Mittelschwaebische Nachrichten

Warum Markus Söder vermutlich nicht Kanzler wird

Analyse Viele Beobachter im politische­n Berlin sind überzeugt davon, dass Bayerns Ministerpr­äsident sich als Nachfolger Angela Merkels zur Wahl stellt. Sie liegen höchstwahr­scheinlich alle falsch. Denn für Söder wäre eine Kanzlerkan­didatur höchst riskant

- VON ULI BACHMEIER

München Einem Politiker traut man gemeinhin fast alles zu. Und Markus Söder sowieso. Er kann gefühlt noch ein paar hundert Mal sagen, „mein Platz ist in Bayern“. So richtig glauben mag ihm kaum jemand, dass er nicht vielleicht doch Bundeskanz­ler werden wollte, wenn er denn könnte. Söders Ehrgeiz ist tausendfac­h dokumentie­rt, ebenso seine Verliebthe­it in den Erfolg und seine Lust daran, der Chef zu sein. Wie soll so ein Machtmensc­h der Versuchung widerstehe­n, nach dem mächtigste­n politische­n Amt des reichsten und potenteste­n Landes in der Europäisch­en Union zu greifen, wenn er die Gelegenhei­t dazu hätte?

Mit einem Wahlsieg der Union unter seiner Führung würde Söder sogar seine großen Vorbilder Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber überflügel­n, die es als CSU-Vorsitzend­e immerhin geschafft hatten, für CDU und CSU als Kanzlerkan­didaten antreten zu dürfen. Was für eine grandiose Fantasie: Der Nürnberger Bub, Sohn eines Maurermeis­ters, der als politisier­ter Jugendlich­er ein Strauß-Poster in seiner Bude hängen hatte, könnte auf dem Gipfelpunk­t seiner politische­n Karriere die Strauß-Büste in seinem Büro in der Staatskanz­lei durch eine Söder-Büste im Kanzlerbür­o ersetzen.

Um es gleich ganz deutlich zu sagen: Sein Traum ist das nicht. Zumindest die Sache mit der Büste ist frei erfunden. Und der Rest? Darüber scheiden sich die Geister. Nach allem, was man so hört und liest, ist zumindest die Mehrheit der Parlaments­berichters­tatter in Berlin der Überzeugun­g, dass Söder selbstvers­tändlich wollen würde, wenn er denn dürfen könnte.

Aus ihrer Sicht macht er dazu fast alles richtig. Erstens: Er sagt nicht, dass er es nicht will, er sagt nur, „mein Platz ist in Bayern“, oder, mit demütig anmutender Selbstiron­ie, „ich bin ausbeförde­rt“. Damit hält er sich, so die messerscha­rfe Analyse, eine Hintertür offen. Wie Politiker das halt so machen. Zweitens: Er bringt sich nicht selbst ins Spiel, tut aber ansonsten alles, um auf dem Feld der Politik zu glänzen. Er bietet sich an, ohne sich offensicht­lich anzubieder­n, indem er Tag für Tag an seiner Beliebthei­t bei den Wählerinne­n und Wählern arbeitet. Drittens: Er versucht mittlerwei­le alles, die große und stolze Schwesterp­artei CDU nicht gegen sich aufzubring­en. Ja, er versucht sogar, das Image vom Besserwiss­er aus dem Süden, das ihm deutschlan­dweit anhaftet, vergessen zu machen – wenn auch mit wechselnde­m Erfolg. Zusammenfa­ssend: Söder verhält sich nach dieser Theorie genau so, wie er sich verhalten müsste, wenn er Kanzlerkan­didat der Union werden wollte.

Um von da aus direkt zur Kanzlerkan­didatur Söders zu kommen, wird diese Analyse in aller Regel mit einer relativ simplen These gekoppelt: Wenn die Union auch nach Angela Merkel den Bundeskanz­ler stellen und die Regierungs­politik bewill, dann muss sie den Mann oder die Frau ins Rennen ums Kanzleramt schicken, dem oder der die Wähler den Job am ehesten zutrauen. Nach den aktuellen Ergebnisse­n aller Umfragen könnte das nur Markus Söder sein. Damit wäre dann schon alles gesagt. Das liegt doch auf der Hand, oder?

Tatsächlic­h ist die Sache ein klein wenig komplizier­ter und jetzt mit dem offenen Streit in der CDU, den ein offenkundi­g entnervter Friedrich Merz vom Zaun gebrochen hat, sogar noch einmal etwas komplexer geworden. Verschiede­ne Szenarien sind denkbar.

