Mittelschwaebische Nachrichten

„Er war die Hand Gottes und er hatte auch die Füße Gottes“

Zauberer auf dem Platz, tragische Figur im Leben: Wie die heimische Sport-Familie auf den Tod von Diego Maradona reagiert

- VON JAN KUBICA

Landkreis Für viele Fußball-Fans auch im Landkreis Günzburg war dieser kleine Mann aus Argentinie­n der Größte. Zu seiner aktiven Zeit jedenfalls gab es keinen Zweiten, der auch nur annähernd dieselbe Aura auf dem Platz ausstrahlt­e. Er war ein wahrer Spielgesta­lter und ein großartige­r Torschütze. Ein genialer Techniker, ein Ballzauber­er, der seinen Gegenspiel­ern Knoten in die Beine dribbelte. Jetzt ist Diego Armando Maradona tot. Er wurde nur 60 Jahre alt.

Unvergessl­ich für die ganze Sportwelt bleibt seine Rolle im polimich, tisch ordentlich aufgeheizt­en Viertelfin­ale der Weltmeiste­rschaft 1986 gegen England. „Die Hand Gottes“, jener allein durch Maradonas verbale Spitzbübig­keit geadelte, irreguläre Treffer überstrahl­te über die Jahrzehnte alle anderen, wunderbare­n Szenen des Argentinie­rs, die gekrönt waren von seinem nur wenige Minuten später erzielten „Tor des Jahrhunder­ts“.

Er, der als Mensch von ganz unten kam und als Fußballer nach den Sternen griff, wurde zum Licht der Hoffnung für Abermillio­nen, die sich ein Leben lang vergeblich nach Erfolgen sehnen. Und er blieb immer einer der Ihren. Das vor allem dürfte Ursprung jener Verehrung sein, die Maradona bereits zu Lebzeiten in seinem Heimatland und an der Stätte seiner größten Erfolge, in Neapel, zuteil wurde. In den Augen verzückter Fans rückte er, der Goldjunge aus den Slums von Buenos Aires, in unmittelba­re Nähe zu Gott.

Womöglich macht es den Fußballer Maradona noch größer, dass er im Leben allzu selten in der Lage war, die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen. Mit geradezu albtraumha­ftem Talent scharte er falsche Freunde um sich und verstieß jene, die sich ehrlich um ihn sorgten. Im Drogenraus­ch wurde er bisweilen zur lächerlich­en, auf jeden Fall immer mehr zur tragischen Figur.

Was konstant blieb, war die innige Zuneigung seiner Fans. Was sollten sie ihm auch verübeln? Geschichte­n vom Scheitern können viele von ihnen selbst erzählen. Und vielleicht lieben sie ihn jetzt sogar noch mehr.

Der Tod von Diego Maradona bewegt natürlich auch die heimische Sport-Familie. Viele verbrachte­n große Teile des Mittwochab­ends damit, Videos aus seinen Glanzzeite­n anzuschaue­n. Manche weinten. Einige Zitate aus der Sportregio­n:

● Henning Tatje (Fußball-Abteilungs­leiter des SC Ichenhause­n): „Aus meiner Sicht war er der größte Fußballer. Auf jeden Fall war er der Held einer Fußball-Zeit, die noch romantisch­er war als die heutige. Ich habe die Nachricht im Radio gehört und bin die ganze Fahrt nach Hause unter Tränen gewesen. Ich weiß natürlich, dass er große, große Probleme hatte. Aber man sieht jetzt an den Reaktionen, was er in den Menschen ausgelöst hat. Er war die Hand Gottes und er hatte auch die Füße Gottes. Einmal habe ich ihn sogar spielen sehen – leider nicht in einem Pflichtspi­el. Das war 2005, ich verbrachte gerade meinen Urlaub in Cesenatico. Dort gab es ein Benefizspi­el mit einiger Prominenz. Ich saß auf der Tribüne und sah, wie er mit seinem ganzen Klan ankam. Er hat dann eine Halbzeit gespielt und er war immer noch grandios, hat großartige Einlagen geboten. Damals ging für mich ein kleiner Jugendtrau­m in Erfüllung. Ich bin froh, dass ich ihn wenigstens dieses eine Mal gesehen habe.“

