Mittelschwaebische Nachrichten
Alles Banane im GoldfingerProzess?
Fehlende Dokumente, Datenschutzprobleme und eine leitende Ermittlerin, die beharrlich schweigt: In dem Augsburger Verfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung häufen sich die Ungereimtheiten
Neulich gab es im Goldfinger-Prozess eine ungewöhnliche Szene. Das passiert zwar häufig im spektakulären Augsburger Strafverfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung. Aber diese Szene war schon extrem ungewöhnlich. Ein Augsburger Steuerfahnder wird als Zeuge gerade scharf von der Verteidigung befragt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet nahezu jede Frage der Anwälte als unzulässig. Da platzt dem Angeklagten Diethard G. der Kragen. Er erhebt sich ein wenig vom Stuhl und faucht die Staatsanwältin an: „Schnauze!“
Es ist nicht das erste Mal, dass es aus G. so herausbricht. Zu Beginn des Prozesses hat er zum Beispiel die Vorwürfe der Anklage als „Gehirndurchfall“bezeichnet. Nun ist das nicht das Verhalten, das man von einem gebildeten Rechtsanwalt und Steuerberater erwartet, zumal wenn er der milliardenschweren Steuerhinterziehung angeklagt ist. Doch zum einen ist der 47-Jährige ein eher impulsiver Typ, zum anderen liegen seine Nerven angesichts des aufreibenden Strafverfahrens blank.
Seit Jahren wird gegen ihn ermittelt. Er saß fast fünf Monate in U-Haft und verpasste dadurch die Kommunion seiner kleinen Tochter. Diethard G. ist stinksauer, er fühlt sich zu Unrecht einem Strafprozess ausgesetzt. Seit Wochen mehren sich die Hinweise, dass er mit seiner Haltung recht haben könnte.
Am Tag von G.s jüngstem Wutausbruch stehen hinter den Richtern drei Kartons mit Kontounterlagen. Die Steuerfahndung kennt die Dokumente seit Jahren. Die Kontoauszüge belegen, dass in Büros der fraglichen Goldhandelsfirmen in Großbritannien Geschäftsbetrieb stattfand. Die dokumentierten Kontobewegungen der Großbank HSBC zeigen, dass Büromaterial angeschafft, Telefonrechnungen bezahlt und Goldbarren gekauft wurden.
Die Staatsanwaltschaft behauptet aber seit Jahren – auch in der Anklage –, es habe sich um „Scheinbetriebsstätten“gehandelt. Dies ist einer der Knackpunkte im Goldfinger-Prozess. Diethard G. sagt: „Hätte nur einmal jemand vernünftig diese Kontobelege angeschaut, hätte es niemals ein Strafverfahren gegen mich geben dürfen.“
Es gibt dieses Verfahren gegen ihn und seinen Kompagnon Martin H., 49, aber. Seit Jahren. Mehr und mehr stellt sich die Frage: Warum eigentlich? Warum wird bei rund 500 Goldfinger-Modellen, die es in Deutschland gab, nur ein Strafverfahren geführt? Warum wird es mit aller Härte weitergeführt, obwohl das Gericht die Anklage schon zwei Mal zerpflückt hat? Steckt mehr dahinter als eine (über)eifrige Staatsanwaltschaft? Soll hier von höherer Stelle aus ein Exempel an allzu umtriebigen Steuerexperten statuiert werden, die den Staat durch ihre Arbeit jährlich Milliarden kosten?
Getauft ist das Steuergestaltungsmodell nach dem James-Bond-Streifen „Goldfinger“. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass allein mithilfe dieses Modells der beiden Münchner Anwälte dem deutschen Fiskus bis zu einer Milliarde Euro durch die Lappen gegangen ist. Die Ermittler werten das als Steuerhinterziehung. In Martin H. und Diethard G. sehen sie die Hauptinitiatoren. Das Modell wurde an rund 100 Einkommensmillionäre vertrieben.
Die Angeklagten weisen die Vorwürfe scharf zurück. Sie sprechen von legaler Steuergestaltung, deren Bewertung den Finanzämtern und Finanzgerichten obliege – und nicht den Strafgerichten. Im Februar 2018 gab es eine große Razzia in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mehr als 200 Wohn- und Geschäftsräume wurden durchsucht. Sieben Anwälte und Steuerberater kamen in U-Haft und mussten Monate später wieder freigelassen werden.
