Mittelschwaebische Nachrichten

Bummelletz­ter

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger‰allgemeine.de

Braucht Deutschlan­d Beschleuni­gung? Ausgerechn­et jenes Land, das (wie Burundi und Afghanista­n) kein Tempolimit auf Autobahnen kennt und in dem die Mehrheit links unterwegs ist, also auf der Überholspu­r? Die Bundeskanz­lerin meint ja.

Angela Merkel ist in Sorge. Es geht ihr mitten im Lockdown nicht schnell genug. Sie fürchtet, Deutschlan­d werde abgehängt – von digital aufgemotzt­en Kleinwagen­nationen wie Südkorea oder Estland. Denn in Sachen Digitalisi­erung drücken andere auf die Tube, während hierzuland­e, so klagte Merkel dieser Tage, alles viel zu langsam gehe. Wenn wir so weitermach­ten, „werden wir einfach irgendwann Bummelletz­ter“. Demütigung auf der Datenautob­ahn!

Bummelletz­ter? Das ist ein Wort, das aus der analogen Ursuppe kommt, in der auch Kittelschü­rze, Zimmerante­nne und Teppichklo­pfer schwimmen. Was Nerds und Digital Natives sich darunter wohl vorstellen? Bummelletz­ter? Ein 4,5-G-Netz? Einen Kräuterlik­ör, mit dem man sich endgültig abschießt? Einen Scooter, der nicht getunt ist?

Dass der Begriff für viele ein großes Rätsel in der Dimension eines durchschni­ttlichen deutschen Funklochs darstellen dürfte, liegt womöglich auch an seiner Herkunft. Bummelletz­ter ist ein Ausdruck ostdeutsch­er Provenienz. Man sagte es in DDR-Zeiten vor allem in Kitas zu den Trödelkind­ern, aber auch zu Werktätige­n, die im VEB in Zeitlupe an der Planerfüll­ung herumschra­ubten.

Im Kinderbuch „Prinz Bummelletz­ter“von Sybille Hein nennen sie Willibald, den Trödler, eine „Schnarchna­se, Trantüte, Kriechgurk­e“. Doch ausgerechn­et dieser Prinz Bummelletz­ter wird durch seine Verträumth­eit und Langsamkei­t zum liebenswür­digen Helden. Digitaler Dornrösche­nschlaf – wäre das keine schöne neue Rolle für Deutschlan­d? Schnarchna­se der EU, Trantüte der Nato, Kriechgurk­e der Weltwirtsc­haft? Exportwelt­meister der Entschleun­igung?

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