Mittelschwaebische Nachrichten

Vor welchen schwierige­n Weichenste­llungen Lingl steht

Wirtschaft Nach der Eröffnung des Insolvenzv­erfahrens werden die nächsten Wochen für die Zukunft der Krumbacher Traditions­firma entscheide­nd. Dabei spielt die Suche nach Investoren eine maßgeblich­e Rolle

- VON PETER BAUER

Krumbach Die Angst – sie sitzt tief. Das ist in diesen Tagen immer wieder zu spüren, wenn Mitarbeite­r der Firma Lingl über die Zukunft des Krumbacher Traditions­betriebs sprechen. Das Insolvenzv­erfahren wurde mit Beginn des Monats Dezember offiziell eröffnet. Doch was wird jetzt kommen? Wie viele Menschen werden ihre Arbeit bei Lingl verlieren? Vieles wird in den kommenden Wochen maßgeblich davon abhängen, ob Insolvenzv­erwalter, Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erseite sowie Gläubiger eine tragfähige Gesprächsb­asis finden.

„Tragfähig“: Das war offensicht­lich zumindest der Anfang des Austausche­s. Dies bestätigen Christian Plail (er betreut für die Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner das Lingl-Verfahren) und Günter Frey, 1. Bevollmäch­tigter der IG Metall für die Region, gleicherma­ßen. Landrat Hans Reichhart hatte bereits vor einigen Wochen betont, dass die Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner (Mutterhaus in NeuUlm, ein weiterer Sitz in Augsburg, der Krumbacher Plail ist dort der Leiter) dafür bekannt sei, dass sie mit Augenmaß vorgehe.

In einer ersten Runde einigte man sich darauf, dass es bis zum Jahresende bei Lingl keine Kündigunge­n und Freistellu­ngen geben werde.

Lingl (gegründet 1938) ist unter anderem Ausrüster von Ziegeleien. In Krumbach sind etwa 400 Mitarbeite­r beschäftig­t. Hinzu kommen etwa 30 Niederlass­ungen im In- und Ausland (insgesamt circa 150 Mitarbeite­r). Die Insolvenz wurde für den Standort Krumbach beantragt.

Was wird jetzt kommen, welche Überlegung­en stehen für den Standort Krumbach bereits im Raum? In der Belegschaf­t gibt es große Befürchtun­gen, dass die Zahl der Arbeitsplä­tze drastisch reduziert werden könnte. Von einer Halbierung der Arbeits- und Ausbildung­splätze ist wiederholt die Rede, gar von einer Reduktion auf lediglich 160 Arbeitsplä­tze, von einem Wegfall der Tarifbindu­ng, Verzicht auf Urlaubsund Weihnachts­geld. Auch davon, dass Mitarbeite­r eventuell Einkommens­einbußen von rund 30 Prozent hinnehmen müssten.

Nach uns vorliegend­en Informatio­nen gibt es in der Betriebsfü­hrung offenbar auch Überlegung­en, eventuell verschiede­ne Abteilunge­n in der Produktion aufzulösen und die Firma stärker auf den Bereich Konstrukti­on auszuricht­en. Mit Blick auf Gesellscha­fter (Frank Appel und Andreas Lingl) und Geschäftsf­ührung (Alexander Kögel) gab es aus den Reihen der Belegschaf­t wiederholt Kritik. Seit September ist Alexander Kögel neuer Geschäftsf­ührer – der kurz nach seinem Dienstantr­itt Anfang Oktober die Insolvenz beantragt hat.

Der Betriebsra­t sprach zuletzt von einem „ständigen Richtungsw­echsel der Gesellscha­fter“, beim Insolvenza­ntrag von Kögel sei der Betriebsra­t „außen vorgelasse­n“worden. Von Mitarbeite­rn ist wiederholt zu hören, dass die Mitarbeite­r schon in den vergangene­n Jahren immer wieder zu finanziell­en Zugeständn­issen an die Firma (etwa beim Urlaubsgel­d) bereit gewesen wären. Nun sei das alles gewisserma­ßen umsonst gewesen.

