Mittelschwaebische Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (112)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Der Abschied am 2. Januar war bewegend. Scharif schickte alle seine Männer aus seinem Büro. Er gab Mancini seine Kamera zurück und schenkte ihm seine eigene Armbanduhr, eine teure Schweizer Marke. Barudi übergab er seine Dienstpist­ole und einen dicken großen Umschlag.

„Was ist das?“, fragte Barudi. „All meine Briefe, die ich an Basma geschriebe­n habe, aber nie absenden konnte“, sagte er. Dann zögerte er einen Augenblick.

„Und ein wenig Geld für Rosen zu ihrem Geburtstag.“

Sie umarmten sich und weinten beide. Barudi küsste Scharif auf die Augen.

„So hat sie dich immer geküsst“, sagte er unter Tränen. „Pass auf dich auf!“, rief er dann und ging davon.

Auch Mancini umarmte Scharif. „Du bist ein feiner Mensch“, sagte er und ließ sich von Scharif auf die Wangen küssen.

Barudi und Mancini fuhren los.

Bis zum letzten Kontrollpu­nkt vor der Autobahn wurden sie von einer Motorrades­korte begleitet. Barudi drehte das Fenster herunter und winkte zum Dank, Mancini tat es ihm auf dem Beifahrers­itz gleich.

Auf der Autobahn schwiegen sie lange. Barudi rannen immer noch Tränen über die Wangen.

„Kein Wunder“, unterbrach Mancini die Stille, „dass Basma den Kerl so geliebt hat. Auch wenn er ein Terrorist ist, bin ich doch von seiner Persönlich­keit beeindruck­t. Ich teile keine seiner Vorstellun­gen, und trotzdem muss ich anerkennen, dass er ein aufrichtig­er Mann ist. Schade, dass er auf der falschen Seite steht“, sagte Mancini und hielt einen Moment lang inne.

„Wollen wir uns nicht kurz an einer Raststätte mit etwas Kaffee und einem deftigen Essen belohnen, so richtig mit Schweinefl­eisch und Rotwein? Ich möchte dich gern einladen. Bitte!“Mancinis Stimme war sanft. Er war besorgt wegen Barudis Fahrstil, denn dieser fuhr ziemlich unkonzentr­iert und viel zu schnell, überholte aggressiv, meist ohne Blick in den Rückspiege­l, ob sich ein anderes Auto näherte. Einmal war es knapp gewesen. Der andere Fahrer hatte wie verrückt gehupt.

„Ja, gern“, erwiderte Barudi mit erstickter Stimme. Nach einer Stunde Pause und einem guten Essen, ohne Wein, fuhren sie weiter. Barudi war jetzt ruhiger und konzentrie­rter. Er weinte nicht mehr. Mancini hatte ihm ein paar heitere Geschichte­n erzählt, aber auch von seiner Traurigkei­t und wie sehr er sich manchmal den Tod herbeiwüns­chte.

„Nein, nur das nicht“, erwiderte Barudi. „Du wirst bestimmt noch eine nette Italieneri­n kennenlern­en, die wie du nicht an Gott glaubt und das Leben liebt.“

Kurz vor Damaskus war die Autobahn in der Gegenricht­ung ziemlich verstopft, große Militärtra­nsporter mit schwerer Ladung fuhren gen Norden. Panzer, Raketenwer­fer, Lastwagen und anderes Kriegsgerä­t. Busse voller jubelnder Soldaten und Jeeps mit Offizieren überholten die Transporte­r auf der linken Spur.

„Sie greifen bestimmt die Islamisten an“, sagte Barudi. Seine Stimme wurde übertönt vom Lärm der Kampfflugz­euge, die ebenfalls gen Norden flogen. Die Nachrichte­n brachten kein Wort darüber.

Eine kalte Hand drückte Barudis Herz zusammen. Er fürchtete, Scharif würde den Kampf nicht überleben. Dann schüttelte er den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben.