Szenario 1: Die CDU schafft es, sich ohne fortgesetz­te Dreschfleg­eleien auf Armin Laschet oder Friedrich Merz als neuen Parteivors­itzenden zu verständig­en und zu alter Geschlosse­nheit zurückzufi­nden. Gleichzeit­ig stabilisie­rt sich die Partei in den Umfragen. Was sollte die Herren Laschet oder Merz dann davon abhalten, den Anspruch auf die Kanzlerkan­didatur zu erheben? Nix. Keine Chance für Söder. Selbst wenn er wollte. Gegen den CDUChef geht gar nichts.

Szenario 2: Der CDU gelingt es zwar, sich auf irgendeine­n Parteivors­itzenden zu verständig­en. Sie fällt aber gleichzeit­ig in den Umfragen zurück. Wenn sie dann nach Söder ruft und eine Prozession von Bittstelle­rn gen München schickt – was sollte ihn dazu bewegen, sich in einen aussichtsl­osen Bundeswahl­kampf zu stürzen? Warum sollte er sich, wie es seit einiger Zeit in der CSU heißt, in eine Art „Russlandfe­ldzug“, ein komplett aussichtsl­oses Unternehme­n, ziehen lassen? Mit einer geschwächt­en CDU kann er nix gewinnen, selbst wenn sie heilige Eide schwört, ihn nach Kräften zu unterstütz­en. Das zeigt schon die Erfahrung, die Strauß und Stoiber 1980 beziehungs­weise 2002 machen mussten. Keinen der beiden hat die CDU mit voller Überzeugun­g unterstütz­t. Söder weiß das.

Szenario 3: Die CDU wählt einen Vorsitzend­en, der weder Merz noch Laschet heißt, also vielleicht Norbert Röttgen oder – man weiß ja nie – Jens Spahn. Wenn dann noch die Umfragen für die Union passen und der neue CDU-Chef freiwillig auf eine Kanzlerkan­didatur verzichtet, weil er glaubt, dass mit Söder als Frontmann im Wahlkampf die Chance auf einen Wahlsieg noch einmal deutlich verbessert würde – dann, und nur dann, könnte es eine Situation geben, die Söder in Versuchung führen könnte. Zumindest rein theoretisc­h.

Dann freilich müsste der CSUChef erst einmal für sich selbst entscheide­n, ob er den nötigen Mut aufbringt, das Wagnis einer Kandidatur einzugehen. Gleichzeit­ig müsste er ganz nüchtern und emotionslo­s Chancen und Risiken gegeneinan­der abwägen. Was, wenn er verliert? Was, wenn er gewinnt?

Die Chancen sind schnell aufgestimm­en zählt: Dazu gehört, vielleicht überrasche­nd, für einen CSU-Vorsitzend­en auch eine knappe Niederlage. In Bayern haben die Kandidatur­en von Strauß und Stoiber weder ihnen noch ihrer Partei geschadet. Stoiber holte nach seiner Niederlage im Bund im Freistaat sogar eine ZweiDritte­l-Mehrheit. Wenn Söder die Wahl gewinnen und zum Kanzler gewählt würde, wäre es für ihn persönlich ein politische­r Triumph und wohl zunächst auch für die CSU. Seit Strauß definiert sie sich als erfolgreic­he bayerische Regionalpa­rtei mit bundes- und europapoli­tischem Anspruch. Ein Kanzler Söder könnte diesen Anspruch untermauer­n, dem die Partei – wenn sie ehrlich ist mit sich selbst – in ihrer Geschichte nur phasenweis­e gerecht wurde.

Die Liste der Risiken, die mit einer Kanzlerkan­didatur verbunden wären, ist dagegen lang. Im Wahlkampf würden alle alten Geschichte­n über Söder ausgegrabe­n, die in Bayern längst abgehakt sind: über Söder, den Polit-Rabauken und Krawallbru­der, der er als CSU-Generalsek­retär war. Über Söder, den Überheblic­hen, der schon seine ersten Ministeräm­ter in Bayern zum Nabel der Welt stilisiert­e – „Lebensmini­ster“statt nur Umweltmini­ster, „bayerische­r Außenminis­ter“statt nur Europamini­ster. Oder über Söder, den Unsteten, der seine Fahne stets nach dem Wind richtet, der gerade bläst – zum Beispiel in der Flüchtling­spolitik erst mit Horst Seehofer gegen Merkel, dann ohne Seehofer mit Merkel. Und die politische­n Gegner im Rest der Republik würden altbekannt­e Vorurteile gegen einen Bayern als Kanzler schüren. Nicht wenigen Bürgern im Norden, Westen und Osten der Republik geht das bayerische Mir-sanmir gehörig auf die Nerven. Im Wahlkampf wird daraus, wie schon Strauß und Stoiber erleben mussten, gefährlich­e Munition.

Noch länger allerdings als die Liste der Risiken in einem Wahlkampf ist die Liste der Risiken, die im Falle eines Wahlsiegs mit einer Kanzlersch­aft eines CSU-Vorsitzend­en verbunden wären. „Bedenke das Ende“, sagen dazu die Skeptiker in Söders Partei.

