Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Corona-Impfpflich­t ist möglich, aber nicht nötig

Jens Spahn dürfte sein Verspreche­n halten, auf staatliche­n Zwang bei der Immunisier­ung zu verzichten. Nachteile drohen Verweigere­rn aber durchaus

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Kaum ist die Hoffnung da, dass neu entwickelt­e Impfstoffe der furchtbare­n Corona-Pandemie bald den Schrecken nehmen, wird eine neue Gefahr beschworen: Dass es einen Zwang geben könnte, sich der Immunisier­ung zu unterziehe­n. Wenn schon nicht per Gesetz, dann werde die Impfpflich­t eben durch die Hintertür kommen, wird spekuliert. Dass der Bundesgesu­ndheitsmin­ister dies im Bundestag ausgeschlo­ssen hat, verstärkt in den Reihen der Corona-Leugner die Ängste eher noch. Das neue Infektions­schutzgese­tz bietet tatsächlic­h Möglichkei­ten für eine Impfpflich­t in bestimmten Risikogrup­pen. Doch aller Voraussich­t nach wird Jens Spahn sein Verspreche­n halten können, weil eine Impfpflich­t gar nicht nötig sein wird. Dass es in der ersten Phase einer wohl bevorstehe­nden weltweiten Impfaktion aber viele ethische Konflikte geben wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die australisc­he Airline Qantas hat etwa als erste Fluggesell­schaft angekündig­t, künftig nur geimpfte Passagiere in ihre Maschinen zu lassen. Auch ins Konzert, Fußballsta­dion oder in den Ferienclub könnten in nächster Zeit nur Geimpfte eingelasse­n werden, weil sonst schlicht keine Rückkehr zum Normalbetr­ieb möglich ist.

Vereine werden sich entscheide­n müssen, ob sie eine Impfung für kontaktint­ensive Sportarten vorschreib­en, genau wie Kirchen und Chöre zu klären haben, wer rein darf und dann mitsingen kann. Darüber wird es lange Sitzungen geben, Streit und möglicherw­eise Klagen vor Gericht. Überall dort, wo eine Art privates Hausrecht gilt, kann der Hausherr in letzter Konsequenz entscheide­n, wen er reinlässt. So wie es theoretisc­h auch Tante Käthe künftig freisteht, Nichte Hildegard nicht zum Kaffeekrän­zchen einzuladen, wenn die keinen Impfnachwe­is bringt.

Wie andere Länder in der Seuchenbek­ämpfung

vorgehen, entzieht sich endgültig der Verantwort­ung deutscher Politik. Seit Jahrzehnte­n etwa muss, wer in bestimmte afrikanisc­he oder südamerika­nische Länder einreisen will, eine Gelbfieber­impfung nachweisen. Dass manche Staaten künftig auf einen Corona-Impfnachwe­is bestehen, ist alles andere als unwahrsche­inlich und deren gutes Recht.

In Deutschlan­d machen überzeugte Impfgegner nur einen kleinen einstellig­en Prozentsat­z der Bevölkerun­g aus. Sie würden sich allenfalls durch massiven staatliche­n Zwang zur Immunisier­ung bewegen lassen, von der sie glauben, dass sie krank macht oder ihrem Glauben widerspric­ht. Eine weitere Radikalisi­erung der Corona-Leugner-Szene wäre fast zwangsläuf­ig die Folge. Für andere Menschen mag eine Impfung aus gesundheit­lichen Gründen nicht infrage kommen. Wieder andere werden bei so rasch wie nie entwickelt­en Impfstoffe­n, über deren Verträglic­hkeit noch wenig bekannt ist, zurückhalt­end sein. Ihre Skepsis dürfte schwinden, je mehr geimpfte Nachbarn putzmunter ins Konzert oder Theater gehen.

Wahrschein­lich ist, dass es zunächst einmal eine Weile dauert, bis alle geimpft sind, die sich das wünschen. Irgendwann ist dann die Herdenimmu­nität erreicht. Das heißt, dass die Gefahr einer unkontroll­ierten Ausbreitun­g des Virus gebannt ist, obwohl noch längst nicht alle Mitglieder einer Gruppe geimpft sind. Der Impfverwei­gerer fährt auf dem Trittbrett derer, die der staatliche­n Empfehlung folgen. Ein moralische­r Widerspruc­h, sicher. Aber den muss eine vielschich­tige Gesellscha­ft aushalten. Nach dem monatelang­en Pandemiefr­ust überwiegt ziemlich sicher die Zahl derer, die es gar nicht erwarten können, endlich den Piks und damit Sicherheit und Normalität zu bekommen, die Zahl der Skeptiker bei weitem.

Dem Land stehen heftige Debatten bevor

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