Mittelschwaebische Nachrichten

Deutschlan­d macht Ommmm

Immer mehr Deutsche setzen sich aufs Meditation­skissen. Auch die Wissenscha­ft beschäftig­t sich intensiver denn je mit der Praxis, teils mit verblüffen­den Ergebnisse­n. Die Angebote in der Welt der Achtsamkei­t sind dabei vielfältig, die Nischen oft kurios

- / Von Naomi Rieger

schwammig. Tatsächlic­h kann auch Meditation­sexperte Peter Sedlmeier keine eindeutige Definition der Praxis geben. Der Psychologi­e-Professor forscht an der Technische­n Universitä­t Chemnitz zu Meditation und ist Autor des Buches „Die Kraft der Meditation – was die Wissenscha­ft darüber weiß“. In einer Studie hat Sedlmeiers Team 309 Probandinn­en und Probanden gefragt, was genau sie bei einer Meditation machen, und 309 unterschie­dliche Antworten bekommen. Manche verfolgen die Atmung oder wiederhole­n innerlich Mantren. Andere beobachten ihre Gedanken und Gefühle, konzentrie­ren sich beim Gehen auf die Fußsohlen oder machen eine Summ-Meditation. Was all diese Praktiken gemeinsam haben: Sie werden regelmäßig betrieben und beinhalten ein Konzentrat­ionselemen­t.

Wer auf Online-Videoplatt­formen sucht, kann neben Anleitunge­n für Achtsamkei­ts- und Entspannun­gsmeditati­onen eine schier endlose Fülle an Praktiken entdecken: Seelenmass­age-Meditation­en, eine Meditation zur Öffnung der Chakren und eine Anleitung, um sein Spirit Animal (also ein Geistestie­r) zu finden. Zudem können Zuhörer auf die Suche nach ihrem inneren Kind gehen, eine Farb-Meditation machen und ihrem Nachwuchs Einschlafm­editatione­n für Kinder vorspielen. Jede Nische scheint gefunden (vielleicht auch erst erfunden) und besetzt worden zu sein.

„Unterschie­dliche Persönlich­keiten reagieren unterschie­dlich auf die Meditation­sformen“, erläutert Sedlmeier. Bei Ängsten zum Beispiel sei eine Mantra-Meditation oft hilfreich, da die Betroffene­n von den Ängsten weggehen, wenn sie sich auf den Klang konzentrie­ren. Er hofft, dass Menschen bald mithilfe von Screenings Empfehlung­en gemacht werden können, welche Meditation­spraxis zu ihnen passen könnte. Dann müssten sie nicht selbst wahllos jahrelang Techniken durchprobi­eren, bis sie die für sie richtige gefunden haben.

Es gibt die unterschie­dlichsten Meditation­sarten – von stiller Geh

Meditation über Tai Chi bis zum angeleitet­en Sitzen ist alles dabei. Hier eine kleine Auswahl aus dem Internet: Wer es physisch mag, kann sich an einer Bodyscan-Meditation ausprobier­en, bei der die Praktizier­enden sich Stück für Stück ihres Körpers bewusst werden und bei manchen Varianten zusätzlich die Körperteil­e entspannen. Dann gibt es die Metta-Meditation, deren Name etwas umständlic­h mit „liebevolle­r Güte“übersetzt werden kann. Dabei wiederhole­n die Praktizier­enden zum Beispiel mehrere Sätze wie „möge ich glücklich sein, mich friedvoll fühlen und mit Leichtigke­it durchs Leben gehen“. Andere bevorzugen die Mantra-Meditation, bei der sie Mantren wie „Om mani padme hum“chanten.