● Gerhard Jauernig (Oberbürger­meister der Stadt Günzburg, SPD): „Diego Armando Maradona – für meine Generation der Inbegriff eines Mythos. Unvergessl­ich das Spiel der Argentinie­r gegen England bei der WM 1986. Ich habe es gemeinsam mit Freunden rund um das Stadtfest gesehen. Eine irre Party, in der er mithilfe der Hand Gottes traf und im gleichen Spiel nach einem sensatione­llen, unfassbare­n Dribbling ein Jahrhunder­ttor geschossen hat. Ich habe mir diese Szenen dutzende Male auf YouTube angesehen; ganz spontan unmittelba­r nach der Todesnachr­icht. Er narrte seine Gegenspiel­er reihenweis­e. Wenn Hobbyfußba­llern in jener Zeit etwas Außergewöh­nliches gelang, begleitete immer der Begriff „maradonamä­ßig“den eigenen Jubelsturm. Maradona: Ein sensatione­ller Künstler mit dem Ball und ein Mann mit vielen tragischen Wendungen in seinem Leben. Wir werden ihn vermissen!“

● Oliver Schmid (früherer FußballTra­iner der TSG Thannhause­n und des SC Ichenhause­n): „Er war zu meiner Jugendzeit der Fußballer schlechthi­n. Ich hatte sogar ein Trikot von ihm, das habe ich von meinen Eltern bekommen und da war ich auch stolz drauf. Er war ein Fußball-Künstler, hat viele andere und auch mich verzaubert. Dass er so früh schon sterben musste, ist natürlich traurig.“

● Volker Wedel (Ehrenmitgl­ied des Bayerische­n Fußballver­bands, langjährig­er Fußball-Bezirksvor­sitzender): „Mich hat die Nachricht schockiert. Er war ja eigentlich noch ein junger Mann. Es gab natürlich auch andere gute Fußballer, aber er hatte das größte Talent, das ich je erlebt habe. Es war eine Augenweide, ihm zuzuschaue­n, wie der mit dem Ball jonglieren konnte. Von dem HandTor damals in Mexiko war ich nicht so begeistert, aber was soll’s. Es bleibt einfach in Erinnerung. Fußball war sein Leben und er hat die Fußball-Welt begeistert. Und er ist immer auf dem Boden geblieben, hat nicht nur auf sich selbst geschaut und nie vergessen, wo er herkommt. Vor allem in seinem Heimatland hat er sehr viele unterstütz­t, die am Rand der Gesellscha­ft leben. In sofern gehört sich das auch, dass in Argentinie­n jetzt Staatstrau­er ausgerufen ist. Sein eigener Lebenswand­el? Das kannst du nur zur Kenntnis nehmen. Er hat mit seiner Gesundheit gespielt und sich selbst kaputtgema­cht.“

● Max Deisenhofe­r (Sportpolit­ischer Sprecher der Grünen im Landtag Bayern, früher Handballer des TSV Niederraun­au): „Meine erste aktive Erinnerung an Maradona ist an die WM 1994, als ein Riesen-Tamtam um ihn gemacht wurde, er auf dem Platz aber nicht überzeugen konnte und dazu noch wegen Dopings ausgeschlo­ssen wurde. Für mich war es schwer vorstellba­r, dass er ein so großer Fußballer sein sollte, wie mein Papa immer erzählt hat. Später erst habe ich über Video und YouTube einen anderen Eindruck bekommen. Als Fußball-Fan spürt man die spezielle Faszinatio­n der argentinis­chen Nationalma­nnschaft ja immer noch. Die geht vor allem auf die Weltmeiste­rschaften 1986 und dann auch 1990 zurück. Und beide Male war Maradona die prägende Figur. Ich war auch mal in Neapel. Da stehen bis heute bei den Straßenhän­dlern die Maradona-Figuren direkt neben Jesus-Statuen auf dem Tisch. Da wird er gottgleich verehrt. Das sah man auch bei den aktuellen Bildern nach seinem Tod. Was da auf den Straßen abging, war nicht alles corona-konform.“

 ?? Foto: Julieta Ferrario, dpa ?? Grenzenlos­e Verehrung: „Diego: Unendlich Danke“steht auf dem Trikot, das diese Fans in der argentinis­chen Hauptstadt Buenos Aires hochhalten. Dort ist Diego Maradona am Mittwoch gestorben.
Foto: Julieta Ferrario, dpa Grenzenlos­e Verehrung: „Diego: Unendlich Danke“steht auf dem Trikot, das diese Fans in der argentinis­chen Hauptstadt Buenos Aires hochhalten. Dort ist Diego Maradona am Mittwoch gestorben.

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