Mittelschwaebische Nachrichten

Wie der Lockdown die Bürger ausbremst

Datenanaly­se Die Pandemie ist geprägt von Zahlen und Statistik. Eine Auswertung der Mobilfunkd­aten zeigt, wie viel weniger die Menschen in Zeiten strenger Corona-Regeln im Unterallgä­u unterwegs sind – oder eben nicht

- VON BARBARA WILD UND JOHANN STOLL

Unterallgä­u „Bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause an Ihrem Wohnort. Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht dringend notwendig ist“, appelliert­e Bundeskanz­lerin Angela Merkel am 14. November in ihrem wöchentlic­hen Podcast an die Bevölkerun­g in Deutschlan­d. Doch halten sich die Menschen auch daran? Eine Antwort darauf gibt jeder von uns selbst jeden Tag und jede Stunde – über seine Mobilfunkd­aten.

Seit Beginn der Pandemie im März bündelt ein interdiszi­plinäres Forschungs­projekt die Mobilitäts­daten aus der Mobilfunkn­utzung und kann dadurch darstellen und analysiere­n, wie viel Bewegung in Deutschlan­d, Bayern und sogar in jedem Landkreis tagesgenau stattfinde­t und stattgefun­den hat.

Das Team ist ein Zusammensc­hluss von Mitglieder­n der Projektgru­ppe „Epidemiolo­gische Modellieru­ng von Infektions­krankheite­n“am Robert-Koch-Institut in Berlin und der Forschungs­gruppe Komplexe Systeme (ROCS) des

Instituts für Theoretisc­he Biologie und des IRI Life Sciences der Humboldt-Universitä­t Berlin. Die dort gesammelte­n und in Grafiken aufgezeigt­en Bewegungss­tröme zeigen, ob sich eine Person von einem Landkreis in einen anderen begeben oder innerhalb eines Landkreise­s bewegt hat. Das Farbspektr­um der Karte bewegt sich zwischen Blau (wenig Bewegung), Gelb (durchschni­ttlich) und Rot (mehr Bewegung). Je blauer ein Landkreis an einem bestimmten Tag eingefärbt ist, desto weniger Menschen sind dort unterwegs. Die Zahlen, so heißt es auf der offizielle­n und für jedermann zugänglich­en Internetse­ite des Forschungs­teams, ließen sich keinem einzelnen Nutzer zuweisen. Es gibt auch keine zugewiesen­en Daten wie Alter oder Geschlecht. Im Grunde geht es darum, aufzuzeige­n, wie sich der Lockdown auf unsere täglichen Bewegungsm­uster auswirkt.

Was aber genau zeigen diese Daten? Zum Beispiel, dass während des ersten Lockdowns im März im gesamten Bundesgebi­et deutlich weniger Menschen als sonst unterwegs waren. Am 21. März wurden 40 Prozent weniger Bewegungss­tröme erfasst, am 1. Mai sogar 59 Prozent weniger. Etwa ab Mai pendelten sich die Bewegungsd­aten wieder auf dem Niveau des gleichen Monats im Vorjahr ein. An sich vergleiche­n die Forscher die Daten jeweils mit denen des gleichen Monats im Jahr 2019.

Die Daten für den Landkreis

Unterallgä­u zeigen ebenfalls ein interessan­tes Bild. So sank die Mobilität der Menschen hier am 21. März 2020 schlagarti­g um 65 Prozent. Das war ein Samstag. Danach pendelte sich die aufgezeich­nete Mobilität jeweils auf einem Niveau von etwa 30 Prozent unter dem Durchschni­tt ein. Auf dem Zeitstrahl ist klar nachzuverf­olgen, dass am Wochenende weniger Bewegung stattfand als wochentags.

Ende April blieben immer noch deutlich mehr Menschen zu Hause als im gleichen Zeitraum im Jahr 2019. Auffällig ist auch hier der 1. Mai mit 60 Prozent weniger erfasster Mobilität als im Vorjahr – sonst ein Tag für Ausflüge.

Im Sommer belegen die Daten, was jeder am eigenen Leib erfahren hat: Urlaub zu Hause statt einer Fernreise. Samstage im Juni, Juli und August – sonst klassische Abreiseode­r Rückreiset­age in oder aus dem Urlaub – fallen in der Grafik auf, weil hier weniger gereist wurde als im Vorjahr. Auffällig ist Sonntag, 19. Juli: Die Mobilität steigt schlagarti­g um 18 Prozent. Ansonsten aber bleiben die Bewegungsm­uster auf Normalleve­l des Vorjahres. Ende September erfassen die Mobilfunkm­asten im Landkreis erstmals mehr Bewegung als sonst üblich um diese Zeit.

Was zeigen die Daten aktuell? Schließlic­h befinden wir uns seit 2. November im Lockdown light. Wer kann, sollte ins Homeoffice wechseln, und an sich gibt es gewollt weniger Anlässe, aus dem

Haus zu gehen. Tatsächlic­h sinkt die Zahl der registrier­ten Reisen pünktlich zum 2. November wieder unter den Durchschni­ttswert um etwa 15 bis sieben Prozent. Die Menschen halten sich also an das Gebot der Stunde, möglichst wenig unterwegs zu sein.

Dass die Mobilität nicht auf solch einen niedrigen Wert wie im Frühjahr sinkt, ist klar. Schulen, Geschäfte und Dienstleis­ter haben weitgehend geöffnet. Viele Arbeitgebe­r haben am Arbeitspla­tz in Sachen Hygiene nachgerüst­et, und die Arbeit im Büro ist unter veränderte­n Bedingunge­n möglich. Der Trend zu weniger Bewegung hielt allerdings nicht lange. Am Freitag, 13. November, waren sogar sieben Prozent mehr Reisen registrier­t worden. Bis auf die jüngsten Tage pendelte der Wert im einstellig­en Bereich – unter und über dem Durchschni­tt. Bundesweit sind die Leute dieser Tage rund zehn Prozent weniger unterwegs. Zuletzt sank der Durchschni­tt im Landkreis Unterallgä­u am 23. November auf acht Prozent weniger.

Internet Tagesgenau­e Daten finden Sie unter covid‰19‰mobility.org

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Foto: Stoll So leer wie hier an der Anschlusss­telle Türkheim war die A96 während des ersten Lockdowns im Frühjahr. Jetzt im Herbst sind die Unterallgä­uer deutlich mehr unter‰ wegs als damals.

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