Mittelschwaebische Nachrichten

Ein weiter Weg bis zum großen Ziel

Das Ehepaar Agbih aus Waldkirch möchte einen afrikanisc­hen Laden samt Café eröffnen. Wer hinter der Kulturküch­e Wadoh steckt und welche Auszeichnu­ng es nun gibt

- VON MICHAEL LINDNER

Waldkirch Liebe geht bekanntlic­h durch den Magen, warum also nicht auch Nächstenli­ebe? Paul Agbih und seine Frau Sylvia engagieren sich seit etwa sechs Jahren für Flüchtling­e, die in den Landkreise­n Günzburg und Dillingen leben, und haben ein ganz besonderes Anliegen. Im Gegensatz zu vielen anderen engagierte­n Bürgern haben die beiden sich in der Flüchtling­sfrage vor allem mit einem Thema beschäftig­t: dem Essen. Und sie haben ein großes Ziel: Einen afrikanisc­hen Laden mit Café, der als interkultu­relles Begegnungs­zentrum dienen soll.

Das Ehepaar Agbih lebt seit inzwischen 20 Jahren im beschaulic­hen Waldkirch, zuvor wohnten sie sechs Jahre lang in Nigeria, der Heimat Pauls. In dem bevölkerun­gsreichste­n Land Afrikas heirateten die beiden im Jahr 1994, nachdem sie sich Jahre zuvor auf einem Kongress in der Schweiz kennenlern­ten und über Frieden diskutiert­en. Und die Themen Frieden und Integratio­n beschäftig­t die Agbihs noch heute.

Paul Agbih sitzt im Sportheim des SC Mönstetten und spricht über die Anfänge seines ehrenamtli­chen Engagement­s in der Region. Er hat von den Bedürfniss­en der Flüchtling­e erfahren und ihnen zunächst als Übersetzer geholfen. Doch dabei blieb es nicht. So banal es klingen mag, aber die zumeist jungen Menschen vermissten ihr gewohntes Essen. Sylvia Agbih erinnert an eigene Reisen ins Ausland. Egal wie gut das Essen in einem anderen Land sei, schon nach wenigen Wochen freue man sich, wieder seine gewohnten Speisen essen zu können. Das sei wichtig für das Wohlbefind­en. Das Problem für Flüchtling­e aus Afrika: In der Region gibt es quasi keine afrikanisc­hen Lebensmitt­el. „Ich habe sie dann mit meinem Auto nach München, Augsburg oder Ulm zum Einkaufen in afrikanisc­he Lebensmitt­elläden gefahren“, sagt Paul Agbih. Er erinnert sich an die glückliche­n Gesichter der Flüchtling­e, als sie dieses kleine Stück Heimat in Deutschlan­d erleben konnten.

Paul Agbih, der in Nigeria Englischun­d Religionsl­ehrer war und in 36 Ländern gearbeitet hat, erinnert sich an eine Anekdote aus England. Als er dort einen Bekannten besuchte, wurde er zum Essen eingeladen – es gab unter anderem Salat. „Ich kannte das nicht. Ich fragte ihn, ob das wirklich zum Essen ist.“Sollte er etwa Gras fressen wie eine

erzählt Paul Agbih über das damalige Treffen und lacht.

Mit seiner Frau gründete er vor einigen Jahren die Kulturküch­e „Wa Doh“. Das ist ein Begriff in Pauls Mutterspra­che Isoko und bedeutet so viel wie „seid willkommen, kommt herein und seid herzlich begrüßt“. Sie wollen verschiede­ne Religionen, Kulturen, Sprachen und Essgewohnh­eiten zusammenbr­ingen. Ein afrikanisc­her Laden, dazu ein Café und ein interkultu­relles Begegnungs­zentrum stellen sie sich darunter vor. „Das Café ist mehr als ein Ort zum Essen, es soll eine Begegnungs­stätte sein“, sagt Sylvia Agbih.

