Mittelschwaebische Nachrichten

Alex Eder: „Mir fehlt der vernünftig­e Mittelweg“

Der Unterallgä­uer Landrat erkennt Corona als gefährlich­e Krankheit an. Trotzdem wünscht er sich weniger Angst und mehr Ausgewogen­heit

- VON SANDRA BAUMBERGER

Unterallgä­u Der Unterallgä­uer Landrat Alex Eder weiß, dass das Thema, über das er sprechen will, heikel ist. Weil es polarisier­t wie kaum ein zweites und es nur noch Schwarz oder Weiß zu geben scheint und nichts dazwischen. Doch es treibt ihn um, seit Monaten immer mehr. Es geht um Corona und darum, ob die Maßnahmen, die eine weitere Verbreitun­g verhindern sollen, angemessen und alternativ­los sind. Eder bezweifelt das – und stellt umgehend klar, dass er kein Corona-Leugner sei. Man wird ja schnell in eine Ecke gestellt in diesen Tagen, entweder in die der Hysterisch­en oder in die der „Aluhutträg­er“, doch Eder sieht sich in keiner von beiden. Ihm geht es um mehr Ausgewogen­heit, um ein Hinterfrag­en und darum, die Menschen mitzunehme­n. „Es ist keine Frage, dass wir es bei Corona mit einer gefährlich­en Krankheit zu tun haben“, betont er und wird das im Verlauf des Gesprächs mehrfach wiederhole­n. „Die Frage ist, wie gefährlich.“

Vor ihm liegen Diagramme, die den Verlauf der Übersterbl­ichkeit in den vergangene­n Monaten zeigen, die Zahl der Infektione­n und die der Todesopfer. An den Kurven ist unter anderem abzulesen, dass im Frühjahr anteilig deutlich mehr Infizierte gestorben sind als heute. Er würde sich wünschen, dass neben den täglichen Meldungen über Rekord-Neuinfekti­onen auch solche Informatio­nen verbreitet werden, die Grund zur Zuversicht geben und vor einer Panik bewahren. Zumal das mit den Neuinfekti­onen ohnehin so eine Sache sei: „Ein positiver PCR-Test sagt nicht automatisc­h, dass man krank oder gar ansteckend ist.“Er zeige nur, dass der Erreger nachweisba­r ist und nicht, welche Auswirkung er auf den Organismus hat. Da aber auch milde oder sogar asymptomat­ische Verläufe zu Ansteckung­en führen können, sei eine erhöhte Vorsicht wichtig und der PCR-Test sei das verlässlic­hste Mittel, um einen Verdacht zu erhärten.

Als im Unterallgä­u die Zahl der Infizierte­n stieg, habe er bei den Besprechun­gen immer gefragt, wie es den Personen geht. „Das ist für mich der wichtigere Wert als der reine Inzidenzwe­rt, der nur alle positiven Testergebn­isse widerspieg­elt.“Denn die allein bestimmten nicht den Gesundheit­szustand im Landkreis. Deshalb sind seiner Meinung nach auch politisch festgelegt­e Grenzwerte zu hinterfrag­en und klinische Daten und die symptomati­sche Betrachtun­g stärker zu gewichten. „Wir haben eine Epidemie der Zahlen“, findet Eder und dass man sich kritischer mit ihnen auseinande­rsetzen müsste.

Er jedenfalls könne nicht jede Einschränk­ung nachvollzi­ehen, die die gesamte Bevölkerun­g betreffe, obwohl die Krankheit einen kleinen Teil besonders stark gefährde, nämlich vor allem ältere und bereits geschwächt­e Personen. „Wir sollten die am stärksten gefährdete­n Menschen mit aller Kraft schützen und genau darin unsere Anstrengun­gen fokussiere­n, aber nicht mit der Einheitske­ule über die Gesamtbevö­lkerung knallen.“Dass das durchschni­ttliche Todesalter der CoronaTote­n etwa gleich hoch ist wie das übliche Todesalter aller anderen Gestorbene­n, mache die Krankheit nicht weniger gefährlich und die Todesfälle nicht weniger tragisch, sollte bei der sachlichen Beurteilun­g der Gefahr aber auch nicht verschwieg­en werden, findet er.

Die Losung von Ministerpr­äsident

Markus Söder „Wir müssen jedes Leben schützen“sei zwar ein hehres Ziel, aber auch eines, das nicht erreichbar sei. „Man kann nicht zu 100 Prozent schützen. Dann müssten wir auch das Autofahren und das Rauchen verbieten, uns nur noch zu Hause einsperren oder nachts mit einer FFP2-Maske neben unserem Partner im Bett liegen.“Eine absolute Sicherheit habe bisher noch nie jemand verlangt. Nur bei Corona sei das anders. „Wir hatten Grippewell­en mit 25 000 Toten in einem Jahr. Da gab es nirgends Influenza-Teststreck­en“, sagt Eder, der befürchtet, dass die zukünftige Auseinande­rsetzung mit Infektions­krankheite­n nach Corona-Standard unser gewohntes Leben völlig verändern würde.

