Mittelschwaebische Nachrichten
Der Fall Sauter und das Dilemma der KreisCSU
Am Samstag hatten Parteimitglieder noch keine Gelegenheit, mit dem massiv in die Kritik geratenen Alfred Sauter zu sprechen. Delegierte wurden gewählt, die einen noch unbekannten Kandidaten für die Bundestagswahl nominieren sollen
Einen Kandidaten für die Bundestagswahl zu finden ist ziemlich schwierig geworden. Das sagt Kreis-Vize Schwarz.
Günzburg Vor einigen Wochen war alles ganz klar: Georg Schwarz, bis vor einem Jahr noch Bürgermeister in Thannhausen, wollte sich endgültig aufs politische Altenteil zurückziehen und nicht mehr als stellvertretender Vorsitzender des CSUKreisverbands Günzburg antreten. Nachfolger für ihn und Christa Wenninger waren bereits ausgeguckt. Die Vorstandswahlen, eigentlich für diesen Samstag im Günzburger Forum am Hofgarten vorgesehen, sind ausgefallen.
Jetzt muss sich die CSU im Landkreis Günzburg, die mit der sogenannten Maskenaffäre im Zentrum eines deutschlandweit politischen Erdbebens steht, völlig neu aufstellen. Denn Alfred Sauter wird den Vorsitz, den er seit dem Jahr 1996 innehatte, nicht länger ausüben. Am Freitag hatte der Landtagsabgeordnete erklärt, dieses Amt auf Kreisebene ruhen zu lassen. Am Sonntag nun gab er in einer schriftlichen Stellungnahme bekannt, das Amt niederzulegen. Zuvor war ihm unter anderem vom CSU-Parteivorsitzenden Markus Söder nahe gelegt worden, diesen Schritt zu tun. Auch den Posten des Vorsitzenden der CSUFinanzkommission gibt Sauter ab – und verliert damit Sitz und Stimme im Präsidium und im Vorstand seiner Partei.
Das waren die Vorzeichen, unter denen Schwarz am Samstag die Kreisvertreterversammlung eröffnete. Gewählt werden musste doch – unter anderem die 61 Delegierten, die am 29. April in Weißenhorn den CSU-Kandidaten mitbestimmen, der für den Bundeswahlkreis NeuUlm (dazu zählen die Landkreise Neu-Ulm, Günzburg und Teile des Unterallgäus) ins Rennen geht.
Der Sauter-Abschied dürfte die CSU im Landkreis noch härter treffen, als die überraschende Kandidatensuche für den inzwischen parteilosen Georg Nüßlein. Der galt natürlich als gesetzt. Doch gegen den 51 Jahre alten Politiker aus Münsterhausen wird unter anderem wegen Bestechlichkeit ermittelt, weil er Provision für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken an verschiedene Ministerien erhalten haben soll: 660.000 Euro. Am 25. Februar wurde die Immunität des damaligen Vize der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion aufgehoben. Am selben Tag sind unter anderem sein Abgeordnetenbüro, sein Haus in Münsterhausen und die Geschäftsstelle des CSU-Kreisverbands in Günzburg durchsucht worden. Aus der Unionsfraktion trat er am 7. März aus, aus der CSU einen Tag später.
Strafrechtlich muss das alles noch bewertet werden. Moralisch ist das Urteil bereits gesprochen – unter anderem vom ersten Mann im Staat, Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier, der diese Masken-Geschäfte als „schäbig“und schändlich“bezeichnete und als „Gift für die Demokratie“.
