Mittelschwaebische Nachrichten
Drogendelikte: Zahl steigt
Die Polizei erfasst im Landkreis Günzburg seit Jahren immer mehr Rauschgiftdelikte. Warum das so ist und wie sich Pandemie und Lockdown auf die Vorgehensweise der Dealer und Abhängigen auswirkt
Die Zahl der Delikte im Zusammenhang mit Drogen steigt stetig. Auch im Landkreis Günzburg ist das sichtbar. Wie dieses Phänomen zu beurteilen ist.
Landkreis Manche nehmen sie zum Vergnügen, andere um ihr Verlangen danach, ihre Sucht, zu stillen. Oft sind sie scheinbar unsichtbar, aber gewiss sind Drogen in allen Gesellschaftsschichten zu finden. Die Zahl der Rauschgiftdelikte im Landkreis Günzburg etwa steigt seit Jahren, berichtet Dominic Geißler, Polizeihauptkommissar und Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West im Gespräch mit unserer Redaktion. Waren es im Jahr 2010 noch 243 Straftaten in Zusammenhang mit illegalen Rauschmitteln, stehen für das Jahr 2019 im Kreisgebiet 412 Delikte zu Buche. Aber woran liegt das? Und welchen Einfluss hat eine Pandemie auf die Drogenszene?
Dieses Phänomen betrifft jedenfalls nicht nur den Landkreis Günzburg. Bayernweit erfasste die Polizei im vergangenen Jahr 55 474 Rauschgiftdelikte. Jugendliche und Heranwachsende sind dabei mit einem Anteil von 34,7 Prozent deutlich überproportional vertreten. Alarmierend: 23 Menschen sind wegen Drogenkonsums gestorben – das bedeutet den höchsten Stand seit zehn Jahren. Neben Heroin stellt die Polizei immer öfter sogenannte Mischintoxikationen fest. Die Verstorbenen haben also meist verschiedenste Betäubungsmittel und Arzneien gleichzeitig konsumiert.
Im Landkreis Günzburg dominiert nach Auskunft von Geißler Cannabis in seinen verschiedenen Zubereitungsformen die Betäubungsmittelkriminalität mit rund 60 Prozent, gefolgt von Amphetamin mit rund 20 Prozent. Danach kämen die übrigen Drogenarten wie beispielsweise Kokain, Heroin und Psilosobine (Pilze) in jeweils nicht hervorstechender Häufung. Mit dem Begriff Rauschgiftdelikt beschreibt die Polizei all jene Delikte, die den verbotenen Umgang mit Rauschmitteln betreffen. Dazu zählen unter anderem der Besitz, der Anbau, der Handel, die Abgabe und die Einfuhr von Betäubungsmitteln. In den Bereich der Rauschgiftdelikte fällt jedoch nicht die Beschaffungskriminalität, also die Delikte, die alleine dazu dienen, sich Betäubungsmittel einschließlich Ersatz- und Ausweichstoffe zu verschaffen, beispielsweise durch Diebstahl, Raub oder Urkundenfälschung.
Aber warum werden die Rauschgiftdelikte nun seit Jahren mehr? Ganz einfach, erklärt Polizeisprecher Geißler: „Rauschgift ist ein klassisches Kontrolldelikt. Je mehr die Polizei kontrolliert, desto mehr Delikte finden sich in der Statistik wieder. Und die Polizei kontrolliert seit Jahren mehr.“Ein Vergleich: Ladendiebstähle sind unabhängig von Kontrollen und deshalb ist es in diesem Fall auch die Zahl der Delikte. Wenn die Polizei morgen aufhören würde, auf Drogen zu kontrollieren, dann gäbe es auch schlagartig keine erfassten Delikte mehr in der Statistik. „Letztlich kann man sagen, wir versuchen, den Dunkelbereich bei den Rauschgiftdelikten aufzuhellen“, berichtet Geißler.
