Mittelschwaebische Nachrichten
Johannes Brahms hat es komponiert
Das Lied „In stiller Nacht“war ursprünglich eine Ölbergbetrachtung
Krumbach
Das Lied „In stiller Nacht“gehört zu den 14 Volksliedern, die Johannes Brahms für die Wiener Singakademie komponiert hat. Seit 1862 hat er die Leitung der Singakademie übernommen. Beim Konzert am 15. November 1863 im großen Redoutensaal der Wiener Hofburg kam das Lied „In stiller Nacht“erstmals zur Aufführung. Brahms dirigierte es als Zugabe. Die Kritik war begeistert. Ein Kritiker schrieb: „Liebenswürdigeres, Innigeres in dieser knappen, schlichten Form haben wir selten gehört.“
Das Lied ist eigentlich ein Passionslied, das der Dichter Friedrich von Spee (1591 – 1635) gedichtet hat. Es wurde 1649 in der Liedsammlung „Trutznachtigall“veröffentlicht. In 15 Strophen begleitet das Lied Spees Jesus am Ölberg. Es will zum Mitleid, mehr noch zum Mitleiden bewegen. Andere Lieder des Jesuiten Spee sind Volkslieder geworden, nicht so dieses Passionslied. Im 19. Jahrhundert hat ein Volksliedsammler und Komponist dieses Lied der Vergessenheit entrissen. Es handelt sich um Friedrich Wilhelm Arnold. Er überschreibt das Lied mit „Totenklage“und reduziert die 15 Strophen auf vier Strophen.
Johannes Brahms stößt 1860 auf den Text und fühlt sich von ihm angesprochen. Bei ihm bleiben noch zwei Strophen übrig. Friedrich von Spee hätte wohl gestaunt, was aus seiner Ölbergbetrachtung geworden ist. In der ersten Fassung überschrieb Brahms seine Komposition mit „Klage“, dann entschied er sich für den Titel „In stiller Nacht“. Ein gregorianisches Miserere regte ihn zur Melodie des Liedes an. Das Lied war überaus erfolgreich vor allem, weil es 1911 Aufnahme in das Liedheft der Wandervogelbewegung fand. Der „Zupfgeigenhansl“, so hieß das Liedheft, begleitete viele Jugendliche bei Wanderungen und Zeltlagern.
Auf diesem Weg über die Jugend gelangte das Lied wieder zurück in die Kirche. Im „Kirchenlied“, das vom Haus Altenberg für die Katholische Jugend 1938 herauskam, kann man es finden. Dort beschränkt es sich nicht auf zwei Strophen wie bei Johannes Brahms, auch nicht auf vier Strophen wie bei Friedrich Wilhelm Arnold und dem „Zupfgeigenhansl“, sondern sechs Strophen von den 15 Strophen Spees hat Prälat Ludwig Wolker drucken lassen. Die Katholische Jugend war zu diesem Zeitpunkt bereits verboten, aber ebenso die Wandervogelbewegung. Die Jugendlichen waren damals durchaus für eine Ölbergstimmung empfänglich. Das Lied hat nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang gefunden in den Eigenteil des „Gotteslob“mancher deutscher Diözesen. Man hat den Text aus dem „Kirchenlied“übernommen.
Wer nicht weiß, dass es sich bei dem Lied „In stiller Nacht“ursprünglich um eine Ölbergbetrachtung handelt, würde bei dem Text wohl kaum auf die Idee kommen. Bei Johannes Brahms heißt es nämlich: In stiller Nacht zur ersten Wacht ein Stimm beginnt zu klagen, der nächt’ge Wind hat leis und lind zu mir den Klang getragen. Von herbem Leid und Traurigkeit das Herz ist mir zerflossen. Die Blümelein mit Tränen mein hab ich sie all begossen.
Der „Zupfgeigenhansl“der Wandervögel stellt den Text zu einer Nachtwanderung im herbstlichen Wald. Erst das „Kirchenlied“stellt wieder den ursprünglichen Zusammenhang mit dem Ölbergleiden Jesu her.