Mittelschwaebische Nachrichten
„Sie hat immer wieder nach ihrer Mama geschrien“
Justiz Ein Patient der psychiatrischen Abteilung schlägt eine Mitpatientin in Günzburg nieder und sticht ihr in den Hals
veränderten Lebensgewohnheiten von den Jugendlichen enorme Anpassungsleistungen fordern.
Deshalb sind auch die Eltern gefordert, ihre Töchter und Söhne zu unterstützen. Geis empfiehlt deshalb: „Gemeinsame Essenszeiten oder Bewegungsangebote bieten sich an, um mit den Kindern im Gespräch zu bleiben.“Außerdem sollten Eltern versuchen, Verständnis für die Situation der Jugendlichen zu zeigen, sie unterstützen und auch immer wieder mit ihnen über die geltenden Kontaktbeschränkungen sprechen. „Dass sich Jugendliche verstärkt in ihrem Zimmer aufhalten, ist normal“, so der Erziehungsberater.
Artur Geis gibt folgende Tipps, was Jugendliche tun können, um gut durch den Corona-Herbst zu kommen: Plane den Tag und plane auch etwas ein, das einem Freude bereitet. Genieße Bewegung und frische Luft und Sonne und ausgewogenes Essen. Medien sind laut Geis wichtig; allerdings ist es gut, Bildschirmpausen mit einzuplanen, denn ein Zuviel davon löst ebenfalls Stress aus. Man soll sich zudem auch Schönes ins Gedächtnis rufen: „Was ist dir am heutigen Tag Schönes, Gutes, Gelungenes widerfahren? Hierzu zählen auch scheinbare Kleinigkeiten“, teilt Geis mit. Einzelne Telefonkontakte oder Chats mit Freunden seien besser als gar kein Kontakt.
Günzburg
Es ist der 10. April dieses Jahres, kurz nach 17 Uhr. In der geschlossenen psychiatrischen Abteilung 20.1 des Bezirkskrankenhauses (BKH) in Günzburg läuft eine Krankenpflegerin auf dem Weg in den Innenhof an einem Mann und einer Frau vorbei, beides Patienten der Station, und will sie gerade passieren, als der Mann seine Begleitung unvermittelt mit der Faust ins Gesicht schlägt. Die Frau fällt zu Boden, der Mann beugt sich über sie und sticht mit einem Messer in ihren Hals.
Später wird herauskommen, dass das Messer nur knapp die Speiseröhre und die Halsschlagader der Frau verfehlt hat. Zu dem Zeitpunkt ist das noch nicht absehbar. Nach dem Angriff lässt der Mann von seinem Opfer ab und weicht zurück. Die Krankenpflegerin nutzt die Gelegenheit, die Frau außer Reichweite zu ziehen und Erste Hilfe zu leisten. Sie schreit um Hilfe. Währenddessen hält der Mann ein Handy vor sich, filmt sich möglicherweise, während er sich selbst mehrmals das Messer in die Brust rammt und sich so lebensgefährliche Verletzungen zufügt.
Vor dem Schöffengericht unter der Leitung von Richter Christian Liebhart in Memmingen sagt am Freitag ein Sachverständiger: „Es ist purer Zufall, dass das Opfer den Angriff überlebt hat.“Die 30-Jährige selbst kann sich an den Angriff nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass sie den 28-jährigen Angeklagten unmittelbar zuvor gefragt habe, ob sie sein Handy benutzen dürfe.
Der 28-Jährige äußert sich nicht zu der Tat. Er war erst einen Tag vor der Tat auf eigenen Wunsch in die geschlossene Abteilung gekommen, hatte sich besonders gut mit der 30-Jährigen verstanden. Er leidet unter paranoider Schizophrenie. Am Abend seiner Ankunft erzählte er sowohl seinem späteren Opfer als auch der Krankenpflegerin, dass er sich von zwei Mitgliedern einer Motorradgang verfolgt fühle, Angst habe, dass diese ihn nachts holen würden und erkundigte sich nach den Sicherheitsvorkehrungen der Station. Außerdem vertraute er der 30-Jährigen an, dass er unter Schlafproblemen leide, woraufhin sie ihm geraten habe, seine Medikamente zu nehmen. Als sie ihn am folgenden Morgen angesprochen habe, habe er plötzlich aggressiv auf sie gewirkt. „Er war wütend auf mich, weil er in der Nacht wieder nicht schlafen konnte, obwohl ich ihm zu den Medikamenten geraten habe.“Darum habe sie ihn bis zum Nachmittag nicht mehr kontaktiert. Kurz vor 17 Uhr war die 30-Jährige im Innenhof der Station unterwegs, als sie von einer anderen Patientin mit einer Flasche beworfen wurde. „Da wollte ich meinen Papa anrufen, um ihm das zu erzählen“, erklärt sie Richter Liebhart. Da sie selbst jedoch kein Handy gehabt habe, habe sie den 28-Jährigen angesprochen und um sein Handy gebeten. Ab hier endet ihre Erinnerung.
Die diensthabende Krankenschwester kann sich dagegen noch gut an den Moment erinnern, als sie den Angriff bemerkte: „Ich hatte Todesangst und wusste zuerst nicht, ob ich hingehen oder wegrennen soll.“Da der 28-Jährige dann von seinem Opfer abließ, rief sie nach ihren Kollegen und leistete erste Hilfe. „Die Patientin hat viel geredet und immer wieder nach ihrer Mama geschrien“, erzählt sie am Freitag.
Auf die Hilferufe der Krankenpflegerin hin kamen Kollegen und überwältigten den Mann. Die wenig später eintreffenden Polizisten fanden den 28-Jährigen mit gefesselten Händen auf einem Bett vor, wo er apathisch vor sich hingestarrt habe, wie ein Beamter vor Gericht sagt. Mit einem Mal habe der Patient ihn mit aufgerissenen Augen direkt angeschaut und gesagt: „Ich musste es tun, sonst hätten sie mich gefoltert und umgebracht.“
Ob der Angeklagte sich tatsächlich bei der Tat mit seinem Handy gefilmt hat, wurde am Freitag nicht mehr geklärt. Der nächste Termin in Memmingen ist für den 24. November angesetzt.