Das sei indes gar nicht so einfach. „Die Täter versuchen natürlich konspirativ zu handeln“, sagt der Polizeisprecher. Das bedeutet, sie versuchen ihre Identität zu verschleiern. Der Klassiker, wie Rauschgiftdelikte aufgedeckt werden, sei die Verkehrskontrolle. Fällt den Polizisten hier etwas ungewöhnliches auf, zeige eine Person etwa drogentypische Auffälligkeiten, nennt Geißler ein Beispiel, dann fänden die Beamten oft im Auto einen Joint. In solch einem Fall folge eine Wohnungsdurchsuchung und eine Vernehmung. „Mit etwas Glück stoßen wir dabei auf die größeren Drahtzieher. Denn unser Ziel ist es, über die Endkonsumenten an die großen Fische zu kommen“, sagt der Polizeihauptkommissar.
Und welchen Einfluss hat die
Pandemie und der Lockdown auf die Drogenszene? Konkrete Zahlen kann Geißler hierzu nicht nennen, diese würden erst für das jeweils vorherige Jahr erhoben. Aber Rauschgiftermittler der Kripo NeuUlm, die auch für den Landkreis Günzburg zuständig sind, hätten beobachtet, dass die Lieferketten während des Lockdowns im Frühling unterbrochen waren. „Es durfte ja niemand ohne triftigen Grund die Wohnung verlassen. Entsprechend wenig Verkehr war auf den Straßen und damit stieg auch das Entdeckungsrisiko für Rauschgiftkuriere“, erklärt Geißler. Inwieweit sich das in der Statistik für dieses Jahr niederschlägt, könne er aktuell aber noch nicht genau sagen.
Viele Konsumenten und Verkäufer dürften auf das Internet ausgewichen sein. Der Drogenverkauf im Web sei ein schwieriges Thema, berichtet Geißler: „Hier gibt es eine Zunahme – und das nicht erst seit Corona. Diesen Trend gibt es schon länger.“Besonders das Darknet sei in diesem Zusammenhang sehr populär. „Die Drogenverkäufe dort nehmen deutlich zu“, sagt der Hauptkommissar. Die Polizei habe schon deshalb sogenannte CyberCrime Dezernate eingerichtet, die auf diese Themen spezialisiert seien, sagt Geißler: „Die Polizei durchforstet so seit Jahren das Internet und hat auch schon viele Händlerringe hochgenommen. Für die Konsumenten ist es natürlich viel einfacher, über das Internet an Drogen zu kommen. Das Entdeckungsrisiko ist viel geringer, schließlich erspart man sich den Gang zum Dealer.“
Ähnliches berichtet auch Ingrid Meyer von der Suchtfachambulanz in Günzburg. Die Einrichtung hat dort und in Krumbach Beratungsstellen. „Corona stellt die Süchtigen, die zu uns kommen, natürlich vor Herausforderungen. Aber die Beschaffung dürfte keines der Probleme sein. Salopp gesagt: Die wissen schon, woher sie ihr Zeug bekommen“, sagt Meyer. Auch in Zeiten der Pandemie laufe in der Suchtfachambulanz im Prinzip alles wie gewohnt. Die Motivierungsgruppen seien zwar abgesagt, aber die Beratungen – Einzel- sowie Gruppentermine – fänden nach wie vor statt. Die Zahl der Beratungen schwanke indes sehr stark, berichtet Ingrid Meyer. Woran das liegt, könne sie allerdings nicht sagen. Letztlich würde die Zahl der Beratungen über die Jahre hinweg aber stagnieren, schätzt sie.
Das häufigste Problem der Leute, die mit einer Rauschgiftsucht zur Suchtfachambulanz kommen, dürfte wohl Cannabis oder Ecstasy sein, berichtet Meyer: „Aber das ist schwer zu sagen, genaue Zahlen gibt es nicht.“
Entscheidend sei ohnehin nicht nur der Suchtstoff. Auch warum jemand die Einrichtung besuche, spiele eine große Rolle. „Ob er geschickt wird und muss, oder ob er unser Angebot freiwillig in Anspruch nimmt. Hinzu kommt, wie lange der Betroffene schon konsumiert und was er konsumiert“, nennt Meyer die für einen Erfolg der Therapie entscheidenden Punkte.
Die Betroffenen könnten zwischen einer ambulanten und einer klinischen Therapie wählen. Bei der ambulanten komme die Suchtfachambulanz ins Spiel: „Dann kommen sie zwei Mal in der Woche zur Beratung zu uns – mittwochs finden Gruppentermine statt, hinzu kommt noch ein Einzelgespräch.“