Georg Schwarz versuchte am Samstag erst gar nicht zu verbergen, wie angefasst er von diesen Vorgängen ist. Fast auf den Tag genau vor 31 Jahren rief der damalige Europastaatssekretär Sauter den damaligen Lehrbeamten der Deutschen Bundespost, Schwarz, an und gewann ihn für die Politik als Bundeswahlkreis-Geschäftsführer der CSU. Später wurde Schwarz persönlicher Referent des Bezirkstagspräsidenten Georg Simnacher, danach Bürgermeister von Neuburg an der Kammel und dann von Thannhausen. „Sie sehen mich heute hier am Rednerpult stehen – verunsichert, voller Emotionen und im Kern im
mer noch fassungslos über das Geschehen, das in den letzten Tagen und Wochen über unseren Kreisverband hereingebrochen ist“, sagte er vor den Delegierten in der Stadthalle. Der dienstälteste stellvertretende Kreisvorsitzende, der von seinen Kollegen gebeten worden war, die Versammlung zu leiten („Ich darf Ihnen versichern, dass ich mich nicht darum gerissen habe“) vollzog in seiner Ansprache einen VerbalSpagat und forderte zum Abwägen auf: „Täglich neue heftige Schlagzeilen haben bei uns und bei vielen CSU-Mitgliedern das Vertrauen auf eine äußerst harte Probe gestellt. Natürlich haben wir von Georg Nüßlein und Alfred Sauter eine zeitnahe lückenlose Aufklärung aller Vorwürfe mit allen Fakten auf dem Tisch gefordert. Der Schock war
groß und das Unverständnis in uns ist bis heute nicht gewichen. In unserer Beurteilung sollten wir alle aber eines nicht vergessen – und da will ich jetzt absolut nichts schönreden: Vergessen wir in unserem vermeintlich berechtigten Ärger bitte auch nicht, was Alfred Sauter über Jahrzehnte hinweg für unseren Landkreis und seine Kommunen geleistet hat. Meine Bürgermeisterkollegen und die Kreis- und Gemeinderäte, aber auch viele Bürgerinnen und Bürger aus dem Landkreis wissen, dass Alfred zugunsten unserer Gemeinden oftmals das Unmögliche möglich gemacht hat. Besser als er konnte und kann man einen Wahlkreis nicht betreuen. Ich betone nochmals: Ich möchte nichts schönreden, aber lassen Sie uns in unser berechtigtes Unverständnis nicht nur das Negative, sondern auch das Positive einbeziehen.“
Das, was Georg Schwarz beschrieb, ist das Dilemma, in dem die CSU im Kreis Günzburg steckt: Da ist das Lebenswerk des bis dahin äußerst einflussreichen Landtagsabgeordneten Sauter, der seinen Lebensmittelpunkt zwar in München hat, der aber viel für seine Heimatregion – Sauter wurde vor über 70 Jahren in Oxenbronn geboren – in der Vergangenheit bewegte. Und da ist die Nüßlein/Sauter-Maskenaffäre, die viele politische Weggefährten vor den Kopf stößt.
Bislang haben in den vergangenen drei Wochen zwölf CSU-Mitglieder im Landkreis Günzburg Konsequenzen aus dem Fehlverhalten zweier Galionsfiguren gezogen und ihren Austritt aus der Partei erklärt – das ist etwa ein Prozent der gesamten Mitgliederzahl.
128 der 138 eingeladenen Delegierten sind am Samstag nach Günzburg gekommen, was die CSU angesichts steigender Corona-Inzidenzwerte und der Maskenaffäre als hervorragende Beteiligung wertet. 61 von ihnen küren in gut einem Monat den CSU-Direktkandidaten für die Bundestagswahl. Namen werden gehandelt, aber noch nicht genannt. Dem Vernehmen nach sollen sich im Landkreis Neu-Ulm sieben Personen eine Bewerbung zutrauen, im Landkreis Günzburg sind es ähnlich viele. Bereit stehen vor allem CSUPolitiker aus dem Landkreissüden. Wer nicht mehr zur Verfügung steht, ist Leipheims Bürgermeister Christian Konrad, der – wie unsere Redaktion erfahren hat – ursprünglich Interesse gezeigt hatte, aber inzwischen wieder zurückgezogen hat. Konrad hält es für zunehmend schwierig, das Direktmandat überhaupt noch zu erringen.
Geeignete Bewerber wollen nicht oder nicht mehr. Andere, die sich für fähig halten, passen vielleicht nicht ins Anforderungsprofil. Über all das wollten sich am Sonntag die CSU-Kreisvorsitzenden Thorsten Freudenberger (Neu-Ulm), Franz Pschierer (Unterallgäu) und der Günzburger CSU-Vize Georg Schwarz unterhalten. Treffpunkt sollte im Unterallgäu sein. Bereits zuvor hatten sich die CSU-Politiker gegenseitig versichert, dass regionale Aspekte angesichts dieser Situation nicht ausschlaggebend sein dürfen. Am Abend gab’s für Schwarz ein weiteres Meeting – diesmal virtuell: Sauter stand ihm und allen Mitgliedern des Kreisvorstands, den Ortsverbandsvorsitzenden, den Kreisräten und den eingeladenen Delegierten vom Wochenende Rede und Antwort – etwa 200 Personen dürften es gewesen sein. Eine Diskussion, die im Forum am Hofgarten unter Corona-Bedingungen am Samstag nicht zu führen war, daher blieb Sauter auch fern.