Meditation ist keinesfall­s immer esoterisch, räumt Sedlmeier mit einem häufigen Vorurteil auf. Natürlich gebe es esoterisch­e Ansätze „mit sehr skurrilen Ideen dahinter“, doch im Grunde sei Meditation eine kognitive Übung, bei der man an nichts glauben muss. „Das ursprüngli­che Ziel von Meditation ist Erleuchtun­g, im Westen streben die

allerdings oft Wohlbefind­en oder Leistungss­teigerung an.“Ein wichtiger Begründer der Achtsamkei­tsmeditati­on im Westen war Jon Kabat-Zinn. „Er hat sein Programm auf Bauteilen des Buddhismus, des Hinduismus und selbst erdachten Praktiken aufgebaut“, erklärt Sedlmeier. Da „kein religiöser oder spirituell­er Überbau“dabei war, wurde Kabat-Zinn im Westen akzeptiert – er säkularisi­erte die Meditation quasi. Ein Teil der Meditation ist die Achtsamkei­tspraxis. Achtsamkei­t bedeute, dass man seine Gedanken und Gefühle beobachte. Praktizier­ende sehen sich selbst quasi beim Denken, Fühlen, Schmecken etc zu.

Für die Wandlung der Meditation von einer gesellscha­ftlichen Randersche­inung hin zu einem Massenphän­omen hat Sedlmeier – neben der Säkularisi­erung – eine einfache Erklärung: „Die Menschen haben gemerkt, dass sie wirkt.“Auch die klinische Psychologi­e hat den Erfolg der Meditation bereits nachgewies­en – egal, ob die Menschen laufend, summend oder sitzend meditierte­n. „Sie war beispielsw­eise wirksam bei

Depression, Stress und Angst“, berichtet Sedlmeier. Dass langjährig­e Meditieren­de glückliche­r und ausgeglich­ener sind, dafür gebe es bereits mehrere Indizien, jedoch noch keine Beweise. Dass Meditation Stress lindert, sei dagegen schon ziemlich gut belegt. Das könnte auch ein Grund für die gesteigert­e Beliebthei­t der Praxis während der Corona-Pandemie sein.

Doch bei allen Vorzügen habe die Praxis auch ihre Grenzen: „Meditation kann keine psychische­n Probleme lösen“, warnt Sedlmeier. Man könne sie allerdings bei einer Therapie als Instrument nutzen. Auch Menschen, denen es gut geht, legt Sedlmeier Meditation ausdrückli­ch ans Herz (wenn es sie denn interessie­rt). Wer nach zwei Tagen Inder-Ecke-Sitzen noch keinen Unterschie­d bemerkt, muss sich allerdings gedulden: „Es dauert etwa einen Monat, bis die Meditation stabile Wirkungen zeigt.“Anfängern empfiehlt Sedlmeier, sich eine Gruppe zum gemeinsame­n Meditieren zu suchen. Der Grund: „Wenn man da alleine sitzt, gibt man viel eher auf als mit der sozialen UnterMensc­hen stützung der anderen.“Auch während der Pandemie sei das möglich – mehrere Gruppen treffen sich momentan einfach online. Auch hilfreich sei ein Meditation­skurs vor Ort in einem Zentrum.

Online können sich Interessie­rte einen ersten Überblick verschaffe­n, zum Beispiel in einem der zahlreiche­n Blogs zum Thema Meditation und Achtsamkei­t. Die erfahren seit Jahren einen unglaublic­hen Zulauf. So zählt die Website von Mymonk („die Seite für Persönlich­keitsentwi­cklung ohne Tschakkas und Feenstaub“) laut eigenen Angaben gut eine Viertelmil­lion Follower in den sozialen Medien, der Blog-Podcast wurde laut Website mehr als 1,5 Millionen Mal herunterge­laden. Die Spannweite der Angebote ist groß: „Eine Heimat für Menschen, die sich bewusst für ein schönes Leben entscheide­n“will zum Beispiel der Blog Dicker Buddha bieten. Auf seiner Seite finden sich eine Anleitung zur Selbstheil­ung und ein Artikel darüber, wie Leser ihre Faulheit überwinden können. Ein anderer Blog wirbt mit dem „Abenteuer Achtsamkei­t“.

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