entsprechend harsch fielen die ersten Reaktionen aus. Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes (BLSV), wertete die Entscheidung als „kurzfristige Maßnahme ohne Ziel und ein falsches Signal in dieser schwierigen Zeit. Wir haben für diese überhastete Maßnahme kein Verständnis – die Volksseele unserer Sportlerinnen und Sportler, Sportvereine und Sportfachverbände brodelt“. Die Gesundheit der Sportler habe für den Verband zwar nach wie vor oberste Priorität. „Dennoch sollte die Bayerische Staatsregierung diese Entscheidung dringend überdenken“, empfahl Ammon. Der BLSV sei von dem Beschluss Donnerstagnacht „überraschend und ohne Vorbereitung“getroffen worden.
Vor allem die Tennisvereine wurden kurz vor dem Wochenende vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie mussten innerhalb weniger Stunden alle Belegungszeiten absagen und ihre Mitglieder informieren. Der Bayerische Tennis-Verband (BTV) ließ wissen, er halte das Hallensport-Verbot im Freistaat für eine „undifferenzierte Maßnahme“. Deren Kurzfristigkeit sei nicht nachvollziehbar und sorge zu Recht für enormen Unmut an der Basis, heißt es in einem Schreiben von BTVPräsident Helmut Schmidbauer.
Er fordere von der Bayerischen Staatsregierung, „dass nicht alle Sportarten wegen eines Einzelnen in Mithaftung genommen werden, sondern in der Beurteilung eine differenzierte Vorgehensweise nach den Kriterien des Infektionsschutzes erfolgt“. Dorothee Hallerbach, Vorstandsmitglied des Tennisclub Schießgraben Augsburg und selbst Juristin, sieht aber durchaus auch den BTV in der Pflicht. „Ich würde vom Verband schon erwarten, dass er sich einen Musterverein rauspickt, für den er dann eine entsprechende Klage macht. Denn ich sehe nicht, dass wir mit den Fitnessstudios vergleichbar sind.“ die Wiedereröffnung von Fitnessstudios zulassen zu müssen, wurde am Donnerstagabend die Schließung im Schnellverfahren verfügt. Wie Vereine und Tennisstätten die Vorgaben quasi über Nacht umsetzen und rechtfertigen sollten, blieb ihnen überlassen. Zumal ja Profiund Kadersportler weiterhin trainieren, Tennislehrer aber nicht mehr unterrichten dürfen.
Nachvollziehbar ist dieser hektische Aktionismus aus der Bayerischen Staatsregierung nicht. Und zu mehr Akzeptanz der Regeln in der Bevölkerung wird er auch nicht führen. Denn selbst nach dem Gerichtsbeschluss hätten sich natürlich auch die Fitnessstudiobetreiber an die seit zwei Wochen geltenden Regeln für den Individualsport halten müssen. Heißt: Aktivitäten sind nur allein, zu zweit oder mit Mitgliedern aus einem Hausstand möglich. Wirtschaftlich gesehen hätte die Mehrheit der Fitnessstudios unter diesen Vorgaben sowieso nicht öffnen können oder wollen.
Doch darauf wollte man es im Freistaat erst gar nicht ankommen lassen. Kein Wunder, dass in Tenniskreisen von einer Trotzreaktion aus München nach dem unbequemen Gerichtsurteil gesprochen wird. Und das Gefühl entsteht, dass es hier mittlerweile nicht mehr um das hehre Ziel des Infektionsschutzes geht. Sondern dass man sich an höchster Stelle scheut, sinnvolle, sportspezifische Lösungen zu entwickeln, die die Allgemeinheit versteht und mittragen kann.