Mittelschwaebische Nachrichten
Geldeintreiber wegen Selbstjustiz verurteilt
In Leipheim wollte ein Duo Schulden auf seine Art eintreiben. Staatsanwältin kritisiert Polizeiermittlungen
Günzburg Wegen eines Privatdarlehens ist es in Leipheim zu einem Akt der Selbstjustiz gekommen. So stufte Richter Martin Kramer die Tat zweier Männer im Alter von 44 und 47 Jahren ein. Sie wollten Schulden eines 56-Jährigen mit Gewalt eintreiben und waren nun wegen Körperverletzung, Nötigung und Sachbeschädigung angeklagt. Nach Einschätzung der Staatsanwältin in diesem Verfahren waren die Ermittlungen der Polizei nicht optimal gelaufen.
Zu der folgenschweren Auseinandersetzung in einer Werkstatt im Leipheimer Ortsteil Riedheim war es im Januar 2020 gekommen. Dort tauchten die beiden Angeklagten gegen 22 Uhr bei einem Mann auf, um 3000 Euro abzukassieren. Diese Summe hatte sich der 56-Jährige Monate zuvor von dem jüngeren der Angeklagten gepumpt. Wegen eines finanziellen Engpasses, gab das Opfer als Zeuge vor Gericht an. Thomas Dick, Verteidiger des 44-jährigen Angeklagten, teilte mit, dass der Gerichtsvollzieher vollstrecken wollte.
Was dann folgte, beschrieben Opfer und Täter mit erheblichen Unterschieden. „Er ging mir sofort an die Gurgel“, sagte der 56-Jährige über den Angriff des 44-Jährigen. Beim Gerangel fielen beide, das Opfer mit dem Rücken auf ein Motorrad. Erst kamen Faustschläge, dann soll der Täter plötzlich eine elf Kilogramm schwere Gasflasche ergriffen und über den Kopf erhoben haben, als ob er den Gegner damit treffen wollte. Doch das Opfer konnte sich wehren, die Gasflasche wurde fallen gelassen. Ob sie bewusst auf das umgekippte Motorrad geworfen wurde, wie vom Zeugen behauptet, oder dort nur deponiert wurde, blieb ungeklärt.
Ebenso offen blieb, welche Rolle der zweite Angeklagte gespielt hatte. Laut Aussage des Zeugen war er zunächst am Eingang stehen geblieben, habe aber den Kumpel motiviert, er solle dem Opfer „auf den Grind schlagen“. Später habe er dem Schuldner einen Faustschlag versetzt. Die beiden Täter flüchteten ohne das Geld, der Angegriffene alarmierte die Polizei. Kurz danach kehrten die Angeklagten wieder zurück, weil der Jüngere seinen Ausweis und sein Handy bei dem Gerangel verloren hatte. Als die Werkstatt abgeschlossen war, zertrümmerte der 44-Jährige kurzerhand mehrere Scheiben. Die dann eintreffenden Beamten nahmen die beiden Männer vorläufig fest. Noch im Beisein der Polizisten drohte der 44-Jährige dem Opfer, er werde es umbringen, wenn die Anzeige juristische Konsequenzen habe.
Richter Kramer zweifelte an den Aussagen des Opfers, da sie jetzt vor Gericht und bei der Polizei kurz nach der Tat deutliche Differenzen aufwiesen. Zusätzlich solle der Zeuge eine Skizze vom Tatort anfertigen, um die Situation während der Attacke nachvollziehbar zu machen. „Malen sie Strichmännchen“, forderte der Richter den Zeugen auf, um die Positionen der Beteiligten festzustellen.
Nach der Festnahme wurde der mit etwas über ein Promille alkoholisierte Angreifer bei der Polizeiinspektion Günzburg in eine Zelle gesteckt. Dort randalierte der 44-Jährige und zerriss die Bettdecke in
Streifen, angeklagt als Sachbeschädigung. Wegen der unklaren Rolle seines Mandanten beantragte dessen Verteidiger Mihail Milosevic die Einstellung des Verfahrens gegen den älteren Mittäter. Dem folgten Richter und Staatsanwältin. Der 47-Jährige muss eine Geldauflage von 1000 Euro ans Günzburger Tierheim zahlen und bleibt damit straffrei.
Nach der neuen Entwicklung gab Anwalt Dick für seinen Mandanten eine Erklärung ab, bisher hatten beide keine Aussagen gemacht. Der 44-Jährige und der Schuldner kennen sich länger. Obwohl der Angeklagte ebenfalls „nicht auf Rosen gebettet sei“, habe er dem 56-Jährigen die 3000 Euro geliehen, sogar mit richtigem Vertrag. Der Darlehensnehmer habe pünktliche Rückzahlung versprochen, notfalls durch Verkauf eines Anhängers und eines Motorrades. Am Tattag habe sein Mandant mit dem 47-Jährigen getrunken, da hätte man sich auf die Aktion verständigt.
„Dann hat sich die Situation hochgeschaukelt“, so der Anwalt. Erst habe der Zeuge geschubst, dann sein Mandant, beide stürzten, es kam zum Gerangel. Die Gasflasche habe er nur kurz hochgehoben, dann aber gleich wieder auf das Motorrad abgelegt. Die spätere Rückkehr und das Einschlagen einer Scheibe wurde ebenso zugegeben wie die Drohung vor der Polizei. Dann mischte sich der 44-Jährige ein: „Ich bin angegriffen worden, wollte mich nur verteidigen.“Er habe selbst die Polizei rufen wollen, dann aber festgestellt, dass er sein Handy in der Werkstatt verloren hatte.
Die Staatsanwältin sah einen Teil der Anklage bestätigt und hielt die Aussagen des Zeugen im Kern für glaubwürdig, bemängelte aber zugleich die teils „schlecht gelaufenen Ermittlungen der Polizei“. Sie forderte eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu 25 Euro, also 3750 Euro, für den bisher juristisch nie auffälligen 44-Jährigen, der von einem Netto-Einkommen von 1000 Euro Darlehensraten für Haus und Garage bestreiten muss. Es gehe hier um vermeintliche Täter und vermeintliche Opfer, argumentierte Verteidiger Dick.
Wegen der erheblichen Unterschiede bei der Aussage bei Polizei und Gericht zweifele er an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Einen Teil der Vorwürfe habe sein Mandant eingeräumt, bei der Sachbeschädigung in der Haftzelle sei er überfordert gewesen. Für die Nötigung und die zerrissene Decke sei eine Geldstrafe von maximal 30 Tagessätzen angemessen, in den anderen Fällen sei er freizusprechen.
Da spielte Richter Kramer nicht mit. Die Variante, dass der Angeklagte vom Zeugen angegriffen worden sei, nehme er ihm nicht ab. Statt sich einen Anwalt zu nehmen und das Darlehen auf zivilrechtlichem Weg zurückzuholen, sei es zum „Akt der Selbstjustiz“gekommen. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung durch eine „latente Todesdrohung“lautete das Urteil auf 110 Tagessätze zu 25 Euro, also 2750 Euro. Die geliehenen 3000 Euro wurden übrigens noch im Januar 2020 zurückgezahlt, so Anwalt Dick auf Nachfrage unserer Redaktion. Er ließ aber offen, ob gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt werden.