Der Prozess läuft seit einem Jahr und zeichnet sich durch allerlei Besonderheiten aus. Es herrscht eine extrem giftige Atmosphäre vor allem zwischen den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft. Aber zum Teil auch zwischen dem Vorsitzenden Richter Johannes Ballis und der Staatsanwaltschaft. Das gipfelte darin, dass die Anklagebehörde in allen
bei der 10. Strafkammer anhängigen Verfahren Befangenheitsanträge gegen Ballis stellte, nachdem dieser eine Einstellung der Verfahren angeregt hatte. Er halte dies für „vernünftig, fair, gerecht und juristisch richtig“, hatte Ballis im Mai gesagt – und außerdem: „Weitere Hauptverhandlungen in diesem Komplex müssten sogar als Ressourcenverschwendung angesehen werden.“
Ende Oktober zerpflückte das Gericht in einem 73-seitigen Beschluss die Vorwürfe erneut. Die Anklage sei in weiten Teilen „grundlegend erschüttert“. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass die beiden Angeklagten ein „Steuerhinterziehungsmodell“kreieren wollten. Der Aufwand, den sie betrieben hätten, deute eher darauf hin, dass sie das Goldfinger-Modell legal umsetzen wollten. Die Befangenheitsanträge wurden abgelehnt beziehungsweise als unzulässig verworfen.
Seither steht die Staatsanwaltschaft mit dem Rücken zur Wand. Eine Verurteilung scheint nach den klaren Ausführungen des Gerichts ausgeschlossen. Dennoch führen die Ankläger ein letztes Gefecht. Sie wollen noch einmal herausarbeiten, warum sie im Goldfinger-Modell der Angeklagten eine Straftat sehen. Zumal dies der Pilot-Prozess ist. Weitere sollen folgen.
Stattdessen geraten die Ermittler aber immer mehr in die Defensive. Den Verteidigern Richard Beyer, Daniel Dinkgraeve, Katharina Wild und Franziska Zeumer gelingt es ständig, neue Ungereimtheiten in den Ermittlungen und fehlende Unterlagen in den Gerichtsakten aufzudecken. Ein Beispiel: Nur durch die Zeugenaussage des Chef-Steuerfahnders kam heraus, dass die damalige leitende Ermittlerin mit einem Kollegen zwei Dienstreisen im Verfahren unternommen hat: eine zur EUJustizbehörde Eurojust nach Den Haag, um über Rechtshilfe anderer Länder zu sprechen. Und eine nach London zur Steuerbehörde HMRC. Beide Reisen fanden sich nicht in den Gerichtsakten. Verteidiger und Angeklagte waren empört. Für sie bestätigte sich unter anderem dadurch ein lange gehegter Verdacht: Vertuscht die Augsburger Staatsanwaltschaft etwas in diesem Verfahren, und wenn ja, was und warum?
Die Verteidigung erhebt gravierende Vorwürfe. So habe die Staatsanwaltschaft versucht, Einfluss auf Gerichte zu nehmen. In diesem Fall geht es um die Finanzgerichte, die normalerweise zuständig sind, wenn es Streit zwischen einem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt gibt. In den Goldfinger-Fällen haben etliche Finanzämter das Steuersparmodell als nicht zulässig zurückgewiesen. Dagegen klagten die Betroffenen bei den Finanzgerichten.
Die Verteidiger glauben, eine unerlaubte Einflussnahme der Staatsanwältin auf die Finanzgerichte belegen zu können. Sie stützen sich unter anderem auf einen Aktenvermerk der Steuerfahndung, in dem es heißt, die damalige leitende Ermittlerin „versucht eine Aussetzung des Verfahrens“am Finanzgericht. Zudem hat Anwalt Beyer auch noch in den nicht bei Gericht befindlichen Akten entdeckt, dass zwei Münchner Finanzrichter von der Staatsanwaltschaft während des laufenden Verfahrens als Zeugen im Goldfinger-Verfahren geladen wurden. Für die Richter war das ein Problem. Hätten sie ausgesagt, hätten sie als Richter im Finanzgerichtsverfahren wegen Befangenheit abgelehnt werden können. Eine Richterin berief sich daher nach Recherchen unserer
Redaktion auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach Paragraf 55 der Strafprozessordnung. Das ist insofern erstaunlich, als dieser Paragraf dann gilt, wenn sich jemand durch seine Aussage selbst dem Risiko einer Strafverfolgung aussetzen würde. Einige Tage danach widerrief der Vizepräsident des Finanzgerichts München im Übrigen die Aussagegenehmigung für die beiden Richter.
