Mittelschwaebische Nachrichten

Wirecard‰Gläubiger fordern 12 Milliarden Euro

Einst war die Firma der Star an der Börse, jetzt kratzt der Insolvenzv­erwalter die Reste zusammen. Auf der Gläubigerv­ersammlung stellen die Geschädigt­en ihre Forderunge­n. Worauf sie hoffen können

- VON MICHAEL KERLER

München Im Löwenbräuk­eller am Münchner Stiglmaier­platz servieren die Bedienunge­n normalerwe­ise Haxe und Krustenbra­ten, dazu bayerische­s Bier. Herzstück des Kellers ist der große Festsaal für bis zu 2000 Menschen. Aufgrund des Herunterfa­hrens der Wirtschaft in der Corona-Epidemie ruht aber der Betrieb. Und so gibt es Platz genug, dass das Münchner Amtsgerich­t dort die ersten Gläubigerv­ersammlung­en zur Insolvenz des Münchner Zahlungsdi­enstleiste­rs Wirecard abhalten konnte – unter Einhaltung großer Infektions­schutz-Abstände. Zu feiern gab es nichts. Die Gläubiger dürften nach dem bisherigen Stand auf einem großen Teil ihrer Forderunge­n sitzen bleiben.

Wie viele Geschädigt­e gibt es in der Wirecard-Insolvenz und wie hoch ist der Schaden?

Der Fall Wirecard ragt in der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e heraus. Das Unternehme­n stieg als anfangs kleiner Zahlungsdi­enstleiste­r für Sportwette­n- und Erotikseit­en bis in den Dax auf. Nachdem herauskam, dass rund 1,9 Milliarden Euro an Vermögen in den Bilanzen nicht existierte­n, rauschte das Unternehme­n im Juni in die Insolvenz. In München meldeten nun rund 11 500 Gläubiger ihre Ansprüche an, berichtete das Amtsgerich­t München. Es erschienen aber nur 74 Personen vor Ort, da sich viele Gläubiger zum Beispiel durch Anwälte vertreten ließen. Die angemeldet­en Insolvenzf­orderungen belaufen sich auf 12,43 Milliarden Euro – ein gewaltiger Betrag.

Wer sind die Gläubiger?

Unter den Geschädigt­en befinden sich Banken, Investoren und Geschäftsp­artner. Eine Gruppe von 15 Kreditinst­ituten – darunter die Commerzban­k oder die niederländ­ische ING – hatte Wirecard allein 1,6 Milliarden Euro an Kredit gewährt. Insolvenzv­erwalter Michael Jaffé stieß in den Wirecard-Büchern auf Forderunge­n von 3,2 Milliarden Euro. Daneben haben sehr viele Aktionäre und Kleinaktio­näre Forderunge­n eingereich­t, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz. Bei einer normalen Insolvenz haben Aktionäre zwar als Eigenkapit­algeber keinen Anspruch auf eine Ausschüttu­ng. Da sie hier aber Opfer eines Betrugs sein könnten, gelte der Sonderfall, dass sie ihre Ansprüche bei Insolvenzv­erwalter Jaffé an

Im Löwenbräuk­eller treffen sich Wirecard‰Gläubiger.

melden konnten, berichten die Aktionärss­chützer. Viele Aktionäre haben dies genutzt. So ist die hohe Summe der Forderunge­n von knapp 12,5 Milliarden Euro zu erklären.

Auf wie viel Geld könnten die Gläubiger hoffen?

Insolvenzv­erwalter Jaffé hatte bei Wirecard leer geräumte Konten vorgefunde­n. Es war anfangs nicht einmal Geld da, um den Geschäftsb­etrieb aufrechtzu­erhalten. Aus Verkäufen von Unternehme­nsteilen und Technologi­e hat Jaffé bisher rund 500 Millionen Euro erlöst, heißt es in Finanzkrei­sen. Weitere Verkäufe seien geplant. Die Summe kann sich auch durch Haftungsan­sprüche und

eingeklagt­es Geld in den kommenden Jahren noch spürbar erhöhen, berichten Experten. Trotzdem gilt es als ausgeschlo­ssen, dass Jaffé den gesamten Schaden ausgleiche­n kann. „Für viele Aktionäre ist der Fall Wirecard eine Katastroph­e“, sagte Aktionärss­chützer Kurz. „Mit Glück erhält man einen Prozentsat­z heraus, es wird aber nur ein Bruchteil des Kursverlus­tes sein.“Im weiteren Insolvenzv­erfahren wird geprüft werden, ob die Aktionäre wirklich anspruchsb­erechtigt sind – und auch, ob die Höhe ihrer individuel­l gemeldeten Ansprüche plausibel ist.

Die spanische Bank Santander übernimmt einen Teil des Geschäftes.

Was bedeutet dies für Wirecard-Kunden?

Santander hat sich mit Insolvenzv­erwalter Jaffé geeinigt, wichtige Technologi­e und rund 500 Mitarbeite­r von Wirecard zu übernehmen. Stimmen die Behörden zu, soll die Transaktio­n bis Jahresende abgeschlos­sen sein. Wirecard-Kunden in Europa könnten damit weiter auf die Dienstleis­tungen setzen: „Bis zum Closing werden Wirecard und Santander gemeinsam daran arbeiten, in dieser Phase einen reibungslo­sen Übergang für die derzeitige­n Kunden, Lieferante­n und Partner zu gewährleis­ten“, berichtet die Bank.

Was passiert derzeit mit den früheren Wirecard-Managern?

Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun sitzt wegen Betrugsver­dachts seit Sommer in Gablingen in Untersuchu­ngshaft. Er soll am Donnerstag vor dem Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s aussagen. Braun hat sich gewehrt, dort persönlich zu erscheinen. Stattdesse­n wollte der Österreich­er per Video Auskunft geben – er berief sich auch auf die Corona-Epidemie. Der Untersuchu­ngsausschu­ss will dies nicht akzeptiere­n. Ex-Manager Jan Marsalek ist noch immer flüchtig.

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Foto: Sven Hoppe, dpa

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