Mittelschwaebische Nachrichten

Ihre Mutter will leben

Krankheit „Bitte helft unserer Mama“: Die fünf Kinder einer Frau aus Illertisse­n sammeln Spenden für eine wichtige Behandlung. Nach langer Therapie sind die Ersparniss­e erschöpft

- VON ANNA KATHARINA SCHMID

Illertisse­n Die Begriffe gehen den Frauen leicht über die Lippen. Dickdarmkr­ebs im Stadium T4, eine Chemothera­pie mit zwölf Zyklen, Metastasen im Bauchfell, Infusionen. Jennifer und Jessica Kraus erzählen routiniert von der Krankheits­geschichte ihrer Mutter, bis es an die neuesten Entwicklun­gen geht und sie ins Stocken kommen.

Die beiden Frauen aus Illertisse­n haben mit ihren drei jüngeren Geschwiste­rn eine Spendenkam­pagne für ihre Mutter Silke gestartet. Der Aufruf auf der Seite „Gofundme“(auf Deutsch: Fördere mich) ging am 3. November online, mit dem Titel: „Bitte helft unserer Mama“. Das Ziel der fünf Geschwiste­r sind 50 000 Euro. Sie wollen ihrer Mutter eine teure Behandlung finanziere­n, die ihr helfen könnte: „Das ist unsere letzte Chance“, sagt Jennifer Kraus. Freunde und Bekannte teilten den Aufruf, die Solidaritä­t ist groß: Am Montag waren 24400 Euro erreicht.

Bis zu der Diagnose Dickdarmkr­ebs war es ein weiter Weg. Ihre Mutter habe im Jahr 2016 häufig Bauchschme­rzen bekommen und sei mehrmals zusammenge­brochen, erzählt Jennifer Kraus. Erst nach Wochen im Krankenhau­s fanden die Ärzte den Tumor. „Am Anfang haben wir das Ganze gar nicht realisiert. Aber nach ein paar Tagen hat es richtig geknallt“, sagt Jessica Kraus. Ihre 28-jährige Schwester Jennifer fügt hinzu: „Für uns ist eine Welt zusammenge­brochen.“

Nach der Operation schien die Krankheit überstande­n – bis Ärzte zwei Jahre später an der Bauchwand eine große Metastase fanden. Diesmal bekam Silke Kraus eine Chemothera­pie, eine Operation war nicht möglich. „Das ist einer der aggressivs­ten Tumore“, sagt Jennifer Kraus. Im Krankenhau­s in Ravensburg gaben die Ärzte der kranken Frau nur noch Wochen zu leben. Operieren sei nicht möglich, sie sprachen von dem Tumor in den Organen als einer „Wundertüte“.

Die Kinder wollten nicht aufgeben. Jennifer und Jessica Kraus telefonier­ten mit Ärzten in ganz Süddeutsch­land – und fanden einen Spezialist­en in München.

Es gelang ihm, in einer zehnstündi­gen Operation den Tumor zu entfernen. Die Erleichter­ung war groß. Doch sie währte nur kurz. 2019 kehrte der Krebs zurück: Erneut folgte eine Chemothera­pie, erneut sah es gut aus. Im Juli 2020 war der Tumor wieder da. Die Schwestern sind fassungslo­s über den Verlauf, die Strapazen, die geplatzten Hoffnungen. „Es ist eine Achterbahn­fahrt“, sagt Jennifer Kraus. „Mal ist es scheiße, dann wieder gut und dann wieder schlecht. Wir fragen uns, wann bleibt es endlich gut?“

Nierenprob­leme, ein Stoma, Rückenund Magenschme­rzen, Infusionen, Arztbesuch­e: So beschreibe­n die Schwestern den Alltag ihrer 47-jährigen Mutter. „Sie kann nicht so sein, wie sie möchte“, sagt Jennifer Kraus. Ihre Mutter wünsche sich ihr voriges Leben zurück: Sie habe bei der Stadt Illertisse­n gearbeitet und ihren Job geliebt, sei gerne tanzen gegangen und habe sich viel mit Freunden getroffen.

Jetzt habe sie nur wenig Kraft und sei die meiste Zeit zu Hause, wie die Töchter erzählen. Die CoronaPand­emie belastet die Familie zusätzlich. Unter normalen Umständen begleiten die Kinder ihre Mutter zu jedem Arzttermin. Das war kaum möglich, ebenso wie Besuche nach Behandlung­en im Krankenhau­s. Jessica Kraus ringt um Worte: „Es tut weh, sie alleine zu lassen.“

Der Alltag verlangt vor allem den beiden ältesten Schwestern viel ab. Jennifer Kraus ist Shopmanage­rin, ihre 25-jährige Schwester Jessica leitet eine Abteilung dort. Beide wohnen zu Hause. „Wir können nicht ausziehen“, sagen sie. Solange ihre Mutter krank sei, fänden die beiden keine Ruhe. Sie bezahlten auch einen Großteil der Rechnungen und die komplette Miete. Für ihre Mutter sei das schwer: „Ihr tut es weh, uns zu belasten.“

Ein Lichtblick sind die gemeinsame­n Abende, bei denen die Familie zusammen auf dem Sofa liegt, einen Film schaut oder sich über den Tag austauscht. „Wir haben eine so schöne Bindung“, sagt Jessica Kraus. Über ihre Gefühle sprechen die Kinder nicht. „Mama weiß, dass wir Angst haben“, sagt Jennifer Kraus. „Sie fällt oft in ein Loch, dann stärken wir sie – auch wenn es für uns nicht leicht ist.“

Die Behandlung, die ihnen ein Spezialist empfahl, bezahle die Krankenkas­se nicht. Dabei werden auf den Tumor abgestimmt­e Viren in die betroffene­n Bereiche injiziert. Da man auf diese Weise nicht alle Stellen erreichen könne, brauche es zusätzlich eine sogenannte Regionale Chemothera­pie, wie Jennifer Kraus erklärt. Bei dem Verfahren werde die Chemo-Flüssigkei­t auf die befallenen Bereiche gegeben. Die Schwestern klammern sich an diese Option. „Das ist unsere letzte Chance“, sagt Jessica Kraus. Die Therapie müsse so bald wie möglich beginnen. Ob es einen Punkt gibt, an dem die Kinder sich mit einer möglichen Ausweglosi­gkeit abfinden müssen? Beide Schwestern schütteln den Kopf. Aufgeben ist für die Kinder keine Option. Jessica Kraus sagt: „Wir sind Kämpfer.“Auch für die Mutter käme das nicht infrage: „Sie kämpft. Sie will einmal ihre Enkel sehen.“

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Foto: Dennis Zimmer Fünf Geschwiste­r kämpfen gemeinsam für ihre Mutter. Von links: Jennifer, Niklas, Silke, Sabrina, Jessica und Robin Kraus aus Il‰ lertissen bei der Abschlussf­eier der Zwillinge Sabrina und Niklas.

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