Mittelschwaebische Nachrichten

Egenhofer müssen Straßenaus­bau nicht zahlen

Der lange Streit zwischen der Gemeinde Kammeltal und den Anwohnern um Beitragsza­hlungen hat ein überrasche­ndes Ende. Am Ende gibt es viel Lob für den neuen Bürgermeis­ter – und harsche Kritik am Vorgänger

- VON HEIKE SCHREIBER

Kammeltal/Egenhofen Wären da nicht die Corona-Pandemie und die damit verbundene­n Einschränk­ungen, die Bürger des Kammeltale­r Ortsteils Egenhofen hätten am Dienstagab­end die Sektkorken knallen lassen und ausgelasse­n zusammen gefeiert. Stattdesse­n herrschte nach beendeter Sitzung des Gemeindera­ts nur verhaltene­r Jubel und „einfach nur Erleichter­ung“, wie es eine Anwohnerin ausdrückte. Dabei hatte kurz zuvor das Gremium etwas beschlosse­n, wovon keiner der Egenhofer mehr zu träumen gewagt hatte: Mit deutlicher Mehrheit wurde entschiede­n, dass die Bürger für den Straßenaus­bau keine Beiträge zahlen müssen.

Kurz vor Sitzungsbe­ginn in der Wettenhaus­er Schulturnh­alle hatte Bürgermeis­ter Thorsten Wick (Bürgernahe­s Kammeltal) noch befürchtet, dass es überhaupt nicht zu einem Beschluss kommen könnte. Denn die Verwaltung hatte zwar fristgerec­ht die Unterlagen an alle Räte verschickt, aber vergessen, schriftlic­h zur Sitzung einzuladen. So musste Wick abstimmen lassen und zum Glück erhob kein Rat Einspruch, sonst hätten die Sitzung verschoben und damit auch die vielen Zuschauer wieder nach Hause geschickt werden müssen. Das Thema Straßenaus­bau in Egenhofen hatte in den vergangene­n Jahren die Anwohner elektrisie­rt und sie natürlich auch am Montag auf den Plan gerufen – so zahlreich, dass die verschiebb­aren Hallentüre­n geöffnet wurden und noch mehr Platz als für die erlaubten 25 geschaffen wurde.

Wie sehr das Thema auch den Bürgermeis­ter emotional mitnimmt, obwohl er erst seit Mai im Amt ist, machte er schnell deutlich: „Der Punkt bereitet mir seit Monaten Kopfzerbre­chen und schlaflose Nächte. Es ist eines der schwierigs­ten Themen, die es gibt.“Er habe jedoch mit seinem Amtsantrit­t zugesicher­t, den Fall prüfen zu lassen und das habe er getan.

Ein kurzer Rückblick: Unter dem ehemaligen CSU-Bürgermeis­ter Matthias Kiermasz war der Ausbau im Jahr 2016 forciert worden, aus Sicht der Verwaltung habe die Dorfstraße dringend und so bald wie möglich ausgebaut werden müssen. Zwar bestand die Straße seit Jahrzehnte­n, sie sei aber nur staubfrei gebaut worden. Sie müsse erweitert und gepflaster­t werden und es brauche breite Gehwege, so die Verwaltung damals. Der Gemeindera­t sprach sich ebenfalls dafür aus, während sich die Anwohner vehement dagegen wehrten, den „Luxusausba­u“anprangert­en und aufgrund massiver Beitragsza­hlungen um ihre Existenzen fürchteten – die Anlieger hätten bis zu 90 Prozent der Herstellun­gskosten tragen müssen.

Aus ihrer Sicht handelte es sich nicht um einen Erstausbau, sodass die Gemeinde keine Beiträge abrechnen dürfte. Sie schalteten einen Anwalt ein, drohten mit Klage. Das Projekt wurde trotzdem abgesegnet, im Dezember 2018 wurden Planungen vergeben und Ende 2019 die Bauarbeite­n nach neun Monaten abgeschlos­sen. Im Oktober 2019 entschied der damalige Kammeltale­r Gemeindera­t endgültig, dass die Anwohner des Ortsteils für den Ausbau Gebührenbe­scheide erhalten. Eine juristisch­e Klärung schien unausweich­lich. Da jedoch der damalige Bürgermeis­ter Matthias Kiermasz bei der Kommunalwa­hl im März abgewählt wurde, musste dies nun sein Nachfolger Thorsten Wick in die Hand nehmen. Wie er im Gemeindera­t schilderte, habe er keine Behörde und kein Amt ausge

Er habe Gespräche mit dem Landratsam­t, dem Bayerische­n Gemeindeta­g, dem Rechtsanwa­lt geführt – alle hätten Bedenken gehabt. Im Oktober habe ein abschließe­ndes Gespräch mit der Kommunalau­fsicht am Landratsam­t stattgefun­den mit dem Ergebnis: Sollten die Bescheide bei den Bürgern im Briefkaste­n landen, würde die Behörde sie wieder einkassier­en. Also begann Wick zufolge die Verwaltung Rechtsgrun­dlagen zu sichten, historisch­e Unterlagen und Straßen zu beleuchten, alte Gemeindera­tsbeschlüs­se zu durchforst­en.

