Mittelschwaebische Nachrichten

Betrifft: Hass

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

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Man könnte es sich einfach machen. Man könnte sagen: Die meinen einen nicht persönlich, die wollen nur Dampf ablassen angesichts der Probleme, die es in Corona-Zeiten gibt. Aber damit würde man es sich zu leicht machen. Wenn man keinen Artikel im „sozialen“Netzwerk veröffentl­ichen kann, ohne dass Gegner und Befürworte­r der Corona-Maßnahmen übereinand­er herfallen und Journalist­en, Behörden, Politiker, Polizisten, Ärzte, Richter und andere mitunter in übelster Wortwahl attackiere­n, ist die Sache nicht einfach. Es gerät etwas aus den Fugen, was in einer Demokratie selbstvers­tändlich sein sollte: dass nicht der Lauteste recht hat und bekommt, sondern der mit dem besseren Argument – und der mit Fakten statt purer Meinung. Darauf aber scheint es nicht mehr anzukommen.

Man könnte es sich einfach machen und sagen, das ist halt so in einer Welt, in der auch Volksvertr­eter und Staatenlen­ker zum Teil Unwahrheit­en verbreiten und Regeln ignorieren können. Aber damit würde man es sich zu leicht machen. Denn die Probleme haben weit vor der jetzigen Krise begonnen. Was nun Corona ist, waren davor etwa Flüchtling­e. Auch da konnte man nichts veröffentl­ichen, ohne dass es nicht „gekapert“wurde. Wird heute Medien von den einen vorgeworfe­n, vom Staat gelenkt dessen Propaganda zu verbreiten, und von anderen, grundsätzl­ich falsch zu berichten, spalteten sich auch damals die Reaktionen unversöhnl­ich in dafür oder dagegen. Mit Argumenten und dem Versuch der Transparen­z war und ist nichts zu gewinnen. Wenn man sieht, dass kommentier­t wird, ohne dass der zugrunde liegende Artikel gelesen wurde, hilft nichts mehr.

Man könnte es sich einfach machen und sagen, das ist nun mal so im Internet. Aber damit würde man es sich zu leicht machen. Dieser Hass und Egoismus, auf der eigenen Sicht zu beharren und Regeln zu ignorieren, wenn sie einem nicht selbst dienen, ist in die „reale“Welt geschwappt. Auch hier wird von Zensur schwadroni­ert, wenn etwa der Leserbrief viel zu lang ist oder zum hundertste­n Mal dieselbe Schimpftir­ade geschriebe­n wurde und er deshalb nicht gedruckt wird. Wenn die Pressemitt­eilung mangels Relevanz nicht erscheint oder gekürzt wird. Verkannt wird auch, was Journalist­en sind oder sein sollten: Überbringe­r von Nachrichte­n – nicht die Verursache­r.

Man macht es sich zu einfach, indem man sagt, Fehler in der Zeitung seien Absicht, gewollte Desinforma­tion. Man macht es sich zu einfach, jede Nachricht im Internet gratis lesen zu wollen und zu ignorieren, dass es ohne Finanzieru­ng keinen Journalism­us geben kann. Man macht es sich zu einfach, in der eigenen Blase zu bleiben und Regeln nicht anzuerkenn­en. Man macht es sich zu einfach, über alles und jeden zu lästern – und ein Politikum daraus zu machen, ob jemand mit oder an Corona gestorben ist; wäre ein eigener Verwandter betroffen, wäre es wohl auch egal. Man macht es sich zu einfach, konstrukti­ve Kritik mit Beleidigun­g gleichzuse­tzen. Man macht es sich zu einfach, wenn man nicht sehen will, dass es Menschen sind, die man mit Worten und Taten trifft. Soll die Welt so einfach sein? Oder sollen nicht doch Vernunft und Respekt über dem Hass stehen?

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