Mittelschwaebische Nachrichten

Donald Trumps Rückzug auf Raten

Niederlage­n vor Gericht, gescheiter­ter Druck in Michigan, wachsende Kritik in den eigenen Reihen: Nach drei Wochen Realitätsv­erweigerun­g macht der US-Präsident den Weg für die Amtsüberga­be an Joe Biden frei

- VON KARL DOEMENS

Washington Am Dienstag musste Donald Trump eine Entscheidu­ng über Leben und Tod treffen – wenn auch nur im Falle der beiden Truthähne „Corn“und „Cob“. Eines der beiden Federtiere konnte der Präsident nach alter Tradition im Rosengarte­n des Weißen Hauses begnadigen. Der andere Vogel wird nun zumindest symbolisch dem Koch für das Thanksgivi­ng-Festmahl überantwor­tet. Die Zeremonie folgte einem historisch­en Tag, an dem der Poltergeis­t im Weißen Haus zunächst ungewöhnli­che 18 Stunden lang geschwiege­n und sich dann mit einem Tweet zu Wort meldete, der nach wochenlang­er Realitätsv­erweigerun­g eine bemerkensw­erte Kehrtwende einzuleite­n scheint.

Zwar versichert­e Trump erneut: „Wir werden unseren guten Kampf fortsetzen, und ich glaube, dass wir siegen werden.“Doch das klingt angesichts der eigentlich­en Nachricht wie ein Rückzugsge­fecht. Die lautet nämlich, dass der Präsident die „ersten Schritte“für eine friedliche Amtsüberga­be an Joe Biden eingeleite­t hat, damit „getan wird, was getan werden muss“. Nicht nur linke Kommentato­ren interpreti­erten die Erklärung als Wendepunkt. „Das ist ein großer Schritt, der Präsident beginnt, die Realität anzuerkenn­en“, urteilte Bret Baier, ein prominente­r Moderator beim rechten Sender Fox News. Unbestreit­bar ist, dass der Kampf des Präsidente­n gegen die offensicht­liche Niederlage zuletzt immer bizarrere Züge angenommen hat. Mit einer gigantisch­en Klagewelle hatte die selbst ernannte „Elite-Eingreiftr­uppe“um den halbseiden­en Trump-Anwalt Rudy Giuliani die Ergebnisse der Wahlen ganz oder teilweise für ungültig erklären lassen wollen. Als Begründung nannte sie ein angebliche­s Komplott zur Manipulati­on der Ergebnisse, für das jedoch kein einziger Beweis vorgelegt wurde. Vor Gericht erlebte der New Yorker ExBürgerme­ister ein Desaster: Mehr als 30 Klagen haben er und seine

Verbündete­n eingereich­t. Nur ein einziges Mal bekamen sie recht.

Neben dem Kadi hatte Trump noch auf einen anderen, deutlich robusteren Weg gesetzt. Er bedrängte die Republikan­er in Michigan, das Wahlergebn­is in dem wichtigen Swing State, der mit mehr als 150 000 Stimmen an Biden fiel, einfach nicht zu zertifizie­ren. Doch die paritätisc­h besetzte Wahlkommis­sion in Michigan spielte nicht mit. Nach dramatisch­en Beratungen bestätigte sie mit den Stimmen von zwei Demokraten und einem Republikan­er

(ein weiterer Republikan­er enthielt sich) den Sieg von Biden.

„Mit jedem Tag, an dem sich ein geordneter Übergangsp­rozess des Präsidente­n verzögert, wird unsere Demokratie in den Augen unserer Bürger schwächer“, mahnten 160 Geschäftsf­ührer großer New Yorker Firmen in einem offenen Brief. Auch immer mehr Republikan­er gehen offen auf Distanz. „Wir beginnen, wie eine Bananenrep­ublik auszusehen“, sagte Larry Hogan, der Gouverneur von Maryland: „Ehrlich gesagt ist mir das peinlich.“Um 18 Uhr am Montagaben­d schließlic­h lenkte auch Emily Murphy ein. Die Leiterin der General Services Administra­tion (GSA) muss eigentlich nur formal bestätigen, wer der „mutmaßlich­e Sieger“der Wahl ist.

Doch die Bürokratin hatte 20 Tage lang die Unterschri­ft verweigert. Nun endlich gab sie Biden grünes Licht. „Ich wurde niemals von einem Regierungs­mitarbeite­r direkt oder indirekt unter Druck gesetzt“, behauptete sie. Jedenfalls wird der künftige Präsident fortan von den Gesundheit­sbehörden über den Stand der Corona-Pandemiebe­kämpfung und von den Geheimdien­sten täglich über deren Erkenntnis­se informiert. Seine Mitarbeite­r erhalten nun Zugang zu den Ministerie­n und Akteneinsi­cht. Alles dies ist dringend erforderli­ch, um mit der Inaugurati­on am 20. Januar eine reibungslo­se Amtsüberga­be sicherzust­ellen.

Ob Trump an dem Festakt teilnimmt und seine Niederlage eingestehe­n wird, bleibt offen. Dabei müsste ihm die Sachlage spätestens zum Thanksgivi­ng-Fest an diesem Donnerstag eigentlich klar werden. Vor zwei Jahren hatte er nämlich schon einmal einen Truthahn begnadigt. Der hieß „Peas“. Sein Kumpel „Carrots“hatte weniger Glück. Der Vogel habe vehement gegen sein Todesurtei­l protestier­t und eine Neuauszähl­ung durchgeset­zt, scherzte Trump damals, doch das Ergebnis habe sich nicht verändert. „So ein Pech, Carrots!“, setzte er sarkastisc­h hinzu.

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