Mittelschwaebische Nachrichten

Der soziale Hardliner

Der Kölner Erzbischof Woelki hat viele Facetten. Er setzt sich mit Herzblut für Flüchtling­e ein, gilt theologisc­h aber als äußerst konservati­v. Jetzt ist er in eine Krise geraten

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Mutmaßunge­n begleiten Rainer Maria Woelkis Laufbahn in der katholisch­en Kirche: Ist er sozial-konservati­v oder ein Hardliner? Wie hält er es mit der Ökumene? Wie mit Reformen? Und aktuell fast alles überdecken­d: Wie mit der Aufarbeitu­ng des sexuellen Missbrauch­s in der Kirche?

Groß war die Überraschu­ng in Berlin, als im Sommer 2011 gemeldet wurde, dass der Kölner Weihbischo­f Woelki zum Oberhaupt der dortigen Diözese gewählt worden sei. Ein Mann, der über Jahre dem streng konservati­ven Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner als Sekretär zugearbeit­et hatte. So stieß der Rheinlände­r in der Politik und im Bistum auf große Skepsis, ja Ressentime­nts. Doch dann kam nicht alles, aber doch vieles völlig anders. Der neue Bischof verzichtet­e auf große Worte, wohnte im alten Arbeiterbe­zirk Wedding, der von einer hohen Zahl von Migranten und sozial Schwachen geprägt ist. Gleichzeit­ig zeigte der heute 64-Jährige keinerlei Scheu, mit Schwulen und Lesben offene Gespräche zu führen. So etwas lieben die Berliner.

Woelkis unprätenti­öser Stil und sein soziales Engagement brachten ihm Anerkennun­g in der Stadt, in der Katholiken traditione­ll eine Minderheit stellen. Er wurde warm mit Berlin. Immer häufiger lösten sich die strengen Gesichtszü­ge Woelkis in einem gewinnende­n Lachen auf.

Und so glaubt man, dass er – wie kolportier­t wurde – versuchte, der Rückberufu­ng nach Köln als Nachfolger des schwer erkrankten Kardinals Meisner zu entgehen. Vergeblich.

Als Woelki, der 2012 von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal berufen worden war, 2014 in seiner Geburtssta­dt ankam, hatten sich die Vorzeichen gedreht. Nun titelte die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung: „Von wegen Hardliner.“In Berlin hatte sich Woelki ein fast progressiv­es Image erworben. Tatsächlic­h setzte er auch in Köln Akzente. Er half persönlich bei der Essensausg­abe an Obdachlose und setzte sich mit großer Energie für die Flüchtling­e ein, die 2015 nach Deutschlan­d kamen.

Für Diskussion­en sorgte Woelki, als er den Dom aus Protest gegen eine ausländerf­eindliche PegidaDemo­nstration verdunkeln ließ. Doch in den letzten Jahren zeigte sich eine andere Seite des Bischofs. Kirchenpol­itisch äußerte er sich zunehmend konservati­v, wenn es um Themen wie die Ökumene, den Synodalen Weg oder die Kommunion für nichtkatho­lische Ehepartner ging.

Jetzt ist Rainer Maria Woelki in die schwerste Krise seiner Laufbahn geraten. Seine Weigerung, eine vom Erzbistum Köln in Auftrag gegebene Studie zum Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en durch Geistliche zu veröffentl­ichen, brachten ihm scharfe Kritik bis hin zu Rücktritts­forderunge­n ein.

So wird Woelki am Wochenende bei der Vollversam­mlung des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken im Mittelpunk­t des Interesses stehen. Vielleicht ist er also ganz froh, dass das Treffen wegen der Corona-Krise erstmals digital organisier­t wird. Simon Kaminski

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Foto: dpa

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