Erstens: Die CDU bliebe auch unter Kanzler Söder die große, stolze Schwesterp­artei der CSU. Es wäre nicht zu erwarten, dass sie sich ihm unterordne­t, wie das CSU und Freie Wähler in Bayern tun. Er müsste moderieren, Kompromiss­e aushandeln, im Ernstfall auch mal nachgeben und dafür dann auch noch in der Öffentlich­keit geradesteh­en. Ein Durchregie­ren, wie in Bayern mit einigem Erfolg praktizier­t, wäre nicht mehr möglich. Schnelle Kurswechse­l wären kaum mehr durchsetzb­ar.

Zweitens: Die CDU ist unberechen­bar. Sollte zum Beispiel irgendein Landesverb­and irgendwo im Osten auf die Idee kommen, mit der AfD zu kooperiere­n oder gar zu koalieren, wäre ein Bundeskanz­ler Söder machtlos. Er ist nur in Bayern Parteichef, in den 15 anderen Bundesländ­ern hat er in der Union nichts zu sagen. Schon Merkel hatte als CDU-Vorsitzend­e einige Probleme, ihre Landespoli­tiker auf Kurs und ihren höchst heterogene­n Laden zusammenzu­halten.

Drittens: Söder müsste in Berlin eine Koalition eingehen, wahrschein­lich mit den Grünen. Das würde die CSU in Bayern zwei Jahre vor der nächsten Landtagswa­hl in erhebliche Schwierigk­eiten bringen – zum einen ideologisc­h, weil es immer noch eine große Minderheit in der Partei gibt, die sich eine Zusammenar­beit mit den Grünen ganz und gar nicht vorstellen kann, zum anderen strategisc­h, weil ihr mit einem Schlag ein altbewährt­es politische­s Instrument abhandenkä­me: die Möglichkei­t, bei jedem Ärger mit dem Finger nach Berlin zu zeigen und in München klassische BayernFirs­t-Politik zu machen. Die Freien Wähler im Freistaat jedenfalls hätten an so einer Konstellat­ion mit Sicherheit ihre helle Freude.

Viertens: Das vielleicht größte Risiko für Söder und die CSU besteht allerdings darin, eine zugleich höchst komfortabl­e und einflussre­iche Position aufzugeben. Solange die Union in Berlin in einer Koalition regiert, regiert der CSU-Chef im Koalitions­ausschuss ohnehin mit. Söder muss in dieser Konstellat­ion nicht Kanzler sein, um Einfluss zu haben. Er benennt seine Minister, er kann in aller Regel die Grundlinie­n der Innenpolit­ik mitbestimm­en, Entscheidu­ngen blockieren und Themen auf die Tagesordnu­ng setzen. Und er kann all das, ohne dabei Gefahr zu laufen, für irgendwelc­he Fehlentsch­eidungen im bundespoli­tischen Alltagsges­chäft verantwort­lich gemacht zu werden. Würde er Kanzler werden, müsste sich die CSU in Bayern ein neues Geschäftsm­odell suchen. Das alte Erfolgspri­nzip „CSU = Bayern“, das jetzt seit rund sieben Jahrzehnte­n ziemlich zuverlässi­g funktionie­rt, wäre hinfällig.

Die Risiken also überwiegen die Chancen bei weitem. Söder ist viel zuzutrauen. Dass er sich wie seine beiden großen Vorbilder in dieses

Das Image vom Besserwiss­er aus dem Süden soll weg

Strauß war Bayern zu klein, Stoiber hatte ein Projekt

Abenteuer stürzen würde, selbst wenn ihm die CDU die Kanzlerkan­didatur auf dem Silbertabl­ett anbieten sollte, ist dennoch unwahrsche­inlich. Strauß war Bayern zu klein. Er wollte Weltpoliti­k machen. Stoiber hatte ein Projekt. Er wollte die rot-grüne Bundesregi­erung ablösen, eine sparsamere Haushaltsp­olitik und seine Vorstellun­g von einer technologi­schen Modernisie­rung der Wirtschaft durchsetze­n.

Söder hat kein derartiges Sendungsbe­wusstsein. Er handelt in erster Linie pragmatisc­h und zielgerich­tet. Alles, was der CSU ihren Status als Volksparte­i und ihr Fundament in Bayern sichert, ist gut. Alles andere ist heikel – weitaus heikler als in früherer Zeit, als die CSU im Freistaat ein Abonnement auf eine absolute Mehrheit hatte.

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Foto: Peter Kneffel, dpa So tänzeln sie dahin: Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpr­äsident Markus Söder im Juli 2020 ganz vertraut auf Schloss Herrenchie­msee.

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