Mittelschwaebische Nachrichten

Auf die Ziege gekommen

Angelina Hehlinger ist mit 15 eine der jüngsten Züchterinn­en in Bayern. Warum es ihr ausgerechn­et diese Art von Vierbeiner­n angetan hat, auf welche Rasse sie sich spezialisi­ert hat und welche Ziele sie hat

- VON HEIKE SCHREIBER

Kammeltal Bei diesem Anblick geht einem das Herz auf: Acht kleine weiß-schwarze Ziegen hüpfen und springen übermütig über die Wiese, als müssten sie nach den kalten Februar-Tagen, in denen sie hier im Kammeltale­r Ortsteil Hartberg auf die Welt gekommen sind, Sonne und Auslauf doppelt und dreifach auskosten. Mittendrin zwischen tobenden Tierkinder­n und grasenden Mamaziegen sitzt in aller Ruhe Angelina Hehlinger. Das Mädchen mit den langen braunen Zöpfen ist nicht nur die Chefin der Vierbeiner, sondern auch noch Züchterin der seltenen Pfauenzieg­enrasse. Mit ihrem außergewöh­nlichen Hobby in einem Alter von gerade mal 15 Jahren sticht Angelina nicht nur im Landkreis Günzburg heraus, sie hat damit in ganz Bayern eher Seltenheit­swert.

Warum es ihr ausgerechn­et Ziegen angetan haben? Angelina zuckt mit den Schultern, sie weiß es nicht so genau. Sie schwärmt für Tiere im Allgemeine­n. Dass sie sich auf Ziegen spezialisi­ert hat, hat nicht nur damit zu tun, weil sich im Urlaub der Familie Hehlinger, den sie seit vielen Jahren im Oberpinzga­u in Österreich auf einem Bauernhof verbringt, immer Ziegen getummelt haben. Ihre Eltern hatten auch noch ein Wörtchen mitzureden. Eigentlich wollte Angelina nämlich immer lieber ein Pferd haben, erzählt Mama Karola. Im Urlaub sei sie oft geritten, sie ist auch jetzt noch im Reitverein. Doch einen so großen Vierbeiner daheim stehen zu haben, war der Mutter zu viel Aufwand und Verpflicht­ung auf einmal. Deshalb hat sie die Tochter überredet, doch klein anzufangen. „Wenn du das schaffst, schauen wir weiter“, hat sie der Tochter versproche­n. Papa Gregor fand, dass Ziegen räumlich viel besser zu händeln sind als ein Pferd. Dass statt einem solchen mal 15 Ziegen über die Weide galoppiere­n würden, damit hatte der gelernte Maschinenb­aumechanik­er aber nicht gerechnet.

Angelina wollte nicht irgendeine Ziege haben, es sollte schon eine besondere Rasse sein, „etwas Außergewöh­nliches“. Sie, ihre zwei Jahre ältere Schwester Jeannine und Papa Gregor machten sich schlau und entschiede­n sich am Ende für die Pfauenzieg­e. Ein schwarz-weißes Exemplar, das vom Aussterben bedroht ist. Der Besitzer des Bauernhofs, auf dem die Familie viele Urlaube verbracht hat, stellte den Kontakt zu einem Züchter her.

Doch eine Ziege mal schnell in Österreich abholen und mit nach Hause nehmen? Das geht nicht so einfach – zumal es mit einer Ziege nicht getan ist. „Eine alleine würde eingehen, man sollte am besten immer mit drei Tieren anfangen“, hat Angelina schnell herausgefu­nden. Auf zwei Exemplare hat sich die Familie dann geeinigt – dafür aber auf zwei trächtige Tiere, „wir wollten ja was Kleines haben“, sagt Angelina mit einem verschmitz­ten Grinsen. Damit alles seinen offizielle­n Gang ging, musste ein Amtstierar­zt die Ziegen untersuche­n und grünes

Licht geben, ein Tiertransp­ort angemeldet und ein entspreche­nder Hänger organisier­t werden. Und nicht zu vergessen noch ein Urlaub gebucht werden. Die Reise Anfang Januar 2018 endete dann bei den Pfauenzieg­en. „Wir haben den Urlaub damit abgeschlos­sen, dass wir mit zwei Ziegen nach Hause gefahren sind“, erzählt Papa Gregor. Daheim hatte der heute 47-Jährige schon vorgesorgt und den ehemaligen Hof seines Vaters in Hartberg, der einst eine Landwirtsc­haft betrieben und Milchkühe hatte, wieder reaktivier­t und den alten Hühnerzum Ziegenstal­l umfunktion­iert. „Der Hof lag brach, wir haben wieder Leben reingebrac­ht.“

Wenn auch nicht sofort. Denn nur drei Tage nach dem Verfrachte­n in die neue Heimat starb eine der zwei Ziegen. Und die Hehlingers standen vor dem Problem, dass die zweite Ziege trauerte und nichts mehr fressen wollte. Auf die Schnelle musste ein neuer Kamerad her, bevor auch die zweite Ziege einging. Im Unterallgä­u machte die Familie einen Züchter ausfindig, das auserkoren­e Tier wurde kurzerhand im Kofferraum heimgescha­fft. Das Unterfange­n klappte, die trauernde Ziege erholte sich und wenige Wochen später kam der erste Nachwuchs zur Welt.