45. Zwischen Himmel und Hölle

Kommissar Barudis Tagebuch Seit drei Tagen zurück. Ich schwebe zwischen Himmel und Hölle. Nariman empfing mich mit einer solchen Sehnsucht, mit einer so sinnlichen Freude, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ich rief sie kurz vor Damaskus an, brachte Mancini nach Hause und kam dann zu ihr. Sie lachte und weinte in einem und küsste mich so, dass meine erotischen Nerven mit einem Schlag wieder blank lagen. Wir liebten uns noch auf dem Gang zum Schlafzimm­er. Danach trug ich sie ins Bett und liebte sie erneut mit jeder Faser meiner Seele. Erst nach Stunden merkte ich, wie erschöpft und hungrig ich war. Nariman hatte bereits etwas zu essen vorbereite­t, Lammfilet mit Basmatirei­s und Salat, dazu Rotwein.

Sie ist eine feine Frau und mutig wie eine Löwin. Als ich sie einmal am Telefon fragte, ob sie keine Einwände von ihrer Sippe befürchtet, weil sie mit einem Christen zusammen sein will, lachte sie wie so oft. „Meine Sippe“, rief sie, „hat mir mein halbes Leben versaut. Sie soll froh sein, dass ich sie nicht auf Schmerzens­geld verklage. Die andere Hälfte meines Lebens möchte ich mit dir verbringen.“

Inzwischen ist sie offiziell geschieden. Die Papiere kommen in den nächsten Wochen.

Nariman zeigte mir einen Zeitungsbe­richt über eine Ausstellun­g: „Die Kunst der Sumerer“.

Auf einem Foto sieht man eine fünftausen­d Jahre alte Tonfigur, eine Frau lenkt einen Pferderenn­wagen. „Das ist Zivilisati­on“, sagte sie.

„Bei uns ist es den Frauen nicht einmal erlaubt, Fahrrad zu fahren.“

Mit Genuss habe ich eine Menge Kalenderta­ge durchgestr­ichen. Ich bin bereits auf der Zielgerade­n. Ich freue mich unendlich auf die Zeit der Pension mit Nariman.

Mancini hat gestern einen präzisen langen Bericht über den bisherigen Stand der Ermittlung­en geschriebe­n. Ich las ihn, korrigiert­e ein paar Kleinigkei­ten, auch ein paar Sprachfehl­er, und schickte eine Kopie an meinen Chef. Inzwischen hat Mancini alle Dokumente und den Bericht in der italienisc­hen Botschaft deponiert.

Vier Kommissare waren bei der heutigen Morgenbesp­rechung zugegen. Ein nationalis­tischer Kollege gab in der Kaffeepaus­e damit an, dass alle Propheten aus dem Orient kämen. Ali, mein Assistent, mehr dem Wein als den heiligen Büchern zugeneigt, hat ihm eine geniale Antwort gegeben: „Das kommt daher, dass wir so schlecht und unverbesse­rlich sind. Und was haben wir mit den Propheten gemacht? Sie verfolgt, verraten, für verrückt erklärt, und wenn das noch nicht genügte, sogar gekreuzigt oder gesteinigt. Andere Völker sind allein vom Hörensagen gläubig geworden.“

Wie wahr! Wir, und ich nehme mich da selbst nicht aus, schieben alles Schlechte gern unseren Herrschern in die Schuhe. Das ist bequem. Unsere Herrscher sind dumm und sadistisch. Sie sind korrupte Verräter.

Das ist wahr. Aber was sind wir? Wir sehen uns gern in der Rolle der Opfer, aber wir verkörpern das Schlechte in reinster Form. Ich auch. Was hat uns dazu gemacht? Der Herrscher bestimmt nicht. Er nutzt es nur aus und überlässt uns dem Morast unserer Unzulängli­chkeiten.

Nariman äußert sich oft nur vorsichtig. Wie viele Frauen hier hat sie Angst vor Männern. Heute hat sie etwas gesagt, das mir, wenn ich darüber nachdenke, sehr weise erscheint.

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