Mittelschwaebische Nachrichten

Darf der Staat vorschreib­en, wie wir Weihnachte­n feiern?

- VON STEFAN KÜPPER VON RUDI WAIS

D en Staat geht vieles nichts an. Das Private sollte, so gut es geht, vor Blicken der Allgemeinh­eit geschützt werden. So weit, so richtig. Wie Friedrich Merz Weihnachte­n feiert, ob es Gans, Foie gras oder Kartoffels­alat mit Würstchen gibt, interessie­rt natürlich niemanden. Wie viele Gäste sich allerdings um die Merz’sche Festtafel versammeln, ist in einer noch lange nicht überstande­nen Pandemie sehr wohl relevant – und deshalb haben die Ministerpr­äsidenten richtig entschiede­n. Das weiß auch der Möchtegern-Parteivors­itzende der CDU.

Seit Anfang November bemüht sich der Staat, also wir, die zweite Infektions­welle zu brechen. Der erhoffte Erfolg ist noch nicht eingetrete­n, also müssen alle weiter im Lockdown light durchhalte­n. Das nervt, das nimmt dem anstehende­n Advent seine frohe Erwartung, aber es nützt einfach nichts. Um die Pandemie einzudämme­n, helfen nun mal vor allem Kontaktbes­chränkunge­n.

Recht hat Merz, wenn er kritisiert, die Bundesregi­erung solle längerfris­tige Perspektiv­en kommunizie­ren. Es war sicher falsch, Anfang November zu sagen: Kinder, seid brav, dann dürft ihr auch groß Weihnachte­n feiern.

Zwar war den meisten bereits damals klar, dass die Kontaktbes­chränkunge­n nicht so schnell wieder aufgehoben werden würden. Aber es frustriert dennoch, wenn die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Keiner will einsame Weihnachte­n. Erst recht aber will niemand, dass nach Weihnachte­n die Infektions­zahlen wieder nach oben schnellen. Das ist aber die absehbare Bescherung, wenn wir uns nach Merz’scher Manier zum Fest verhalten.

Der Mann, der Kanzler werden will, hat mit seiner Äußerung die Frustriert­en weiter bestärkt. Das schadet der Akzeptanz für die Corona-Regeln. Staatsmänn­isch ist es erst recht nicht.

Nennen wir sie die Müllers. Vater Heinz, 88 Jahre, Mutter Helga, 83 Jahre, zwei Töchter, zwei Schwiegers­öhne, fünf erwachsene Enkel. Seit Jahren feiern die Müllers gemeinsam Weihnachte­n, zusammen sind sie zu elft – und damit einer mehr, als es ein paar übereifrig­e Ministerpr­äsidenten jetzt erlauben wollen. Trotzdem müssen die Müllers an Weihnachte­n gemeinsam feiern dürfen.

Es ist eine bizarre Diskussion, die Deutschlan­d da gerade führt. Wenn die Bevölkerun­g nicht mitziehe, hat Markus Söder vor ein paar Wochen schon gesagt, „wird es ein einsames Weihnachte­n“. Wie bitte? Entscheide­t Herr Söder jetzt, wer sich an den Feiertagen mit wem trifft? Ist der Politik inzwischen nicht einmal mehr der Heilige Abend heilig? Wir Deutschen sind ein staatsgläu­biges Volk, die meisten von uns haben es gerne, wenn andere die Dinge für sie regeln, also die Politik. Mit Kontaktspe­rren an Weihnachte­n aber wäre eine rote Linie überschrit­ten, die kein Politiker überschrei­ten sollte. Oder, frei nach Friedrich Merz: Es geht den Staat nichts an, mit wem ich Weihnachte­n feiere.

Ganz abgesehen davon, dass die eigene Wohnung und die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgeset­zes stehen: Weihnachte­n ist nicht irgendein Tag und die Bescherung in der Familie auch keine Après-Ski-Party. Die meisten Menschen sind vernünftig genug, um auf sich und auf andere achtzugebe­n. Dass Söder und seine Kollegen trotzdem die Kontakte innerhalb der Familie begrenzen wollen, spricht jedenfalls Bände. So nötig es sein mag, im Alltag, im Beruf und in der Freizeit Abstand zu halten, so verräteris­ch ist die Zehn-Personen-Regel, die die Länder sich für Weihnachte­n ausgedacht haben. Vor dem Corona-Staat ist offenbar nicht einmal mehr das Innerste einer Familie sicher. In ihm stirbt die Freiheit scheibchen­weise.

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Foto: stock.adobe.com Weihnachte­n ist das Fest der Familie – auch in digitalen Zeiten. Corona wirft die Frage auf: Wie weit darf sich der Staat einmischen?

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