Tatsächlich pausierten alle Finanzgerichtsprozesse während des laufenden Augsburger Strafverfahrens. Bis auf das in Stuttgart. Dort erging Ende Juni ein Urteil, und der Ausgang könnte ein Hinweis darauf sein, weshalb die Augsburger Staatsanwaltschaft womöglich zu verhindern versuchte, dass die Finanzgerichtsverfahren weiterlaufen. Denn am Finanzgericht Baden-Württemberg haben die Angeklagten ihren Steuerprozess auf ganzer Linie gewonnen. Selbst in voller Kenntnis der Akten aus dem Strafverfahren hat das Fachgericht die Steuererklärung einer Goldfinger-Gesellschaft anerkannt. Das Urteil platzte mitten hinein in den laufenden Augsburger Prozess und stellt die Staatsanwaltschaft vor ein weiteres Problem: Wenn das Fachgericht nichts auszusetzen hat, wie soll dann eine Straftat nachgewiesen werden?
Zeugenaussagen deuten zudem darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft sich schon lange vor der Razzia Anfang 2018 auf die These festgelegt hat, dass es sich im Goldfinger-Fall um ein strafbares Steuerhinterziehungsmodell handelt. Die Aussage eines jungen Steuerfahnders belegt zudem, dass die Anklagebehörde der Steuerfahndung auch klare Vorgaben gemacht hat, wie das Ergebnis der Prüfungen sein soll. Der Fahnder sagte: „Als ich zur Ermittlungsgruppe kam, war der Fokus schon gesetzt.“Das war nach seinen Angaben im November 2016, also eineinviertel Jahre vor der Razzia. Verteidiger Richard Beyer sagt: „Wir reden hier nicht von Verdachtsermittlungen, sondern von einer klaren Vorfestlegung, die rechtswidrig ist.“Die Angeklagten haben inzwischen gegen mehrere Staatsanwälte und Steuerfahnder Strafanzeigen gestellt und wollen in Großbritannien Privatklagen einreichen. Auch eine Beschwerde am Bundesverfassungsgericht ist eingelegt.
Und dann ist da noch der Datenschutz, der den Staatsanwälten Kopfzerbrechen bereitet. Ausgangspunkt ist die zentrale Razzia, bei der die Ermittler in zwei Münchner Kanzleien massenhaft Daten beschlagnahmten. Nach Überzeugung der Verteidiger habe es dabei „massive Verstöße gegen das Datenschutzrecht“gegeben, schimpft Beyer. So befänden sich in den Unterlagen, die für hunderte Menschen einsehbar seien, eine Menge Dokumente, die mit dem aktuellen Strafverfahren nichts zu tun hätten, wie Frauenarztrechnungen, Schulzeugnisse oder Hochzeitseinladungen.
Auch hier verdichten sich die Anzeichen, dass die Angeklagten und die Verteidiger mit ihrer Ansicht nicht völlig danebenliegen könnten. Ein Augsburger Amtsrichter ist der Staatsanwaltschaft bereits zwei Mal mit Anordnungen in die Parade gefahren. Nun hat derselbe Richter noch einmal nachgelegt. Er verdonnert die Staatsanwaltschaft mit einer Verfügung dazu, Daten zu sortieren und zu markieren. Für jede Datei soll eine laufende Nummer vergeben werden. Es handelt sich um rund 1,1 Millionen Dateien. Wiedervorlage: eine Woche. Viel Arbeit also für die Ermittler. Doch wenn wegen grober Datenschutzverstöße ein Verwertungsverbot der beschlagnahmten
Daten droht, könnte die Staatsanwaltschaft gleich einpacken.
Am jüngsten Verhandlungstag sagte ein Mann aus, der ursprünglich Gesellschafter einer Goldfinger-Firma war und nach der Verhaftung der Anwälte und Steuerberater Geschäftsführer der „Global Trading“wurde. Der 52-Jährige ist Jurist und ausgewiesener Steuerexperte, er hat bei Großbanken vermögende Privatkunden betreut. Gegen ihn läuft ebenfalls ein Strafverfahren.
