Mittelschwaebische Nachrichten

Das Gesicht der Vereinigte­n Staaten

Auf einem Roadtrip quer durch die USA hat ein Schweizer Fotografen-Paar Menschen aus allen Schichten porträtier­t. Das Land mag tief gespalten sein, doch was heißt das konkret? Das Ingolstädt­er Lechner Museum zeigt es

- VON CHRISTA SIGG

Ingolstadt Jonathan will den ganzen Tag nur fliegen. Seine Eltern waren harte Junkies, und das Skateboard hat dem Jungen aus Kalifornie­n das Leben gerettet. Messerscha­rf analysiert Kellnerin Katie aus Alabama die Kluft zwischen Arm und Reich und hofft gar nicht erst auf Veränderun­gen. Sheriff Don Jackson ist dagegen stolz auf sein sturzkonse­rvatives Texas. Und Feuerwehrm­ann William fühlt sich prima, wenn er den schlimmste­n Tag eines Menschen etwas besser machen kann. „Aber über Politik wird nicht gesprochen“, wirft sein Kollege Jeffrey ein, „das führt sofort zu Streiterei­en“. Und im Überlebens­kampf kann das fatal sein.

Wenn man in Amerika miteinande­r auskommen möchte, wird die Politik ausgeklamm­ert. Das wussten Monika Fischer und Mathias Braschler natürlich, als sie sich vor anderthalb Jahren auf ihren zweiten Roadtrip quer durch die USA begaben. Aber dass die Fronten inzwischen so hart geworden sind, hat das Schweizer Fotografen-Paar dann doch erstaunt. Beide kennen das Land, pendeln seit vielen Jahren zwischen ihrer Heimat im Kanton Aargau und New York. Was die Leute umtreibt und weshalb es zu Donald Trump gekommen ist, wollten sie schon genauer wissen. Das Ergebnis dieser Recherche ist nun unter dem Titel „Divided We Stand“im Lechner Museum in Ingolstadt zu sehen – bis zur Öffnung des Hauses online.

Das funktionie­rt gut, zumal man die Porträts einzeln durchgehen kann und mit einem Klick mehr über die Dargestell­ten und ihre Ansichten erfährt. Tatsächlic­h lässt einen kein Bild und keine Geschichte aus dieser zerrissene­n Nation kalt. Und alle stehen sie da, ohne Scheu und zuweilen stolz wie Franklin und Frances aus Mississipp­i, die sich nach einem vereinten Land sehnen – er mit Gewehr, sie mit Südstaaten­flagge im Arm. Gegenüber posiert Alyce, ein Showgirl aus Las Vegas, das resigniert über die Demokratie sinniert: „Nur die Wohlhabend­en haben eine Stimme.“

Für den Bergarbeit­er Frank Hughes, der seine abgegriffe­ne Bibel innig ans Herz drückt, liegen die Probleme allein in der Abwendung von Gott. Dagegen beobachtet der Schweißer Rich Filipchich aus Ohio den Niedergang der Stahlwirts­chaft ganz nüchtern. Er weiß, dass nicht mehr viel zu erwarten ist. In seiner Jugend hat Rich Besseres erlebt, ganz im Gegensatz zum obdachlose­n

Tony aus Virginia, der bereits mit acht anfing, Drogen zu verticken. Hoffnung schaut anders aus.

Es gibt aber genauso die Durchstart­er wie Kampfpilot­in Olivia aus Michigan, die in der US Air Force dient und sich mehr Frauen in diesem „großartige­n Job“wünscht. Dass sich jemand aufgrund seines Geschlecht­s eingeschrä­nkt fühle, kann sie nicht ertragen und legt die selbstgewi­ss auf die Hüften. Ob sie Trump wählt? Man weiß es nicht. Andere bekennen sich ganz direkt, und oft genug wundert man sich.

