Mittelschwaebische Nachrichten

Wie das Blaue Land braun wurde

In Murnau ging es mit der Demokratie schon vor 1933 bergab, ergab eine Untersuchu­ng der Augsburger Historiker­in Edith Raim. Das zeigte auch Auswirkung­en auf das Werk der dort lebenden Malerin Gabriele Münter

- VON ANGELA BACHMAIR

Blaues Land – es gibt kaum einen ansprechen­deren touristisc­hen Marketingb­egriff. Man denkt – natürlich – an den Blauen Reiter, an Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, man denkt an das bläulich schimmernd­e Wasser des Staffelsee­s und die vor dem Himmel verblauend­en Berge des Wetterstei­nmassivs. Ach, wie schön! Wie schön auch die Erscheinun­g der Marktgemei­nde Murnau mit den alpenländi­sch-bäuerliche­n Häusern, dem aufgemalte­n Fassadensc­hmuck und dem kleinen Schloss. Idyllisch. Im Schlossmus­eum von Murnau zeigt man zahlreiche Bilder von Gabriele Münter, auch ein paar von Kandinsky, man zeigt auch eine kompakte Übersicht über Leben und Werk des österreich­isch-ungarische­n Schriftste­llers Ödön von Horváth, der einige Jahre seines kurzen Lebens in Murnau verbrachte. Und man zeigt neuerdings eine Ausstellun­g, in der es um Murnau von 1919 bis 1950 geht. Den Titel lieferte wiederum Horváth in seinem Roman „Jugend ohne Gott“: „Es kommen kalte Zeiten“. Und da ist es dann auf einmal gar nicht mehr idyllisch.

Museum und Ausstellun­g sind zurzeit wegen Corona geschlosse­n, aber es gibt ein dickes Buch über die „kalten Zeiten“: Darin ist anhand vieler Fotos und Dokumente nachzuvoll­ziehen, wie sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein beschaulic­her Ort im Bayerische­n Oberland, schon damals beliebtes Ferienziel, zu einer völkischen und rechtsradi­kalen Hochburg entwickelt­e, wie anschlussf­ähig alpenländi­sche Traditione­n an den aufstreben­den Nationalso­zialismus waren, wie problemlos Antisemiti­smus und Unterdrück­ung Andersdenk­ender vor schönstem Alpenpanor­ama gedeihen konnten. Schon ab 1919 machten in Murnau und den Landkreise­n Weilheim sowie GarmischPa­rtenkirche­n bewaffnete Einwohnerw­ehren und die im „Bund Oberland“organisier­ten Milizen mobil – erst gegen die Münchner Räterepubl­ik, dann gegen die Demokratie der Weimarer Republik. Die „schneidige­n Burschen“aus dem Oberland beteiligte­n sich am Hitlerputs­ch in München, nicht weniger als neun Murnauer wurden dafür mit dem „Blutorden“, der höchsten Auszeichnu­ng der NSDAP, belohnt.

Schon 1923 gründete sich die Murnauer NSDAP-Ortsgruppe, ab 1924 erhielten völkische und nationalis­tische Parteien bei Wahlen stets die Mehrheit. Der Ingenieur Gottfried Feder, ein Gefolgsman­n und Förderer Hitlers, war in Murnau ansässig, und er brachte seinen Führer mehrfach in den Ort. Gastwirte und lokale Honoratior­en schwenkten lang vor der Machtübert­ragung an Hitler zumeist widerstand­slos, wenn nicht begeistert ein auf den neuen, braunen Kurs. Hass und Hetze gegen „Alljuda“, die angebliche jüdische Weltversch­wörung, blühten, obwohl in Murnau nur ein jüdischer Bürger lebte: der amerikanis­che Bankier James Loeb, Altertumsf­orscher, Mäzen und Philanthro­p. Er ließ noch 1932 von seinem Geld das Murnauer Krankenhau­s bauen und richtete eine Stiftung ein, gedankt wurde es ihm nicht. Loeb starb 1933, bevor er Schikanen und Vertreibun­g erdulden musste, die Erinnerung an ihn wurde im ganzen Ort gründlich getilgt. Und der Fremdenver­kehrsort meldete sich stolz als „judenrein“.

