Mittelschwaebische Nachrichten

Sexparty bringt konservati­ve EU‰Fraktion in Nöte

Hintergrun­d Der Statthalte­r des ungarische­n Regierungs­chefs Orbán in Brüssel nimmt an illegaler Orgie teil und stürzt die EVP in eine Krise

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Rue des Pierres in der Brüsseler Innenstadt ist als Treffpunkt für schwule Männer bekannt. Ausgerechn­et dort begann am vorigen Freitagabe­nd eine Krise für die europäisch­en Christdemo­kraten, die zu einem Belastungs­test führen könnte. Die Polizei war von einem Nachbarn wegen Lärms aus einer Wohnung gerufen worden. Die Beamten stießen auf eine Gruppe von rund 20 teilweise unbekleide­ten Männern, die dort trotz Lockdowns nicht nur feierten.

Einer der Gäste versuchte noch, durch ein Fenster an der Regenrinne entlang zu flüchten, musste aber verletzt aufgeben. Bei der Feststellu­ng der Personalie­n verweigert­e er als Mitglied des Europäisch­en Parlaments die Aussage. Allerdings schützt die Immunität nicht, wenn man in flagranti erwischt wird. Die Sicherheit­skräfte stellten deshalb schnell fest, um wen es sich handelte: József Szájer, 59, Vorsitzend­er der ungarische­n Abgeordnet­en, die zur Regierungs­partei Fidesz von Premier Viktor Orbán gehören. Die wiederum sind Teil der christdemo­kratischen Europäisch­en Volksparte­i (EVP), in deren Reihen auch CDU und CSU sitzen. Nach ersten Ausflüchte­n zog Szájer am Wochenanfa­ng die Konsequenz­en, gab sein Mandat zurück und trat aus der Partei aus, die er einst zusammen mit Orbán gegründet und maßgeblich mitgeprägt hatte. Mehr noch: Szájer, der mit der Juristin und Verfassung­srichterin Tünde Handó verheirate­t ist, war an der Ausarbeitu­ng der aktuellen Verfassung Ungarns mit ihrem traditione­llen Familienbi­ld federführe­nd beteiligt. Orbán nahm den Austritt an und erklärte, ein solches Verhalten seines Weggefährt­en habe „in den Werten unserer politische­n Familie keinen Platz“. Seine Tat sei „inakzeptab­el und nicht zu rechtferti­gen“.

Zu einem Politikum wurde der

Vorfall aber erst dadurch, dass nun ein Mann als Orbáns Statthalte­r innerhalb des EU-Parlamente­s aufrückt, der als äußerst umstritten gilt: Tamás Deutsch. Der 54-Jährige hatte dem Vorsitzend­en der Christdemo­kraten im europäisch­en Parlament, dem CSU-Politiker Manfred Weber, zuvor GestapoMet­hoden unterstell­t. Dabei hatte Weber bei der Verteidigu­ng des neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus lediglich festgestel­lt, wer sich an Recht und Gesetz halte, habe nichts zu befürchten.

Daraufhin sprach Tamás von Unterdrück­ungsmethod­en, die ihn an die Nazis und die Kommuniste­n erinnerten. Mitte dieser Woche platzte daraufhin dem österreich­ischen Christdemo­kraten Othmar Karas der Kragen. „Tamás Deutsch darf die Glaubwürdi­gkeit der EVPFraktio­n nicht untergrabe­n“, formuliert­e er in einem Brief an Fraktionsc­hef Weber. Seine Forderung: Der Ungar solle auf der nächsten Fraktionss­itzung am 9. Dezember ausgeschlo­ssen werden. 30 Parteifreu­nde unterschri­eben das Papier, darunter kein Mitglied von CDU oder CSU.

Im Hintergrun­d drängt seit längerem auch EVP-Parteichef Donald Tusk, der den immer noch laufenden Antrag auf Rauswurf der Fidesz aus der christdemo­kratischen Parteienfa­milie endlich durchsetze­n will. „Wer auch immer gegen das Prinzip des Rechtsstaa­ts ist, ist gegen Europa“, hatte der frühere EURatspräs­ident getwittert, nachdem Polen und Ungarn wegen des Rechtsstaa­tsmechanis­mus mit ihrem Veto den künftigen EU-Etatrahmen und den Aufbaufond­s gestoppt haben. 14 christdemo­kratische Parteien hatten sich schon im September einem früheren Antrag Tusks angeschlos­sen. Wegen der Pandemie kam es aber nicht zur Abstimmung, da diese laut Satzung physisch stattfinde­n muss.

Die EVP steht also erneut vor einer Zerreißpro­be. Nach den Ereignisse­n von Brüssel werden die Rufe nach Ausschluss der Ungarn aus Fraktion und Parteienfa­milie immer lauter. Doch Weber und die Abgeordnet­en von CDU/CSU werden gebremst – und zwar aus dem Kanzleramt. Dort bemüht sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel nämlich gerade, den ungarische­n Amtskolleg­en bis zum EU-Gipfel am 10. Dezember zu überzeugen, sein Veto zum Budget zurückzuzi­ehen. Sollte die EVP-Fraktion bei ihrer Sitzung am Tag vorher den Statthalte­r Orbáns in Brüssel aus den eigenen Reihen entfernen, käme das in Budapest wohl als Provokatio­n an.

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Foto: Vallach, dpa Enttäuscht von seinem EU‰Statthalte­r: Premier Viktor Orbán.

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