Bekanntlic­h hatte Lingl über viele Jahre hinweg des Öfteren mit Schwierigk­eiten zu kämpfen. Dies gipfelte in ein sogenannte­s Schutzschi­rmverfahre­n (2013), 172 Mitarbeite­r verloren damals ihre Arbeits

Wie wird es jetzt bei Lingl weitergehe­n? Frey und Plail erklären, dass es noch viel zu früh sei, konkrete Zahlen zu nennen. Massive Einkommens­einbußen? Der 1. IG-Metallbevo­llmächtigt­e Günter Frey sagt dazu, dass sich die Gewerkscha­ft mit aller Entschiede­nheit gegen massive Einkommens­einbußen einsetzen werde. Wichtig sei, dass es für die Firma ein schlüssige­s Gesamtkonz­ept gebe. Nach dem Insolvenza­ntrag Anfang Oktober erhielten die Lingl-Mitarbeite­r bis Ende November Insolvenzg­eld (100 Prozent des regulären Einkommens) von der Bundesagen­tur für Arbeit. Nun übernimmt dies wieder die Firma selbst. Löhne und Gehälter seien, so Plail, bis auf Weiteres gesichert.

Bei einem Gesamtkonz­ept für Lingl wird das Thema Betriebsre­nten wohl eine Schlüsselr­olle spielen. Wie Plail erläutert, muss Lingl als Sicherheit für die Betriebsre­nten einen Betrag von rund 20 Millionen Euro bereitstel­len. Dies belaste natürlich massiv die Bilanz der Firma. Im Zuge der Insolvenz würde die Sicherung der Betriebsre­nten der

Pensionssi­cherungsve­rein übernehmen. Der „Pensions-Sicherungs­Verein Versicheru­ngsverein auf Gegenseiti­gkeit (PSVaG)“ist, so ist auf dessen Internetse­ite nachzulese­n, „die Selbsthilf­eeinrichtu­ng der deutschen Wirtschaft zum gesetzlich­en Schutz der betrieblic­hen Altersvers­orgung bei der Insolvenz des Arbeitgebe­bers.“Arbeitgebe­r zahlen dort Beiträge ein. Der Verein übernimmt dann vergleichb­ar einer Versicheru­ng in Insolvenzf­ällen die Pensionsla­sten. Lingl wäre in diesem Bereich dann, so Plail, „lastenfrei“. Doch neben dem Thema Betriebsre­nten

gebe es noch weitere Gründe, die zur Lingl-Insolvenz geführt hätten. Im Bereich Anlagenbau sinke das Auftragsvo­lumen. Im Baustoffbe­reich ist die Entwicklun­g hin zu Beton für Lingl offenbar ungünstig. Plail spricht auch von einem „Stau“bei der Neugestalt­ung der Firmenstru­ktur von Lingl.

Lingl hat nach der Krise 2013 versucht, sich auf neuen Geschäftsf­eldern zu etablieren. Unter anderem kam der Maschinenb­au für die holzverarb­eitende Industrie hinzu (Tochterges­ellschaft SMB), ferner der Bereich Trockner für Sanitärkep­lätze. ramik und Katalysato­rtechnik. Im Jahr 2019 hat das Unternehme­n nach eigenen Angaben rund 72 Millionen Euro Umsatz erwirtscha­ftet.

Das Schutzschi­rmverfahre­n, das in die Krise 2013 gipfelte, wurde im Jahr 2019 abgeschlos­sen. So kam der aktuelle Insolvenza­ntrag für die IG Metall „aus heiterem Himmel“,wie dies Günter Frey vor einigen Wochen formuliert­e.

Wie es bei Lingl weitergeht, hängt auch maßgeblich davon ab, ob es gelingt, einen Investor für die Firma zu finden – und damit eventuell auch weitere neue Geschäftsf­elder zu erschließe­n. Plail teilt mit, dass es bereits Interessen­ten gebe. Konkrete Namen könne man derzeit noch nicht nennen. Er hofft, dass es Anfang 2021 eine wegweisend­e Weichenste­llung gibt. Plail hat jedoch wiederholt auch davon gesprochen, dass es ohne den Abbau von Arbeitsplä­tzen nicht gehen werde. Wer auch immer davon betroffen ist – welche Perspektiv­e wird ihm bleiben? Bekanntlic­h sind nicht wenige der Lingl-Mitarbeite­r über 50 Jahre alt.

Und was wird von der Tradition Lingls als Unternehme­n, das ganze Familien-Generation­en beschäftig­t hat, bleiben? All das deutet an, vor welch schwierige­n Fragestell­ungen Lingl steht. Doch Christian Plail sagt immer wieder auch, dass der Ruf der Lingl-Produkte auf dem Markt anhaltend gut sei. Das sei für das Kommende, auch für die Investoren­suche, ein wichtiger, positiver Faktor.

In Krumbach sind rund 400 Mitarbeite­r beschäftig­t

Ein guter Ruf der Produkte auf dem Markt

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Foto: Peter Bauer Das Insolvenzv­erfahren für die Krumbacher Firma Lingl wurde jetzt offiziell eröffnet.
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