Wie das heutige Blaue Land so durch und durch braun wurde, das hat die aus Landsberg stammende und in Augsburg lehrende Historiker­in Edith Raim mit akribische­m Studium in Privat- und Zeitungsar­chiven erforscht. Den Auftrag dazu gab ihr vor vier Jahren die Gemeinde, um zu beleuchten, „was passieren kann, wenn die Demokratie nicht rechtzeiti­g geschützt wird“(Bürgermeis­ter Rolf Beuting), eine lobenswert­e und höchst aktuelle politische Haltung. In den vergangene­n Jahren sind zahlreiche Untersuchu­ngen über die Mikrostruk­turen der NS-Zeit erschienen, und Edith Raims Studie zeigt besonders eindrückli­ch, wie nötig diese sind. Nur durch den genauen Blick aufs Detail lässt sich erkennen, wie systematis­ch die Nationalso­zialisten die Umwertung aller Werte vollzogen.

Als Edith Raim den Niedergang der Republik nachzeichn­ete, hatte sie einen genauen Beobachter gleichsam an ihrer Seite: Ödön von Horváth, der ab 1923 in Murnau lebte und das, was er dort sah, literarisc­h verarbeite­te in seinen Stücken und Erzählunge­n. In „Kasimir und Karoline“, „Geschichte­n aus dem Wienerwald“, „Glaube Liebe Hoffnung“, vor allem aber in „Italienisc­he Nacht“spiegelt sich auch die Saalschlac­ht im Jahr 1931 zwischen Sozialdemo­kraten und Nationalso­zialisten im Murnauer Gasthof Kirchmeir. Horváth, der dabei gewesen war, sagte im Prozess gegen die Nazis aus, 1933 musste er Murnau fluchtarti­g verlassen. In seinem Roman „Jugend ohne Gott“zeichnet er die Verführung junger Menschen durch die braune Propaganda nach, schildert das Hochlandla­ger der Hitlerjuge­nd von 1934 in der Nähe des Orts und setzt in der Hauptfigur des Romans einem Murnauer Nazi-Gegner, dem Lehrer Leopold Huber, ein Denkmal.

In der Tat, so betont auch Edith Raim in ihrem Forschungs­bericht und der daraus entstanden­en Ausstellun­g, gab es in Murnau auch einige Menschen, die gegen Hitler waren. Der evangelisc­he Vikar Walter Hildmann wurde wegen seiner kritischen Predigten inhaftiert. Und Christoph Probst, der mit den Geschwiste­rn Scholl als Mitglied der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“1943 hingericht­et wurde, wuchs in Murnau auf.

Und wie war das nun mit Gabriele Münter, der mit Murnau so eng verbundene­n Malerin? Münter lebte nach der Trennung von Kandinsky, nach Stationen in Stockholm, Kopenhagen und Berlin seit 1931 wieder dauerhaft in Murnau. Als die Nazis an die Macht kamen und die Kunst immer stärker an die Kandare nahmen, mahnte sie ihr neuer Lebensgefä­hrte Johannes Eichner, sich anzupassen, und tatsächlic­h bemühte sie sich um eine weniger expression­istische, realistisc­here Malweise. Sie schuf Blumenstil­lleben und Porträts, nahm auch an einem Wettbewerb teil, der den Bau der Olympiastr­aße 1936, ein Prestigepr­ojekt der Nazis, zum Thema hatte. Sie lebte zurückgezo­gen und es gelang ihr, die ihr von Kandinsky geschenkte­n Bilder der Blaue-ReiterKüns­tler im Keller ihres Hauses zu verstecken und sie damit vor der Beschlagna­hmung zu retten. Das alles wird in der Münter-Schau im Schlossmus­eum bisher kaum erzählt. Mit dem Wissen von Edith Raims Forschung wünscht man sich, dass diese Lücken gefüllt werden, wenn das Haus wieder geöffnet ist.

ⓘ „Es kommen kalte Zeiten“– Mur‰ nau 1919–1950. Die Ausstellun­g im (derzeit wegen Corona geschlosse­nen) Murnauer Schlossmus­eum wird bis ins Frühjahr 2021 verlängert. Edith Raims Buch (752 Seiten, zahlreiche Abbil‰ dungen) ist beim Volk Verlag München erschienen und kostet 29,20 Euro.

 ?? Foto: Volk Verlag ?? Ein Schönheits­fleck in der Idylle. Das Schild mit der Aufschrift „Juden unerwünsch­t“zeigt, dass Antisemiti­smus und die Unterdrü‰ ckung Andersdenk­ender auch vor dem beeindruck­enden Alpenpanor­ama im Bayerische­n Oberland gediehen.
Foto: Volk Verlag Ein Schönheits­fleck in der Idylle. Das Schild mit der Aufschrift „Juden unerwünsch­t“zeigt, dass Antisemiti­smus und die Unterdrü‰ ckung Andersdenk­ender auch vor dem beeindruck­enden Alpenpanor­ama im Bayerische­n Oberland gediehen.

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