Der Lehrer David Geiger aus Wisconsin ist so ein Fall. Unter seinem Strohhut blickt der Amische skeptisch hervor, und Donald Trump findet er freilich schrill. Der rede nur von Reichtum und sei doch ein ziemlicher Witz. Ein paar seiner Schachzüge hätten ihm aber gefallen, deshalb sei er trotzdem für ihn. In den Augen des Friseurs José Ignacio Jaramillo aus New Mexico hat Trump sogar einen guten Job gemacht: „Besonders mit dieser Mauer“, die einige davon abhalten würde, „den Amerikaner­n die Arbeit wegzunehme­n“. Woher seine Vorfahren stammen, wird dem beHände tagten José über die Jahre wohl entfallen sein.

Monika Fischer und Mathias Braschler haben sich verkniffen zu diskutiere­n und stattdesse­n aufmerksam zugehört. „Wir wollten nicht die schlauen Europäer geben“, erklärt das Duo, das mit Sohn Elias im umgebauten Mercedes Sprinter 100 Tage lang durch Slums und Villenvier­tel fuhr und Menschen aus allen Schichten ins mobile Fotostudio bat. Vor neutralem weißen Hintergrun­d haben die beiden unzählige Aufnahmen gemacht. Jetzt auf den großen Abzügen treten die Porträtier­ten aus der Zweidimens­ionalität heraus und verwandeln sich für Momente zu Skulpturen. Kein noch so abgerissen­er Obdachlose­r verliert seine Würde, und in der Konfrontat­ion entsteht eine diskrete, zugleich berührende Intimität.

Die Leute seien sehr offen und spontan gewesen, sagt Monika Fischer, und im Verlauf der 24 000 Kilometer hätte ihnen fast niemand einen Korb gegeben. Weder Ula Snyder aus Tennessee, die bei McDonald’s putzt und von einem Leben voller Gewalt berichtet, noch Pamela Burke, die in Pennsylvan­ia einen Waffenlade­n besitzt und ganz ungeniert über ihre Passion fürs Schießen plaudert. Und ja, Gott persönlich hätte Trump geschickt.

Das muss man erst einmal sacken lassen. Und gerade die Waffennärr­in sei sogar ausnehmend sympathisc­h gewesen, erzählt Mathias Braschler. Überhaupt hätten er und seine Frau besser verstanden, weshalb so viele Menschen hinter Trump stehen: „Das Land ist herunterge­kommen, der American Dream ausgeträum­t. Da glaubt man selbst einem Sprücheklo­pfer, dass er die Nation wieder groß machen will.“

Diesmal hat es für Trump nicht mehr gereicht, doch der Kampf ist noch lange nicht ausgestand­en, zu tief sind die Gräben zwischen den Lagern. Pamela Burke, die Frau mit dem Waffenlade­n, dürfte dennoch gute Geschäfte machen. „Wenn ein Demokrat Präsident ist, verkaufen wir wesentlich mehr“, sagt sie. Nicht etwa, weil sich die Leute unsicher fühlten, sondern aus Angst, die Waffengese­tze würden schärfer. Also bunkern die Amerikaner Knarren wie die Deutschen Klopapier. Beides ist bescheuert.

Ausstellun­g „Divided We Stand“läuft bis 7. März im Lechner Museum Ingolstadt, vorerst lediglich online zu se‰ hen unter www.lechner‰museum.de. Der dazugehöri­ge Bildband ist bei Hart‰ mann Books erschienen (160 S., 66 Abb., 39 ¤).

 ?? Fotos : Mathias Braschler und Monika Fischer/Lechner Museum Ingolstadt ?? Gesichter eines Landes: (von oben links) der Schweißer Rich Filipchich aus Ohio, die McDonald’s‰Putzkraft Ula Snyder aus Ten‰ nessee, der Obdachlose Tony Deffond Davis aus Virginia sowie Waffenlade­nbesitzeri­n Pamela Burke aus Pennsylvan­ia.
Fotos : Mathias Braschler und Monika Fischer/Lechner Museum Ingolstadt Gesichter eines Landes: (von oben links) der Schweißer Rich Filipchich aus Ohio, die McDonald’s‰Putzkraft Ula Snyder aus Ten‰ nessee, der Obdachlose Tony Deffond Davis aus Virginia sowie Waffenlade­nbesitzeri­n Pamela Burke aus Pennsylvan­ia.
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