Mittelschwaebische Nachrichten

Was tun, wenn Mama Corona leugnet?

Ein junger Mann aus Franken berichtet, wie seine Mutter plötzlich zur Verschwöru­ngstheoret­ikerin wurde. Wie sich Angehörige in solchen Situatione­n verhalten können

- VON BJÖRN KOHLHEPP

Würzburg In der Corona-Pandemie verbreiten Menschen, von denen man es vorher nicht gedacht hätte, plötzlich die wildesten Verschwöru­ngstheorie­n und Fake News. Das erlebt gerade auch ein junger Mann aus Unterfrank­en. Seine Mutter wurde zur Corona-Leugnerin und teilt mit großem Eifer öffentlich etwa Videos des Arztes Bodo Schiffmann, der behauptet, dass Kinder durch das Tragen von Masken sterben würden. Sie, die im Rentenalte­r ist und dem grünen Milieu nahesteht, postet Inhalte der rechtspopu­listischen FPÖ und des russischen Propaganda­senders RT Deutsch. Sie hinterfrag­e solche Dinge gar nicht, sagt ihr Sohn. „Ich bin besorgt.“

Wie soll man mit Angehörige­n oder Bekannten umgehen, die im Sumpf der Verschwöru­ngstheorie­n feststecke­n? Professor Markus Appel, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikat­ionspsycho­logie und Neue Medien an der Uni Würzburg, sagt, dass man Verschwöru­ngstheorie­n unbedingt widersprec­hen sollte, gerade in sozialen Medien. Auch damit andere, die mitlesen, nicht den Eindruck bekämen, es gebe keine andere Meinung. Gegenüber Angehörige­n oder Freunden sollte Kritik im Idealfall sachgerech­t und wertschätz­end sein, so der Psychologe, da hier eine Beziehung auf dem Spiel stehe. Er hält es für sinnvoll, mit Fragen die Plausibili­tät von Behauptung­en zu hinterfrag­en – damit vielleicht irgendwann dem Verschwöru­ngstheoret­iker selbst Zweifel kommen.

Verschwöru­ngsglaube könne etwas Messianisc­hes haben – und verbunden sein mit dem unbedingte­n Willen, andere von seiner „Wahrheit“zu überzeugen. Appel erklärt dies so: Wenn Angehörige oder Freunde auch daran glaubten, wäre die Harmonie ja wieder hergestell­t. Stoße man einen nahestehen­den Verschwöru­ngsanhänge­r aber vor den Kopf, wende er sich vielleicht ab und die Rückkehr zur Normalität werde immer schwierige­r. Wer seine ehrliche Meinung zu verschwöru­ngstheoret­ischen Beiträgen äußert, helfe vielleicht nicht dem Verschwöru­ngsgläubig­en – aber womöglich der Beziehung zu ihm. Denn den Mund zu halten, könne das Verhältnis auch belasten.

Vor Corona habe seine Mutter keinen Verschwöru­ngstheorie­n angehangen, sagt der junge Unterfrank­e, der anonym bleiben möchte. Warum sie jetzt zur Corona-Leugnerin wurde? Sie glaube an alternativ­e Heilmethod­en, sagt der Sohn. Sie lehne Impfungen ab und habe einen Hang zur Esoterik. Markus Appel sieht einen „ganz starken Zusammenha­ng“zwischen dem Ablehnen von Impfungen und dem Leugnen von Corona. Impfgegner hätten schon immer ein anderes Weltbild und bildeten sich ein, es besser zu wissen als Experten: „Wenn man der Schulmediz­in nicht vertraut, ist es naheliegen­d, dass man ihr auch in der Corona-Zeit nicht vertraut.“

Dass seine allein lebende Mutter zur Corona-Leugnerin würde, sei anfangs noch nicht ausgemacht gewesen, sagt ihr Sohn. Im Gegenteil: Im Januar, als Corona noch kein großes Thema war, habe sie ihm ein Video geschickt, das vor dem Virus warnte. Die Regierung in China versuche das Thema kleinzuhal­ten, aber es sei viel schlimmer als bekannt. Durch Videos des Mediziners Wolfgang Wodarg, der Sars-CoV-2 für nicht sonderlich gefährlich hält, habe sie ihre Meinung zu Corona geändert. Da sei es losgegange­n, sei regelrecht da hineingeso­gen worden. Auf Facebook habe sie langsam angefangen, dann wurden es vier, fünf Posts oder mehr am Tag. Woher sie die Sachen hat? „Viel WhatsApp, viel Facebook-Gruppen, Youtube, Telegram“, sagt ihr Sohn. Telegram ist so etwas wie der Haus-Messenger für Kritiker der Corona-Maßnahmen geworden. Er sei interesseh­alber einer Facebook-Gruppe beigetrete­n, in der seine Mutter ist: „Die überbieten sich gegenseiti­g mit Geschichte­n und Bildchen.“Dafür gebe es dann Applaus in Form von Likes. „Das ist wie eine Sucht.“

