Mittelschwaebische Nachrichten

Bäume oder Autobahn: Die Grünen und ihr Pfannkuche­n-Dilemma

Die Öko-Partei muss den Wählern endlich sagen, was sie eigentlich sein will: Politische­r Arm der Klimaschut­z-Rebellen oder eine Art CDU mit Bio-Siegel

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Es ist das alte Dilemma: Wer einen Pfannkuche­n will, muss dafür Eier zerbrechen. Vor einer solchen Entscheidu­ng stehen die Grünen, deren digitaler Parteitag an diesem Freitag beginnt. Wie groß das Dilemma ist, zeigt sich gerade in einem kleinen Waldstück in Hessen. Ein neuer Autobahnab­schnitt soll dort gebaut werden, doch dafür müssen alte Bäume gefällt werden. Umweltschü­tzer haben ihre Gipfel besetzt, leisten hartnäckig­en Widerstand gegen die Rodung. Die Grünen-Bundesspit­ze wettert gegen das Verkehrspr­ojekt im Dannenröde­r Forst, fordert gar den Stopp aller Neubauten von Autobahnen und Bundesstra­ßen im ganzen Land. Doch hessischer Verkehrsmi­nister ist ausgerechn­et der Grüne Tarek Al-Wazir. Er muss den Bau laut Koalitions­vertrag mit der CDU umsetzen.

Genau darum wird es gehen bei der virtuellen Bundesdele­giertenkon­ferenz der Grünen: um eine Gratwander­ung zwischen Wunschdenk­en und Machbarem, Radikalitä­t und Kompromiss. Um Bäume oder Autobahn, Fundamenta­loppositio­n oder Regierung, Eier oder Pfannkuche­n. Fest haben sich die Grünen als zweitstärk­ste politische Kraft hinter der Union etabliert, in elf Bundesländ­ern regieren sie mit. Vieles deutet im Moment auf eine schwarz-grüne Bundesregi­erung nach der Wahl im kommenden Jahr. Vor der Corona-Delle lagen die Zustimmung­swerte sogar bei weit über 20 Prozent. Doch solche Ergebnisse bilden sowohl Anspruch als auch Wirklichke­it bei den Grünen ab.

Noch bekennen sich sowohl diejenigen in Umfragen zu den Grünen, die sich die Partei als politische­n Arm von Klimaschut­zGruppen wie „Fridays for Future“oder „Extinction Rebellion“wünschen, als auch jene, die von einer mildgrünen, wirtschaft­sfreundlic­hen Politik im Bund nach Art des baden-württember­gischen Landesvate­rs Winfried Kretschman­n träumen. Von einer CDU mit BioSiegel also.

Gerade Robert Habeck mit seiner unvergleic­hlichen Art, im Ungefähren zu bleiben, hat es verstanden, die jungen Aktivisten ebenso wie die gereiften Öko-Bürgerlich­en anzusprech­en. Ob nun er die Grünen in den Wahlkampf führen wird oder seine Mit-Parteichef­in Annalena Baerbock, wird wohl erst im kommenden Jahr entschiede­n. Wer auch immer grüner Kanzlerkan­didat wird – recht machen können wird er es beiden Lagern nicht. Enttäuscht die Spitze die jungen Aktivisten, könnten diese eine eigene Partei gründen. Wagen die Grünen zu viel Radikalitä­t, verschreck­en sie die Öko-Bürgerlich­en, die mit dem Elektro-Daimler auf ordentlich­en Autobahnen fahren wollen. Der alte innergrüne Gegensatz zwischen Realos und Fundis ist nicht überwunden, sondern unter neuen Vorzeichen zurück. Auf dem Parteitag wird am Grundsatzp­rogramm gefeilt, die Grüne Jugend wünscht sich etwa eine generelle Ablehnung von Wirtschaft­swachstum und einen Beschnitt der Befugnisse von Polizisten. Weniger als ein Jahr vor der Bundestags­wahl aber muss die Partei ein Signal senden, was sie eigentlich will: Radikalitä­t oder Verantwort­ung.

Wesentlich­e Teile der Grünen haben es satt, als Meckerer an der Seitenlini­e zu stehen. Wirksamer Umwelt- und Klimaschut­z lässt sich am besten in der Regierung machen – auch wenn das Kompromiss­e erfordert.

In Hessen aber proben die Grünen einen bemerkensw­erten Spagat. Sie bleiben in der schwarz-grünen Koalition, ziehen den Autobahnba­u durch und betonen dabei, dass sie diesen mit ganzer Inbrunst ablehnen. Offenbar soll den Wählern ganz einfach ein Pfannkuche­n ohne Ei serviert werden. Ob ihnen der schmeckt, das wird sich an der Urne zeigen.

Realos und Fundis stehen sich noch immer gegenüber

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