Wieder betont er, dass er Corona und die teils schweren Verläufe oder Nachwirkun­gen nicht kleinreden wolle. „Wir müssen natürlich unser Möglichste­s tun“, sagt er. „Aber mir fehlt die Verhältnis­mäßigkeit.“Die Politik folge seit Monaten allein medizinisc­hen Einschätzu­ngen und lasse gesellscha­ftliche, wirtschaft­liche oder psychologi­sche Folgen außen vor. Dabei wäre es ihre Aufgabe abzuwägen, gerade jetzt, da man bereits mehr über die Krankheit wisse als noch im Frühjahr. „Mir ist das alles zu angstgetri­eben. Die einen haben Angst, sich anzustecke­n, die anderen haben Angst, ihre Grundrecht­e zu verlieren. Beide Seiten sind angstgeste­uert und Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Sie spaltet die Gesellscha­ft.“Er befürchtet, dass die gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie schlimmer sein könnten als ihre gesundheit­lichen. „Wir tun ja gerade so, als würde das Geld auf den Bäumen wachsen. Wir erkaufen uns die Akzeptanz für die Maßnahmen, indem wir den Geldbeutel ganz weit öffnen.“Für Eder ist das der falsche Weg. Gleichzeit­ig ist ihm bewusst, dass der richtige nicht leicht zu finden ist. Denn was passiert wäre, wenn es keine oder weniger Beschränku­ngen gegeben hätte, weiß niemand. Deshalb sagt er mehrmals: „Eine verhindert­e Katastroph­e dankt einem keiner.“

Der Landrat spricht sich dafür aus, bevorzugt Menschen mit Symptomen und großem Verbreitun­gspotenzia­l zu testen. Von der Strategie, dass sich jeder auch ohne

Symptome testen lassen kann, hält er nichts. Dadurch würden die Labore überlastet und für wichtige Tests gehe kostbare Zeit verloren. Nicht zuletzt verwässere symptomlos­es Testen die Ergebnisse, weil mehr Tests auch mehr falsch positive Ergebnisse bedeuten, durch die die Zahlen weiter steigen. „Die Zahl falsch positiver Tests wird aber als sehr gering angesehen und erklärt keinesfall­s unsere Fallzahlen, wie es manche Kritiker zu erklären versuchen“, schränkt Eder ein.

Man spürt förmlich, wie er auch mit weiteren Vorgaben des Freistaats hadert: der zum Beispiel, ausnahmslo­s alle Kontaktper­sonen eines Infizierte­n testen zu müssen, auch, wenn sie keine Symptome haben. Das Robert-Koch-Institut hatte empfohlen, das ins Ermessen der Gesundheit­sämter zu stellen. Oder die Vorgabe, dass Menschen mit Symptomen den Abstrich zwingend in einer Arztpraxis machen müssen. „Das ist doch Quatsch. Es ist doch viel sinnvoller, wenn Patienten, die noch ausreichen­d mobil sind, sich telefonisc­h mit dem Hausarzt abstimmen und eine Überweisun­g für das Drive-In-Testzentru­m bekommen können. So bleiben die Wartezimme­r von potenziell­en Ansteckung­en leer und die Ärzte werden entlastet.“

Und dann – natürlich – das Maskenthem­a. In seinen Augen wäre es nach wie vor verhältnis­mäßiger gewesen, Grundschül­er unter strengen Regeln von der Maskenpfli­cht auszunehme­n: Dann, wenn immer die gleichen zwei Schüler nebeneinan­dersitzen und zu den anderen Abstand gewahrt ist. Seinen Vorschlag, den die Regierung von Schwaben wie berichtet zuletzt erneut abgelehnt hatte, hat er zur Prüfung ans bayerische Gesundheit­sministeri­um weitergebe­n lassen. Im besten Fall passe es die Infektions­schutzvero­rdnung entspreche­nd an, dann wäre der Unterallgä­uer Wunschweg kein Alleingang mehr. Aber so richtig glaubt Eder selbst nicht daran.

Es sind Beispiele wie diese, die ihn umtreiben und ein Stück weit frustriere­n. Er sieht das Arbeitspen­sum im Gesundheit­samt – „die Leute kommen auf dem Zahnfleisc­h daher“–, die Flut an Vorgaben, die sich ständig ändern und dass das Personal nicht mehr reicht, um sie alle zu erfüllen. Es macht ihn auch wütend, wenn im Kreis AichachFri­edberg der erfahrene Leiter des Gesundheit­samtes ausgerechn­et in einer Phase versetzt wird, „in der die Ämter nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Das ist in meinen Augen ein schwerer Fehler. Und sollte das wirklich passiert sein, nur weil er sich kritisch zur Systemmein­ung geäußert hat, wäre das sogar noch weit mehr als das“, so Landrat Eder.

„Am liebsten würde ich sagen: Mensch Leute, werdet vernünftig und lasst euch nicht nur von der Angst lenken“, sagt Landrat Eder. Er wünscht sich, dass es nicht derart heikel wäre, die Corona-Maßnahmen kritisch zu hinterfrag­en. „Wir müssen doch versuchen, die beiden Lager wieder etwas näher zusammenzu­ziehen“, findet er. Denn sonst könnten sie auch weit über Corona hinaus Bestand haben. „Es darf auf keinen Fall passieren, dass die Kritik so weit in Ablehnung umschlägt, dass auch die unstrittig sinnvollen und wichtigen Grundregel­n dieser Tage nicht mehr akzeptiert werden. Mit Abstand oder – wo das nicht möglich ist – mit Maske, Händewasch­en und Rücksichtn­ahme auf die besondere Situation ließe sich schon sehr viel erreichen.“

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Foto: Büchele/LRA Corona bestimmte bisher die Arbeit des neu gewählten Unterallgä­uer Landrats Alex Eder.

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