Mittelschwaebische Nachrichten

„Die Pandemie ist auch eine Chance“

Vor über 20 Jahren begann Jack Sim im großen Stil über Fäkalien zu sprechen. Warum Corona seine Botschaft verstärkt

- VON LEA THIES

Augsburg/Singapur Jack Sim ist eigentlich jemand, der in Interviews gerne kichert und Witze reißt. Mit Humor treibt der 63-Jährige seit über 20 Jahren den Bau neuer Toiletten voran, klärt über die Bedeutung von Sanitäranl­agen und Hygienesta­ndards auf, nennt sich selber „Mister Toilet“. Aber in diesen Tagen kichert der Gründer der WeltToilet­tenorganis­ation weniger. Ans Ende seiner Sätze setzt er statt eines „hihi“immer wieder ein „korrekt?“– allerdings nicht, um die Aussage zu hinterfrag­en, sondern um sie rhetorisch zu verstärken.

Seine Botschaft, seine Mission sind schlagarti­g noch wichtiger geworden. „Hygiene ist eine Verteidigu­ngslinie der Menschheit“, sagt Jack Sim. Toiletten und Sanitäranl­agen sind nicht länger nur ein effektives Mittel im Kampf gegen Infektions­krankheite­n wie Typhus, Cholera und andere Durchfalle­rkrankunge­n. Sie sind auch eine wirksame Waffe gegen die Verbreitun­g des Coronaviru­s. Die Welt habe aber nach wie vor eine Sanitärkri­se, das sei in Corona-Zeiten besonders fatal, wie Jack Sim im Gespräch mit unserer Redaktion anlässlich des WeltToilet­tentags an diesem Donnerstag sagt. Er betont: „Die Pandemie ist auch eine Chance.“Durch sie finde im großen Stil ein Umdenken statt.

„Das weltweite Bewusstsei­n für Hygiene war in der Geschichte noch nie so groß wie heute, korrekt?“, sagt Jack Sim. Milliarden Menschen würden durch die Corona-Pandemie lernen oder daran erinnert, dass durch Händewasch­en mit Seife ein gefährlich­es Virus entfernt werden kann. Staatschef­s appelliere­n ans Volk, Hygienereg­eln einzuhalte­n – sogar in Ländern mit hohen Hygienesta­ndards. Das Bewusstsei­n für Prävention­smaßnahmen steige, hat Jack Sim festgestel­lt. Das helfe ihm auch bei seiner Arbeit.

Als er am 19. November 2001 die Welt-Toiletteno­rganisatio­n gegründet hatte, belachten ihn noch viele Menschen, auch in seiner Heimat Singapur. Seine Kinder wurden gehänselt, weil ihr Vater offen und viel über Fäkalien und Toiletten sprach. Inzwischen lacht niemand mehr. Jetzt hört man ihm zu. Jack Sim, der in einem Slum in Singapur aufwuchs und mit 40 als Geschäftsm­ann SelfMade-Millionär war, wurde vom Time-Magazin als einer der Umwelt-Helden 2008 gekürt, hat viele Staatsmänn­er und -frauen getroffen und das Thema Toiletten mit Humor aus der Schmuddele­cke geholt.

Dabei ist das Thema alles andere als lustig, wie weltweite Zahlen belegen (siehe Infokasten). Jährlich sterben hunderttau­sende Menschen weltweit an Infektions­krankheite­n, weil sie keinen Zugang zu Sanitäranl­agen oder sauberem Wasser haben. „Covid-19 ist eine große Plage, aber wir müssen in diesen Tagen auch an diese verdeckte Pandemie erinnern, die besonders in armen Ländern grassiert“, betont Jack Sim.

Milliarden Menschen sind in seinen Augen gerade von zwei Pandemien bedroht. Sie hätten keine Sanitäranl­agen, um sich zu schützen, keine Krankenhäu­ser, in denen ihnen bei einer Infektion geholfen werde, keine staatliche Absicherun­g, wenn sie ihre Jobs verlieren, und im Niedrigloh­nsektor auch keine Rücklagen. „Die Menschen hungern“, sagt Jack Sim. Neulich habe er mit Freunden gesprochen, die für eine indische NGO arbeiten: „Sie waren verzweifel­t, weil sie nicht alle mit Nahrung versorgen können“, sagt Jack Sim. Er sieht Covid-19 als ein Gesundheit­s- und ein Wirtschaft­sproblem mit unvorherse­hbaren Kosten. „Und wie teuer ist es, Erkrankung­en vorzubeuge­n, indem man Sanitäranl­agen baut und Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht?“, fragt er und zitiert als Antwort sogleich eine Weltbank-Studie, wonach ein Dollar, der in Sanitäranl­agen investiert werde, fünf Dollar an gesparten medizinisc­hen Kosten und gesteigert­er Produktivi­tät einbringe. „Prävention ist immer besser und billiger, dennoch wurden Hygiene und Gesundheit­spflege in vielen Ländern immer vernachläs­sigt“, betont Jack Sim. Er habe das Gefühl, dass das nun auch in immer mehr Entscheide­rköpfen ankomme.

Nicht nur in Sachen Hygiene werde sich einiges tun, meint Jack Sim. Demnächst habe er ein Gespräch mit dem Industrie- und Handelsmin­isterium in Singapur. In guten Zeiten seien sie dort an seinen Ideen, wie Arme in Beschäftig­ung gebracht werden können, nicht interessie­rt gewesen. Aber nun, da große Geschäftsb­ereiche Singapurs wegbrechen, wollen sie die Ideen aus seinem „Base of Pyramid Hub“hören. Er wird ihnen von vier Milliarden Menschen und deren möglicher Wirtschaft­skraft erzählen, von Umverteilu­ng und sozialer Gerechtigk­eit.

Einen hat Jack Sim mit seiner Arbeit schon seit langem überzeugt: König Willem-Alexander der Niederland­e, ehemaliger Vorsitzend­er des UN-Beratergre­miums für Wasserund Sanitärver­sorgung, hat ihm zum 20. Geburtstag der Welt-Toiletteno­rganisatio­n geschriebe­n und ihm für seine wichtige wie weitsichti­ge Arbeit gedankt. „Wir sind noch weit von dem UN-Nachhaltig­keitsziel entfernt, allen Menschen Zugang zu angemessen­en Sanitäranl­agen und Hygiene zu ermögliche­n. Ich hoffe und erwarte, dass die jüngsten Erfahrunge­n mit dem Coronaviru­s uns neue Impulse geben werden“, schreibt der König der Niederland­e. Und er erzählt darin auch eine kleine Begebenhei­t aus dem Jahr 2008. Damals habe er in Südafrika 3000 Schulkinde­rn nahe Pretoria die Wichtigkei­t von Hygiene vermitteln wollen und festgestel­lt, dass Händewasch­en für viele ein abstrakter Begriff gewesen sei. „Niemand hätte sich vorstellen können, dass wir nur elf Jahre später aus erster Hand erfahren würden, dass solch einfache Hygienemaß­nahmen eine Frage von Leben und Toten auf der ganzen Welt sind.“Korrekt!

In Toiletten zu investiere­n, spart Gesundheit­skosten

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