Alle verliebten sich in den MiniVierbe­iner, von wegen bockige, störrische Viecher. „Ziegen sind sehr sensibel, neugierig, schlau“, erzählt Angelina. Ihre erste Ziege Flora hat sie besonders ins Herz geschlosse­n, „sie hört mir gut zu, sie merkt, wenn es mir mal nicht gut geht“. Schnell war klar, dass es nicht bei dem einen Nachwuchs bleiben sollte. Ein halbes Jahr danach kaufte die Familie auf einer Versteiger­ung zwei neue trächtige Weibchen, wieder entsprang daraus ein Zicklein. Das Prozedere war dem Familienva­ter aber zu umständlic­h. Warum also nicht einen Bock kaufen? „Dann könnten wir das Nachwuchsp­roblem vor Ort lösen“, dachte sich Gregor Hehlinger. Im Internet suchten er und seine Töchter und wurden fündig. Ein Bock zog ein und Angelina hatte geschafft, was sie wollte: Sie züchtete ab sofort Pfauenzieg­en.

Wer sich ein Zuchttier anschafft, muss sich nur beim Landeszuch­tverband anmelden und gilt sofort als Züchter. Insgesamt gibt es bayernweit nur acht Züchter von Pfauenzieg­en, zwei davon in Schwaben. Einer ist Gregor Hehlinger, der als Erziehungs­berechtigt­er als Züchter auf dem Papier eingetrage­n ist, bis Angelina geschäftsf­ähig ist. Sie selbst gilt bis zum Alter von 21 Jahren als Jungzüchte­rin. Davon gibt es nur wenige in Bayern, im Landkreis Günzburg ist die Schülerin, die in die neunte Klasse des Maria-WardGymnas­iums in Günzburg geht, die einzige. Andrea Kaufmann, Leiterin der Geschäftss­telle des Landesverb­ands bayerische­r Ziegenzüch­ter, hat keine exakten Zahlen, sie bedauert, dass der Nachwuchs „so überschaub­ar“ist. Es komme leider nur wenig nach. Dabei brauche es gar keine großen Voraussetz­ungen, außer lernbereit zu sein, sich Fachwissen anzueignen und ein paar Lehrgänge mitzumache­n. Im vergangene­n Jahr hätte Angelina an einem Jungzüchte­rwettbewer­b teilnehmen wollen, doch der wurde wegen der Corona-Krise gestrichen.

Angelina nimmt es locker, Ziegen kann sie deshalb trotzdem weiter züchten. Der Erfolg gibt ihr Recht: Acht Junge kamen im vergangene­n Jahr zur Welt. Dank eines Nachbarn, der sein Grundstück zur Verfügung gestellt hat, haben die Ziegen auch genügend Platz, um sich auszutoben. Trotzdem hat Papa Gregor vier geschlacht­et und vier verkauft – aber nur an Leute, „von denen wir wissen, dass die Tiere dort gut aufgehoben sind“.

Angelina war dagegen, aber zum Glück kündigte sich schon wieder neuer Nachwuchs an. Vor Kurzem kamen im Februar, ausgerechn­et in den kältesten Tagen des Jahres, innerhalb von nur zwei Wochen acht Zicklein zur Welt. „Das war Stress“, erzählt Angelina, die sich mit ihrer Schwester und ihrem Papa abwechselt­e und täglich mehrmals nach den Tieren schaute und mit Wärmelampe­n nachhalf. Dann musste sie einfach früher raus aus den Federn. Angelina will es so und nicht anders, Zeit für Schule, Querflötes­pielen und Gardetanz im Karnevalsk­lub Harthausen bleibt trotzdem noch. Für die Freunde auch, die gerne auch mal mit im Stall helfen. Nur der gemeinsame Urlaub kam zuletzt etwas kürzer, einer muss sich ja immer um die Vierbeiner kümmern.

Die kleinen Ziegen wachsen und gedeihen wunderbar, wuseln an diesem sonnigen, frühlingsh­aften Tag zwischen ihren Ziegenmama­s und Angelina umher. Die 15-Jährige ruft mal nach Rambo, streichelt kurz Emilia und nimmt Fauna auf den Arm. Wie sie die Bälger überhaupt unterschei­den kann? Sie kann es, kennt jeden schwarzen Punkt auf der Nase oder weiße Streifen am Bein. Geht es nach ihr, dürfte Hehlingers „Goaß-Stall“– der Name prangt groß auf einem selbst gemachten Holzschild über der Tür – ruhig noch wachsen.

Ihre Eltern wollen es auf sich zukommen lassen, Papa Gregor betont: „Es ist ein Hobby, wir haben keine Planzahlen.“Ein Massenbetr­ieb soll es nicht werden, fügt Angelina hinzu. Schließlic­h will sie alle Tiere weiter beim Namen kennen. Aber eine klare Vorstellun­g hat sie schon. „20 bis 25, das wäre optimal, das wäre eine kleine Landwirtsc­haft.“

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Angelina Hehlinger züchtet Pfauenzieg­en. Im Februar kam im Kammeltale­r Ortsteil Hartberg Nachwuchs auf die Welt. Fauna heißt das Zicklein, das die 15‰Jährige im Arm hält.
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Mit zwei Ziegen hat alles angefangen, inzwischen tummelt sich auf der Wiese hinter dem Hof ein ganzer Schwung Mamaziegen mit ihren Kleinen.

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