Mittelschwaebische Nachrichten
Wortgefechte und Wasserwerfer
Trotz Demonstrationen stimmt der Bundestag für eine Reform des Infektionsschutzgesetzes. Doch die Debatte verläuft turbulent – und unter der Reichstagskuppel schwebt der Verdacht: Hat die AfD Störenfriede eingeschleust?
Berlin Proteste und dutzende Festnahmen auf der Straße, harte Debatten im Saal: Mit großer Mehrheit haben Bundestag und Bundesrat am Mittwoch den Weg für die Reform des Infektionsschutzgesetzes geebnet. In der geänderten Fassung sollen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus auf eine bessere rechtliche Grundlage gestellt werden. Das Gesetz enthält nun einen konkreten Katalog möglicher Maßnahmen, etwa Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht und Geschäftsschließungen.
Union und SPD verteidigten das Gesetzesvorhaben gegen teils massive Kritik aus AfD, FDP und Linkspartei. So wies die sozialdemokratische Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas Befürchtungen zurück, mit der Reform würden staatliche Befugnisse ausgeweitet. „Genau das Gegenteil ist der Fall“, sagte sie. Statt der bislang per Verordnung erlassenen Corona-Maßnahmen würden gesetzlich mögliche Schutzmaßnahmen konkret aufgelistet.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb um weiteres Vertrauen in der Krise. Ohne einen entschlossenen Kampf gegen die Pandemie drohten steigende Infektionszahlen, Leid auf den Intensivstationen und Kontrollverlust. Mit Blick auf den Teil-Lockdown mit Schließungen vieler Einrichtungen im November sagte Spahn: „Wir haben Tritt gefasst.“Das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen sei gestoppt, „aber wir sind noch nicht über den Berg“. Er begrüßte die Fortschritte bei der Entwicklung eines Impfstoffs, sagte aber: „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird keine Impfpflicht geben.“In Richtung AfD fügte er hinzu: „Hören Sie auf, etwas anderes zu behaupten.“
Die AfD hatte mit einer Plakataktion für eine Unterbrechung der Debatte gesorgt. Sie platzierte in ihren Reihen Plakate, auf denen ein Grundgesetz mit Trauerflor zu sehen war. Solche Aktionen sind im Parlament nicht erlaubt. AfD-Chef Alexander Gauland hatte gewarnt, die Maßnahmen liefen auf eine „Art Diktatur“hinaus. Doch das war nicht alles: Nach übereinstimmenden Medienberichten und Aussagen Abgeordneter hatten zuvor für diesen Tag eigentlich nicht zugelassene Besucher diese bedrängt. Unter anderem sei sogar Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von einer Frau angegangen sein. „In den Bundestag eingeschleuste Personen haben unter anderem versucht in Büros einzelner Abgeordneter einzudringen“, twitterte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast am Mittwoch. „Ich bin fassungslos. Frei gewählte Abgeordnete an Abstimmungen zu hindern und zu bedrängen ist das Allerletzte. Das Ziel: Die Demokratie zersetzen.“Schnell kursierte auch ein Verdacht: AfD-Abgeordnete hätten die Corona-Leugner eingeschleust. Die normalerweise gültige Regelung, wonach Abgeordnete sechs unangemeldete Besucher mit in den Bundestag nehmen können, wurde für den Mittwoch aus Sicherheitsgründen ausgesetzt. Die Unionsfraktion will nun im Ältestenrat des Parlaments den Vorgang aufklären.
Mit der Gesetzesreform ging es dann aber dennoch voran: Die Grünen tragen die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes mit, wollen es aber nachbessern und etwa um einen verbesserten Schutz des Kindeswohls ergänzen. „Einen Schönheitspreis wird er nicht gewinnen“, sagte die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann über den Entwurf. Für die FDP signalisierte Fraktionschef Christian Lindner Ablehnung. Fraktionsvize Stephan Thomae sagte unserer Redaktion: „Trotz Nachbesserung sind verfassungsrechtliche Zweifel weiter nicht ausgeeiniger räumt. Für jedes Infektionsgeschehen muss die Rechtsfolge eindeutig definiert sein.“Bei Betriebsschließungen etwa müsse es die Möglichkeiten geben, wieder zu öffnen, wenn ein Hygieneschutzkonzept vorliege. Seitens der Linksfraktion warnte Jan Korte, die „schreckliche Corona-Krise“dürfe nicht zur Demokratie-Krise werden. Schließlich stimmten 413 Abgeordnete für die Reform. 235 stimmten dagegen, acht Parlamentarier enthielten sich bei der namentlichen Abstimmung.
Später am Mittwochnachmittag kam der Bundesrat zu einer eigens einberufenen Sondersitzung zusammen, um die Gesetzesänderung zu billigen, die die Corona-Maßnahmen auf eine genauere Grundlage stellt. Das Gesetz erhielt auch in der Ländervertretung eine Mehrheit mit 49 von 69 Stimmen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzte das Gesetz noch am Abend mit seiner Unterschrift in Kraft, während sich auch vor dessen Amtssitz Demonstranten versammelten.
Zuvor hatten in Hörweite des Bundestags mehrere tausend Menschen gegen das Gesetz protestiert. Das Gelände unmittelbar vor dem Gebäude war zur Bannmeile erklärt worden. So formierten sich die Demonstranten auf der Straße des 17. Juni vor dem nahen Brandenburger Tor. Unter anderem hatten Querdenker-Initiativen und rechtsgerichtete Gruppen wie die Identitäre Bewegung und Reichsbürger zum Widerstand aufgerufen. Doch wie schon bei vielen der sogenannten
„Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird keine Impfpflicht geben.“Jens Spahn, Gesundheitsminister
Hygiene-Demos seit dem Frühjahr kam eine bunte Mischung an Menschen aus allen Altersgruppen zusammen. Auch Tanz- und Trommelgruppen waren vor Ort, etwa 100 Menschen beteten im Tiergarten. Eine junge Demonstrantin reckte Polizisten ein hölzernes Kruzifix entgegen, andere hatten Luftballons, Trillerpfeifen und Regenbogenfahnen dabei.
Viele Teilnehmer der angemeldeten Protestkundgebung trugen keine Mund-Nase-Maske, an die Einhaltung von Abstandsregeln war im dichten Gedränge ohnehin nicht zu denken. Die Polizei teilte auf Twitter mit, Einsatzkräfte „wurden mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen sowie mit Pfefferspray angegriffen. Sie setzten ihrerseits körperlichen Zwang sowie Pfefferspray ein und nahmen einige Angreifende fest“. Gegen Mittag erklärte die Polizei – mit rund 2000 Kräften im Einsatz – die Veranstaltung wegen der zahlreichen Verstöße gegen die Auflagen für beendet. Doch ein Großteil der Teilnehmer weigerte sich, den Platz zu verlassen. So wurden Wasserwerfer eingesetzt, es kam zu Festnahmen. 365 Personen wurden laut Behörden in Gewahrsam genommen.