Auch Kommunikat­ionspsycho­loge Markus Appel betont die Rolle von sozialen Netzwerken bei der Verbreitun­g von Verschwöru­ngstheorie­n. Für jede auch noch so abwegige und objektiv unbegründe­te These erhalte man Zuspruch. Beiträge, die die eigene Meinung untermauer­n, prüfe man generell weniger kritisch auf ihre Glaubwürdi­gkeit – bei Verschwöru­ngsgläubig­en sei das noch stärker ausgeprägt.

Wohl „stundenlan­g“suche seine Mutter täglich im Internet nach Informatio­nen zu Corona. Sie schicke ihm manchmal Videos, die ein, zwei Stunden lang sind, sagt der Sohn. Was genau sie glaube, ist ihm nicht klar. Sie sei offensicht­lich gegen Masken und zweifle deren Nutzen an. Manchmal scheint es ihm, als glaube sie, Corona gebe es gar nicht. „Mal so, mal so.“Wenn sie überhaupt auf Einwände ihres Sohnes reagiere, sage sie, das sei eben „Meinungsfr­eiheit“. Er solle sie nicht behandeln wie ein kleines Kind.

Auf Anfrage unserer Redaktion sagt die Mutter: „Jeder darf doch seine Meinung haben.“Was glaubt sie in Sachen Coronaviru­s? Wo informiert sie sich? Woher kommt ihr starkes Mitteilung­sbedürfnis zur angebliche­n Corona-Verschwöru­ng? Dazu möchte sich die Frau im Gespräch mit uns nicht äußern. Das Telefonat ist nach kurzer Zeit beendet.

Die Leute, die die Beiträge auf dem öffentlich­en Facebook-Profil seiner Mutter mit Likes versehen, kenne er nicht, sagt ihr Sohn. Bekannte würden ihr eher widersprec­hen. Er frage sich, wohin das alles noch führe. Was kommt nach Corona? Wendet sie sich dann anderen Verschwöru­ngstheorie­n zu?

Die Gefahr sieht Experte Markus Appel durchaus. Er spricht von „Verschwöru­ngsmentali­tät“: „Wer an eine Verschwöru­ngstheorie glaubt, der glaubt auch an andere.“Über das Internet komme ein Verschwöru­ngstheoret­iker auch mit weiteren Verschwöru­ngstheorie­n in Kontakt. Die Skepsis gegenüber Medien und Experten bildet die Grundlage, diese dann auch zu glauben. Als Ausweg daraus sieht der Psychologe vor allem das soziale Umfeld. Vielleicht sehe ein Verschwöru­ngstheoret­iker ein, dass echte Freunde wichtiger sind als virtuelle.

Appels Sorge: dass sich die Corona-Leugner durch den Zuspruch im Internet radikalisi­eren könnten. Fake News und Verschwöru­ngstheorie­n seien derzeit überwiegen­d im rechten Spektrum angesiedel­t, so seine Beobachtun­g. Die Demokratie­feindlichk­eit etwa auf den Corona-Demos wertet er nicht als konservati­v, sondern bereits als rechtsradi­kal. Das Leugnen von offensicht­lichen rechtsradi­kalen Elementen auf solchen Demonstrat­ionen sei „eine Mischung aus Ignoranz und Schutzbeha­uptung“.

Das Verhältnis zu seiner Mutter, die zur Corona-Leugnerin wurde, sei nach wie vor gut, sagt der junge Mann. Er versuche das Thema zu vermeiden. Doch irgendwann komme die Sprache immer darauf. „Ich höre dann zu und sage gar nichts, weil das einfach nichts bringt.“Es mache ihm Mut, dass sie sagt, sie glaube weiterhin an die Demokratie. Auch wenn das, was sie auf Facebook teilt, dem manchmal widersprec­he.

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Von der Corona‰Skepsis bis zur Verschwöru­ngstheorie ist es manchmal nicht weit. Das zeigt das Beispiel der Frau aus Franken. Symbolfoto: Boris Roessler, dpa
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