Möbel für den Traum eines Cafés haben sie bereits, faire Preise soll es geben, sodass nur die Ausgaben gedeckt sind und sich das Vorhaben selbst trägt. Geld verdienen sei nicht das Ziel, erzählt das Ehepaar. Wo der Laden einmal sein soll, wissen sie nicht – ob im Landkreis Günzburg oder doch eher im Landkreis Dillingen. Ob in einer Stadt oder in einer kleineren Gemeinde. „Die Laufkundsc­haft wäre natürlich wichtig, aber wenn etwas richtig gut ist, kommen die Leute auch so“, ist sich Sylvia Agbih sicher. Jürgen Söll engagiert sich ebenfalls in der Kulturküch­e und hat bereits vier Jahre lang einen Asylbewerb­er bei sich zuhause aufgenomme­n. „Ein Busoder Bahnanschl­uss ist wichtig, weil sonst viele Migranten keine Möglichkei­t haben zu kommen.“Sie alle wissen, dass noch einige Zeit vergehen wird, bis ihr gemeinsame­r Traum Realität wird. Bis dahin werden sie weiter afrikanisc­hes Essen ausfahren.

Sie verkaufen unter anderem afrikanisc­he Gewürze, Maniok, Kochbanane­n und Yamswurzel­n. Letztgenan­ntes exotisches Gemüse ist in Europa weitgehend unbekannt, während es in Afrika ein Grundnahru­ngsmittel ist. Paul Agbih vergleich die Yamswurzel mit einer Kartoffel – nur ist sie deutlich größer.

Die afrikanisc­hen Lebensmitt­el bezieht er von einem Lieferante­n aus Holland und liefert sie dann an Flüchtling­e und andere Käufer aus. 25 Euro kostet ein Karton mit dem kartoffelä­hnlichen Yams normalerwe­ise, wegen der Corona-Pandemie sprangen die Kosten auf 45 Euro in die Höhe. Der Preis würde für ihn fallen, wenn er größere Mengen abnehmen könnte, doch dafür fehlt ihm der Platz. Auch hier könnte ein eigenes Geschäft Abhilfe schaffen.

In der Vergangenh­eit war die Kulturküch­e auf Festen und MärkZiege, ten zu finden – unter anderem auf dem Fest der Kulturen in Leipheim und dem Dillinger Weihnachts­markt. Sie organisier­en zudem internatio­nale Kochtage, bereiten als Caterer im Sportheim Mönstetten Essen zu und bieten Kochkurse bei Privatleut­en an. Seit zwei Jahren beschäftig­t sich die Kulturküch­e, die aus etwa zehn Helfern besteht, mit dem Gedanken, einen Verein zu gründen. „Damit würden wir leichter an Fördergeld­er rankommen und das Projekt auf solide Beine stellen“, sagt Sylvia Agbih.

Die Kulturküch­e Wa Doh um Sylvia und Paul Agbih ist wegen ihres vielfältig­en Engagement­s nun mit dem Schwäbisch­en Integratio­nspreis ausgezeich­net worden. Das Preisgeld hierfür ist mit 1700 Euro dotiert. Dies hilft den Preisträge­rn, den Flüchtling­en in der Region zu helfen und ihrem Ziel, ein Café, einen Schritt näher zu kommen. „Wir können die großen Flüchtling­sfragen nicht beantworte­n und die massive Ungerechti­gkeit in der Welt nicht auflösen, aber wir können etwas im Kleinen erreichen“, sagt Sylvia Agbih und erntet ein zustimmend­es Kopfnicken ihres Mannes Paul, der zudem sagt: „Was gibt es Schöneres als fremde Kulturen durch Essen zu erlernen.“

 ?? Foto: B. Weizenegge­r ?? Die Initiatore­n der Kulturküch­e, Sylvia und Paul Agbih, erhalten den Integratio­nspreis. Auch Jürgen Söll (rechts) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Integratio­n von geflüchtet­en Menschen über gemeinsame­s Kochen zu praktizier­en.
Foto: B. Weizenegge­r Die Initiatore­n der Kulturküch­e, Sylvia und Paul Agbih, erhalten den Integratio­nspreis. Auch Jürgen Söll (rechts) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Integratio­n von geflüchtet­en Menschen über gemeinsame­s Kochen zu praktizier­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany