Mittelschwaebische Nachrichten
Solche Ausnahmezustände feiert jeder Fußballer gerne
Als der SV Mindelzell eine Benefizpartie gegen den FC Bayern gewann und im Pokal den FC Augsburg besiegte
Mindelzell Der SV Mindelzell hat ein Fußballspiel gegen den FC Bayern München gewonnen! Das war vor 23 Jahren und ließ nicht nur Fußball-Fans aufhorchen. Einerseits stimmte diese Nachricht, andererseits wiederum nicht. Denn das Benefizspiel gegen den mehrfachen Deutschen Meister und Europapokalsieger hatten die Mindelzeller bei einer Verlosung im Rahmen der Aktion „Sternstunden“des Bayerischen Rundfunks und der Bayerischen Landesbank gewonnen. Auf dem Rasen dann blieben die Amateure vor 5000 Zuschauern erwartungsgemäß chancenlos und verloren klar 0:12.
Das ist aber nicht das einzige herausragende Kapitel in der FußballGeschichte des SV Mindelzell. Ebenso in guter Erinnerung ist jene noch weiter zurückliegende Partie in der neunten Runde des Toto-Pokals, das der damalige Bezirksligist mit 3:2 nach Verlängerung gegen den damals in der Bayernliga spielenden FC Augsburg gewann.
800 Zuschauer waren zugegen, als den Mindelzellern am 1. Mai 1990 dieses Husarenstück gelang. Dabei hatten selbst die hoch motivierten Gastgeber keinen Pfifferling auf einen derartigen Erfolg gesetzt. Spielertrainer Helmut Joachim, der wegen einer Verletzung nicht mitwirken konnte, wäre im Vorfeld schon zufrieden gewesen, „wenn wir fünfmal vors Augsburger Tor kommen“. Als „reine Pflichtaufgabe“betrachtete derweil FCA-Coach Dieter Schatzschneider das Spiel. Und er gab unumwunden zu, nichts, aber auch gar nichts über den SV Mindelzell zu wissen. Ihm war nicht einmal bekannt, in welche Himmelsrichtung die Fahrt zum Pokalspiel gehen würde. „Da vertrau ich dem Busfahrer“, sagte Schatzschneider damals.
Orientierungslos präsentierten sich mit zunehmender Spieldauer auch seine Schützlinge. Zwar ging Augsburg schon früh durch einen
Treffer von Thomas Renner in Führung (5.) und auch nach dem Ausgleich durch Werner Mayer, der einen geschenkten Foulelfmeter verwandelte (13.), zweifelte kaum ein Zuschauer an einem Augsburger Erfolg. Doch der Bezirksligist spielte am oberen Limit, lieferte dem Bayernligisten einen offenen Schlagabtausch. Die Gäste dagegen scheiterten immer wieder am überragenden Mindelzeller Schlussmann Siggi Kolb und legten sich mehrmals – teils berechtigt – mit Schiedsrichter John (Sulzberg) an. Sie zogen dabei den Kürzeren, handelten sich sechs Zeitstrafen und eine Rote Karte (Manfred Trippacher/77.) ein. Diese Undiszipliniertheiten hatten zur Folge, dass der Favorit mit dem aus seiner Sicht enttäuschenden 1:1 in die Verlängerung musste.
Hier überschlugen sich dann die Ereignisse. Die Gastgeber wuchsen über sich hinaus, was in der 103.
Minute mit der Führung belohnt wurde. Nach einem Eckball stieg Thomas Micheler am höchsten und beförderte den Ball per Kopf aus zehn Metern ins Netz. Heute noch spricht der Torschütze von seinem „Spiel des Lebens“. Kein Wunder, schließlich wurde der Mittelfeldspieler nach dem zwischenzeitlichen 2:2 durch Thomas Renner (110.) auch zum Matchwinner. Zwei Minuten vor Spielende bekam er an der Mittellinie den Ball. „Dann bin ich schnurstracks aufs Tor zugerannt und habe den Ball versenkt. Was danach geschah, davon weiß ich nichts mehr, weil haufenweise Spieler und auch Zuschauer auf mir gelegen sind“, versichert Micheler.
Nach dem Schlusspfiff kannte der Jubel auf dem Mindelzeller Sportgelände keine Grenzen. Was folgte, war eine feucht-fröhliche Nacht oder, wie es Micheler formuliert, „der Ausnahmezustand“. Auf seine
Person bezogen hieß das, dass er die Nacht im Mittelkreis des Sportplatzes verbrachte.
Sieben Jahre später folgte der nächste Höhepunkt in der Geschichte des 1972 gegründeten SV Mindelzell. Trotz Dauerregens wollten 5000 Zuschauer das Benefizspiel gegen die Bayern sehen.
Bayern-Manager Uli Hoeneß höchstselbst spielte bei der Verlosung der Begegnung Glücksfee und zog die Gemeinde Ursberg aus dem Pott. Ab diesem Zeitpunkt stand nicht nur der SV Mindelzell unter seinem damaligen Vorsitzenden Lorenz Steinle Kopf, sondern die gesamte Gemeinde. Der SVM spielte seinerzeit in der B-Klasse (heutige Bezeichnung Kreisklasse) und fieberte unter Trainer Hans Behrends dem Spiel am 5. Juli entgegen. Weil ein Sieg gegen die von Giovanni Trappatoni trainierten Münchner außer Diskussion stand, hatten sich die Zeller persönliche Ziele gesetzt und trafen entsprechende Abmachungen. Die ersten fünf Minuten wollte man ohne Gegentor bleiben (was auch gelang). Sollten gar die ersten 13 Minuten schadlos überstanden werden, wollte Behrends jedem seiner Schützlinge eine Pizza spendieren. Das blieb ihm erspart, da Carsten Jancker in der achten Minute den Torreigen eröffnete. Stolze 100 Mark schließlich sollte jener Mindelzeller Akteur mit Freude in die Mannschaftskasse spendieren, der ein Tor erzielen oder dem es wenigstens gelingen würde, BayernLibero Thomas Helmer zu tunneln. Letzteres schaffte Spielführer Erki Cengiz immerhin zur Hälfte: Er tunnelte nicht Helmer, sondern Alexander Zickler.
Ansonsten waren die nicht in kompletter Aufstellung angetretenen Gäste aus München in dieser Benefizpartie, die live im Bayerischen
Rundfunk übertragen wurde, trotz angezogener Handbremse stets unangefochten Herr im Haus. Gegen die 25 eingesetzten Mindelzeller schossen Carsten Jancker (8., 20., 29. und 45.), Thomas Strunz (25.), Christian Nerlinger (31.), Alexander Zickler (33., 84. und 87.), Dietmar Hamann (50.) sowie Alexander Bugera (71. und 80.) den auch in der Höhe erwarteten Sieg der Bayern heraus, ehe sie nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Kurt Ertl (VfR Günzburg) umgehend die Flucht in die Kabine antraten.
Übrigens: Der Aufwand lohnte sich. 100000 Mark – zusammengesetzt aus Eintrittsgeldern, Spenden und einer vom SV Mindelzell organisierten Tombola – gingen an die Aktion „Sternstunden“. Ein Auto im Wert von 25 000 Mark bekamen die Heime St. Franziskus und St. Martin im Dominikus-RingeisenWerk Ursberg.