Dem Bürgermeis­ter zur Seite stand dabei Ernst Walter, seit 1. Oktober Geschäftsf­ührender Beamter und Kämmerer der Gemeinde Kammeltal. Wie er selbst im Rat erklärte, habe er die Vorgeschic­hte nicht gekannt und sei vorurteils­frei herangegan­gen. Während seiner anschließe­nden Darstellun­g wurde schnell klar, mit welch „äußerst schwierige­m und komplizier­tem Rechtsgebi­et“die Gemeinde sich befassen musste. Um überhaupt Erschließu­ngsbeiträg­e erheben zu dürfen, müssen Walter zufolge diverse Voraussetz­ungen erfüllt sein. Deshalb habe er die komplette Baumaßnahm­e nicht als einzelne Anlage betrachtet, sondern sie in vier Teile zerlegt.

Wie der Kämmerer zeigte, ist ein Teil bereits in einer historisch­en Karte der Bayerische­n Vermessung­sverwaltun­g dargestell­t, habe schon vor Jahrzehnte­n eine Erschließu­ngsfunktio­n gehabt und gelte somit rechtlich als endgültig erschlosse­n. Wieder bei einem anderen Teil sei eine Beitragser­hebung längst verjährt. Zwei Streckenab­schnitte seien schon in der Vergangenh­eit fälschlich­erweise als Straßenaus­bau abgerechne­t worden. Zusammenfa­ssend machte Bürgermeis­ter Wick klar, dass sämtliche Egenhofer Straßen bereits vor Jahren erstmalig hergestell­t worden seien, sodass keine Erschließu­ngsbeiträg­e mehr erhoben werden dürften.

Am Ende fielen die Abstimmunl­assen. gen für die vier verschiede­nen Straßenabs­chnitte eindeutig aus. Lediglich drei Räte, die alle auch schon in der vergangene­n Legislatur­periode im Gremium gesessen waren, sprachen sich gegen den Beschluss aus, keine Erschließu­ngsbeiträg­e zu erheben. Durch die Bank gab es Lob für den Bürgermeis­ter und seinen Kämmerer und gleichzeit­ig massive Kritik am Vorgänger. Daniel Thanner (Freie Wählervere­inigung) sprach aus, was viele dachten: „Warum in Gottes Namen ist das damals nicht alles so geprüft worden?“Von anderen Räten folgten Worte wie „Frechheit, was hier durchgezog­en wurde“und „man hätte sich viel Ärger sparen können“.

Bernhard Grüner (Bürgerbloc­k Ettenbeure­n-Egenhofen-Unterrohr) nahm kein Blatt vor den Mund: „Was hier gelaufen ist, ist sehr traurig. Leider ist die Person, die das zu verantwort­en hat, nicht da.“Beifall aus dem Publikum erntete sein Kollege Helmut Ahrens: „Sie legen uns etwas so Fundiertes nach wenigen Wochen vor, was die alte Verwaltung in Jahren nicht zustandege­bracht hat. Man muss sich bei den Bürgern von Egenhofen entschuldi­gen.“

Bleibt am Ende ein großes Problem, das Zweiter Bürgermeis­ter Jürgen Kornelli (Einheitsli­ste Oberes Kammeltal) ansprach: „Wir haben nichts zu verschenke­n. Uns fehlen Millionen, wo sollen die herkommen?“Genau gesagt muss die Gemeinde nun die gesamten Straßenbau­kosten von etwa 1,2 Millionen Euro tragen. Wie der Kämmerer erklärte, seien Erstattung­sansprüche an mehrere Voraussetz­ungen geknüpft, die die Gemeinde in einem Punkt leider nicht erfülle: Das Vergabever­fahren für die erste Bauleistun­g hätte bis April 2018 eingeleite­t werden müssen.

Tatsächlic­h erfolgte dies erst im Dezember 2018. Eine Anfrage bei der Regierung von Schwaben habe ergeben, dass eine Erstattung nicht möglich sei. Trotzdem waren sich die Räte am Ende einig, es wagen zu wollen und einen Antrag zu stellen. Auf die Frage, ob am Ende sogar der damalige Bürgermeis­ter Kiermasz haftbar gemacht werden könne, wollte sich die Gemeinde nicht äußern.

Und die Egenhofer? Die freuten sich am Ende ziemlich verhalten. „Ich bin einfach nur glücklich“, sagte einer. Eine andere Anwohnerin verriet, dass sie endlich wieder ruhig schlafen könne. Wie es der Zufall wolle, habe sie am selben Tag eine Miniflasch­e Wein geschenkt bekommen. „Die werde ich mir jetzt noch gönnen.“

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Dorfstraße im Kammeltale­r Ortsteil Egenhofen war im vergangene­n Jahr ausgebaut worden. Jetzt hat der Gemeindera­t ent‰ schieden, dass die Anwohner keine Straßenaus­baubeiträg­e zahlen müssen.

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