Mittelschwaebische Nachrichten
Riss in der heilen NoppensteinWelt
Um sein Geschäft zu schützen, zieht Lego vor Gericht und mahnt Händler und Influencer ab. Das sorgt nicht nur für miese Stimmung
Augsburg Viele Kinder und Erwachsene lieben sie: kleine, farbige Noppensteine aus Plastik. Aber, wenn man in Socken auf sie tritt, können sie heftige Schmerzen verursachen. Die Rede ist von Legosteinen. Allerdings: Vielleicht sind es gar keine Legos, sondern Klemmbausteine anderer Marken. Seit einigen Jahren drängen chinesische Hersteller wie Xingbao oder Cada mit günstigen Preisen auf den europäischen Spielwarenmarkt, was Marktführer Lego unter Zugzwang bringt.
Am heutigen Mittwoch fällt das Gericht der EU in erster Instanz ein Urteil. Lego hatte das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) verklagt, weil es 2019 einer Beschwerde eines Importeurs stattgeben hatte und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, also den eingetragenen Designschutz für einen Spezial-Baustein löschte.
Konkret handelt es sich um eine Baustein-Platte mit einer Breite von drei Noppen und einer Tiefe von vier Noppen – an den Seiten glatt, in der Mitte oben zusätzlich vier Noppen. Sie gehört zu den eher seltenen Teilen. Lego möchte nicht, dass auch andere Hersteller die Platte produzieren, da das Lego-Sets mit diesem seltenen Stück für Sammler unattraktiver macht.
Nur die wenigsten dürften wissen: Lego hat den klassischen Klemmbaustein gar nicht erfunden. Der Konzern aus Dänemark wurde 1932 gegründet, damals noch ein Familienunternehmen mit dem Fokus auf Holzspielzeug. Erst 1949 produzierte Lego die bekannten Bausteine. Ein britisches Unternehmen hatte schon in den 30er Jahren die Plastiksteinchen entwickelt. Weil nur ein Patent in Großbritannien vorlag, übernahm Lego das Design und machte es sich zunutze.
Weil Legos eigene Patente auf viele Steine ausgelaufen sind, können andere Hersteller diese legal nachahmen. Die Dänen können sich nur auf ihr Markenrecht und den Designschutz berufen. Juristisch geht Lego dabei teils rigoros vor. Sie verklagen andere Hersteller, mahnen Spielwarenhändler ab.
Da ist Thomas Panke alias „Held der Steine“, ein bekannter Youtuber. Er musste sein Logo ändern, weil ein Klemmbaustein zu erkennen war. Ein Verstoß gegen das Markenrecht. Der „Held“machte die Abmahnung öffentlich – große Verärgerung in der Community über Lego. Seitdem stellt Panke in seinen Videos nicht mehr exklusiv Legosets vor, sondern vermehrt Klemmbausteine anderer Hersteller. Die Videos werden millionenfach geklickt. Kürzlich mahnte
Lego den „Helden“erneut ab, weil er das Wort „Lego“für andere Klemmbausteine verwendete. Ein nächster Shitstorm zog auf.
Wie es ist, wenn ein Weltkonzern die Muskeln spielen lässt, hat der Paderborner Spielwarenhändler und Youtuber Thorsten Klahold (Kanal „Johnny’s World“) erfahren. Er hatte einen Überseecontainer mit über 13000 Sets chinesischer Hersteller bestellt. Doch auf Antrag Legos hat der deutsche Zoll vor zwei Wochen den Container zurückgehalten. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Urheberrecht. Die mögliche
Folge: Vernichtung aller Waren. Klahold legte Einspruch ein und wandte sich an seine Fans: Viel Zuspruch und Reichweite für den Youtuber und wieder ein Shitstorm für Lego waren die Folge.
Wie Klahold unserer Redaktion erzählt, habe der Zoll ihm nun etwa 11000 Sets ausgehändigt. Bei ihnen lag keine Rechtsverletzung vor. Aber auch bei den übrigen Sets sieht Klahold keinen Verstoß. „2338 sind noch nicht freigegeben, weil Lego eine Fristverlängerung beantragt hat.“Der Konzern muss nun bis zum 29. März beweisen, dass die
Sets anderer Hersteller illegal sind. Es geht um die Frage, ob die Figuren in den Sets abgekupfert sind und den im Design geschützten LegoMinifiguren gleichen. Klahold hält dagegen und sagt: „Köpfe und Rumpf schauen ganz anders aus. Arme und Beine sollten Figuren haben dürfen.“
Die Pressestelle von Lego äußert sich auf Anfrage nicht zu laufenden Rechtsverfahren, auch nicht zur heutigen Urteilsverkündung des Gerichts der Europäischen Union. Lena Maute, Expertin für geistiges Eigentum an der Universität Augsburg, hält es allerdings für wahrscheinlich, dass Lego den Designschutz verlieren könnte. „Die Gerichte haben in ihren Urteilen bisher argumentiert, dass die Form von Legosteinen durch deren technische Funktion bedingt ist.“Das stehe dem Marken- und Designschutz entgegen, sagt Maute.
Anders ist die Situation bei der Wortmarke „Lego“. Hier müsse Lego sogar gegen mutmaßliche Verstöße vorgehen, um zu verhindern, dass die Marke verwässert und schließlich zu einer Gattungsbezeichnung wird, erklärt die JuraProfessorin. Heißt: Lego verklagt Mitbewerber oder mahnt sie ab, um die eigene Geschäftsgrundlage zu sichern. „Bei den Youtubern und Influencern ist Lego in einer Zwickmühle“,
sagt Maute. Lego müsse sie bei Verstößen abmahnen, wohl wissend, dass sie mit ihrer Reichweite ganz anders zurückschlagen werden, als zum Beispiel ein Produktpirat, der nur die Verpackung ändert.
Der nächste Streit ist schon vorprogrammiert. Youtuber Klahold hat die Aktion „Bricks4theKids“gestartet und damit viel Aufmerksamkeit erregt. Bisher sammelte er fast eine halbe Million Euro Spenden, um von dem Geld Lego-Alternativen in China zu bestellen und später an deutsche Kinderheime zu verteilen. Ein oft geäußerter Vorwurf in der Klemmbaustein-Community: Legosets können sich nur noch Besserverdiener leisten, Kinder seien nicht mehr Zielgruppe, so die Behauptung. Klahold sagt, er werde in dieser Sache auf Lego zugehen, damit die KlemmbausteinSets, die für die Kinderheime vorgesehen sind, nicht auch vom Zoll zurückgehalten werden.
Ungeachtet solcher Streitereien gibt der Erfolg Lego recht. Nach Konzernangaben hat Lego 2020 einen Umsatz von 5,9 Milliarden Euro gemacht – ein Gewinn-Plus von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Spielwarenmarkt in der Pandemie boomt.
Durchaus nachvollziehbar, dass auch andere Klemmbaustein-Hersteller mitspielen wollen.