Er müsste nicht als Zeuge aussagen, ist sich seiner Sache aber so sicher, dass er sagt: „Ich möchte der Wahrheitsfindung zuträglich sein.“Der Zeuge hat keinen anwaltlichen Beistand, er antwortet ruhig und ohne Zögern. Auch er hat Merkwürdiges zu berichten. Es geht um seine Vernehmung, die im Zuge der Durchsuchung bei ihm zu Hause stattfand. Der Steuerfahnder habe offensichtlich einen vorher festgelegten Fragenkatalog abgearbeitet und dies auch so bekundet. Obwohl der Verdächtige gerne viel mehr berichtet hätte, seien seine Aussagen weder zur Kenntnis genommen noch protokolliert worden. Richter Ballis quittiert dies mit den Worten: „Das macht mich jetzt etwas sprachlos.“
Diethard G., Martin H. und ihre Verteidiger stellen sich nach den neuesten Ungereimtheiten erst recht die Frage, wie es überhaupt zum Strafverfahren kommen konnte. Für Anwalt Beyer ist der Fall klar: „ Das Ermittlungsverfahren in diesem Umfang und mit dieser brachialen Gewalt ist nur vorstellbar, wenn es von oben zumindest abgesegnet ist.“
Von oben? Aus internen Vermerken sei ersichtlich, dass die Spitzen der Finanzministerien von Bund und Ländern das Goldfinger-Modell „plattmachen“hätten wollen. Gab es Anweisungen, besonders hart gegen Goldfinger-Gestalter vorzugehen? Nach Beyers Ansicht passt es zumindest zu der 2013 vom damaligen bayerischen Finanzminister Markus Söder (CSU) ausgegebenen harten Linie gegen Steuerbetrug.
Söder hatte seinerzeit eine neue Sonderkommission vorgestellt, die er „Steuer-FBI“nannte. Beyer sagt: „Söder kann man schon vorwerfen, dass sich eine Kultur des vorauseilenden Gehorsams entwickelt hat, nachdem er die neue harte Linie in Steuersachen ausgegeben hat. Das ist seine politische Verantwortung.“All diese Fragen seien laut Beyer aber nicht in einem Strafprozess zu klären, sondern in einem Untersuchungsausschuss. Er wundere sich, warum die Opposition angesichts derart massiver Rechtsverstöße im Verfahren nicht längst reagiert hat.
Wie soll es nun weitergehen? Im Moment ist wegen Corona-Fällen und Quarantäne eine kleine Pause. Der Großteil der Zeugen ist bereits vernommen. Die frühere leitende Ermittlerin verweigert beharrlich die Aussage mit dem Verweis darauf, dass ihr wegen der Strafanzeige ein umfängliches Auskunftsverweigerungsrecht zustehe. Die Entscheidung darüber, ob die jetzige Richterin aussagen muss oder nicht, liegt letztlich bei der Strafkammer.
Die Lust, sich auf eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage einzulassen, scheint bei den Angeklagten geschwunden zu sein. Nach den klaren Signalen des Gerichts verwundert das nicht. Martin H. und Diethard G. setzen auf einen Freispruch erster Klasse. Bis dahin nehmen Richard Beyer und seine Verteidigerkollegen weiter die Staatsanwaltschaft unter Feuer. Augsburgs Leitender Oberstaatsanwalt Rolf Werlitz sagt: „Ich halte es für befremdlich, wie in diesem Verfahren versucht wird, mittels Strafanzeigen gegen sachbearbeitende Staatsanwälte Druck auf diese auszuüben und dadurch in rechtsstaatlich bedenklicher Weise Einfluss auf das Verfahren zu nehmen. Ich habe das in dieser Form noch nie erlebt.“
So dürfte sich der Prozess noch Monate hinziehen. Am Ende könnte es nur Verlierer geben: Angeklagte, die nach einem jahrelangen Verfahren um ihre Existenz kämpfen müssen. Ein Gericht, dem vorgeworfen wird, reiche Steuersparer mal wieder nicht bestraft zu haben. Und eine Staatsanwaltschaft, die komplett übers Ziel hinausgeschossen ist.
Der Richter hat die Anklage schon zwei Mal zerpflückt
Wollten Finanzministerien ein Exempel statuieren?