Mittelschwaebische Nachrichten

Preisrutsc­h bei Fleisch stürzt Bauern in Not

Die Preise für Schweinefl­eisch sind auf den niedrigste­n Stand des Jahres abgerutsch­t – trotz aller Bekenntnis­se des Handels und des Einsatzes von Agrarminis­terin Klöckner. Das macht die Landwirte wütend

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Skandalöse­s Ausbeuten in den Großschlac­hthöfen fliegt auf, tausende Bauern auf ihren Traktoren blockieren Städte, die Landwirtsc­haftsminis­terin lädt zu Fleischgip­feln – all das hat nichts gebracht. Der Preis, den Bauern für ihr Schweinefl­eisch bekommen, steigt nicht etwa, er sinkt. Fleisch und Wurst werden weiter zu Tiefstprei­sen verkauft.

Es ist eine orangefarb­ene Linie in einem Diagramm, die für die Landwirte die Lebenslini­e ist. Sie kennt seit Anfang des Jahres nur einen Weg – nach unten. Und das, obwohl dem Billigflei­sch der Kampf angesagt wurde. Jetzt hat die Linie die Marke von 1,19 Euro erreicht. So viel bekommen die Schweineha­lter von den Schlachthö­fen für ein Kilo Fleisch. Anfang des Jahres lag der Preis noch bei über 2 Euro. Der Rückgang beträgt 40 Prozent. Für die Landwirte ist das brutal, sie verdienen nicht mehr mit ihrer Arbeit und zahlen drauf. Eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft mit mehr Tierwohl in den Ställen liegt von diesem Preis meilenweit entfernt. „Bei diesem ruinösen Preis macht jeder Schweineha­lter massive Verluste und mittelfris­tig werden viele aufgeben müssen“, sagte Bauernpräs­ident Joachim Rukwied unserer Redaktion. Er ist enttäuscht von den großen Handelsket­ten. Denn den Preis für Fleisch und Wurst bestimmen nicht die Schlachthö­fe, sondern ganz wesentlich die vier großen Supermarkt­ketten Aldi, Lidl, Rewe und Edeka. Im Lebensmitt­elhandel vereinen sie eine Marktmacht von 85 Prozent. Sie begründen den jüngsten Preisverfa­ll mit der Afrikanisc­hen Schweinepe­st. Weil China einen Importstop­p für Schweine

aus Deutschlan­d verhängt hat, ist die Nachfrage deutlich zurückgega­ngen, weshalb ein gleichblei­bendes Angebot weniger Nachfrager­n gegenübers­teht. Der Preis gibt nach. Aus Sicht der Bauern wird die Sondersitu­ation ausgenutzt und der Preis über Gebühr gedrückt. „Da die Preise im Lebensmitt­eleinzelha­ndel stabil sind, gehen wir davon aus, dass innerhalb der Lebensmitt­elkette auf dem Rücken der Bauern gut verdient wird“, beklagte Rukwied.

Nachhaltig­keit und faire Bedingunge­n haben sich mittlerwei­le auch die Supermarkt­ketten auf die Fahnen geschriebe­n. Bei Worten ist es geblieben. Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) will sich das nicht länger bieten lassen. Vergangene Woche hat sie ihren Gesetzentw­urf gegen unlautere Handelspra­ktiken durch das Bundeskabi­nett gebracht. Er soll die Bauern und kleinere Schlachthö­fe gegen die Macht der großen vier schützen. Es drohen bei Verstoß Geldbußen in Höhe von bis zu einer halben Million Euro. Das Parlament muss dem Entwurf zustimmen. Julia Klöckner ist keine Politikeri­n, die schnell nach dem Staat ruft und durch Verbote und Auflagen regieren will. Doch von den Handelsket­ten will sie sich nicht länger an der Nase herumführe­n lassen beim Thema Fleischpre­ise. „Es ist traurig genug, dass man solche Praktiken überhaupt gesetzlich regeln muss, die doch eigentlich überhaupt nicht zu dem Bild des ehrbaren Kaufmannes passen“, sagte die CDU-Politikeri­n bei der Vorstellun­g ihres Gesetzes. Unlautere Praktiken zulasten der Kleinen „sind vielfach Realität“.

Klöckners Worte provoziert­en die Kaufmänner. Aldi, Lidl, Rewe und Edeka schickten eine Befleisch schwerde über die missliebig­e Ministerin an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Klöckner zeichne ein Zerrbild des Handels, dem zu Unrecht vorgeworfe­n werde, Regeln und Gesetze zu brechen. „Wir sind über diesen massiven Angriff auf die Reputation unserer Unternehme­n zutiefst erschrocke­n und fühlen uns persönlich diskrediti­ert“, heißt es in dem Schreiben an Merkel.

Der bekannt gewordene Brief an Merkel hat wiederum die Landwirte erzürnt. Der Bauernpräs­ident hat seine Amtskolleg­en aus den Bundesländ­ern zusammenge­trommelt: Gemeinsam haben sie eine offene Antwort an die Supermarkt­riesen veröffentl­icht. Darin rufen sie die Unternehme­n auf, nicht nur von Nachhaltig­keit und Verantwort­ung zu reden, sondern mit dem Preiskampf aufzuhören. „Uns ist schon bewusst, dass es hin und wieder Aktionen geben muss, aber das ständige Werben mit Niedrigpre­isen ist inakzeptab­el“, legte Rukwied im Gespräch mit unserer Redaktion nach. „Lebensmitt­el sind mehr wert.“

Im europäisch­en Vergleich liegt Deutschlan­d bei den Preisen für Lebensmitt­el im Mittelfeld. In anderen wohlhabend­en EU-Staaten sind sie meist teurer, in Osteuropa etwas günstiger.

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Foto: dpa Immer noch wird Fleisch in Deutschlan­d zu Tiefpreise­n verkauft – und das, obwohl Politik und Handel den Bauern faire Zahlungen signalisie­rt haben.

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