Mittelschwaebische Nachrichten
Bäume oder Autobahn: Die Grünen und ihr Pfannkuchen-Dilemma
Die Öko-Partei muss den Wählern endlich sagen, was sie eigentlich sein will: Politischer Arm der Klimaschutz-Rebellen oder eine Art CDU mit Bio-Siegel
Es ist das alte Dilemma: Wer einen Pfannkuchen will, muss dafür Eier zerbrechen. Vor einer solchen Entscheidung stehen die Grünen, deren digitaler Parteitag an diesem Freitag beginnt. Wie groß das Dilemma ist, zeigt sich gerade in einem kleinen Waldstück in Hessen. Ein neuer Autobahnabschnitt soll dort gebaut werden, doch dafür müssen alte Bäume gefällt werden. Umweltschützer haben ihre Gipfel besetzt, leisten hartnäckigen Widerstand gegen die Rodung. Die Grünen-Bundesspitze wettert gegen das Verkehrsprojekt im Dannenröder Forst, fordert gar den Stopp aller Neubauten von Autobahnen und Bundesstraßen im ganzen Land. Doch hessischer Verkehrsminister ist ausgerechnet der Grüne Tarek Al-Wazir. Er muss den Bau laut Koalitionsvertrag mit der CDU umsetzen.
Genau darum wird es gehen bei der virtuellen Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen: um eine Gratwanderung zwischen Wunschdenken und Machbarem, Radikalität und Kompromiss. Um Bäume oder Autobahn, Fundamentalopposition oder Regierung, Eier oder Pfannkuchen. Fest haben sich die Grünen als zweitstärkste politische Kraft hinter der Union etabliert, in elf Bundesländern regieren sie mit. Vieles deutet im Moment auf eine schwarz-grüne Bundesregierung nach der Wahl im kommenden Jahr. Vor der Corona-Delle lagen die Zustimmungswerte sogar bei weit über 20 Prozent. Doch solche Ergebnisse bilden sowohl Anspruch als auch Wirklichkeit bei den Grünen ab.
Noch bekennen sich sowohl diejenigen in Umfragen zu den Grünen, die sich die Partei als politischen Arm von KlimaschutzGruppen wie „Fridays for Future“oder „Extinction Rebellion“wünschen, als auch jene, die von einer mildgrünen, wirtschaftsfreundlichen Politik im Bund nach Art des baden-württembergischen Landesvaters Winfried Kretschmann träumen. Von einer CDU mit BioSiegel also.
Gerade Robert Habeck mit seiner unvergleichlichen Art, im Ungefähren zu bleiben, hat es verstanden, die jungen Aktivisten ebenso wie die gereiften Öko-Bürgerlichen anzusprechen. Ob nun er die Grünen in den Wahlkampf führen wird oder seine Mit-Parteichefin Annalena Baerbock, wird wohl erst im kommenden Jahr entschieden. Wer auch immer grüner Kanzlerkandidat wird – recht machen können wird er es beiden Lagern nicht. Enttäuscht die Spitze die jungen Aktivisten, könnten diese eine eigene Partei gründen. Wagen die Grünen zu viel Radikalität, verschrecken sie die Öko-Bürgerlichen, die mit dem Elektro-Daimler auf ordentlichen Autobahnen fahren wollen. Der alte innergrüne Gegensatz zwischen Realos und Fundis ist nicht überwunden, sondern unter neuen Vorzeichen zurück. Auf dem Parteitag wird am Grundsatzprogramm gefeilt, die Grüne Jugend wünscht sich etwa eine generelle Ablehnung von Wirtschaftswachstum und einen Beschnitt der Befugnisse von Polizisten. Weniger als ein Jahr vor der Bundestagswahl aber muss die Partei ein Signal senden, was sie eigentlich will: Radikalität oder Verantwortung.
Wesentliche Teile der Grünen haben es satt, als Meckerer an der Seitenlinie zu stehen. Wirksamer Umwelt- und Klimaschutz lässt sich am besten in der Regierung machen – auch wenn das Kompromisse erfordert.
In Hessen aber proben die Grünen einen bemerkenswerten Spagat. Sie bleiben in der schwarz-grünen Koalition, ziehen den Autobahnbau durch und betonen dabei, dass sie diesen mit ganzer Inbrunst ablehnen. Offenbar soll den Wählern ganz einfach ein Pfannkuchen ohne Ei serviert werden. Ob ihnen der schmeckt, das wird sich an der Urne zeigen.
Realos und Fundis stehen sich noch immer gegenüber