Mittelschwaebische Nachrichten

Den ersten Stresstest bestanden

Das 3:0 gegen Island beruhigt die Stimmung rund um die Nationalma­nnschaft. Das brillante Mittelfeld­trio wirft allerdings ein Luxusprobl­em auf

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Leon Goretzka/Ilkay Gündogan/Joshua Kimmich deutete an, dass es höchsten internatio­nalen Ansprüchen entspreche­n könnte. „Das ist schon ein Pfund von uns“, lobte Löw. Ein Pfund allerdings, das Löw kurzzeitig ratlos wirken ließ. Denn die große Konstante des deutschen Mittelfeld­s stand diesmal gar nicht auf dem Feld. Toni Kroos muss auf den Länderspie­l-Dreierpack verletzung­sbedingt verzichten. Weil aber die Gestaltung des Spiels auch ohne sein Wirken recht frisch daherkam, sollte Löw die Frage beantworte­n, wo denn nun noch Platz für den Madrilenen sei. Der Bundestrai­ner stutzt kurz und fragte dann: „Warum sollte Toni Kroos um seinen Platz fürchten?“Man hätte antworten können, dass der 31-Jährige im vergangene­n Jahr nicht zwingend im Nationaldr­ess überzeugt hat. Dass er sich dem 0:6 in Spanien ebenso wehrlos fügte, wie der Rest Mannschaft – allerdings als Führungssp­ieler. Dass es ihm gegenüber Goretzka und Kimmich an Aggressivi­tät sowie Geschwindi­gkeit fehlt und Gündogan mittlerwei­le das Toreschieß­en für sich entdeckt hat.

Löw aber sieht in Kroos immer noch den herausrage­nden Strategen seiner Mannschaft. Alleine steht er mit dieser Meinung nun auch nicht, er teilt sie unter anderem mit Zinedine Zidane, der Kroos während der täglichen Arbeit in Madrid betreut. Noch kann Löw gelassen, vielleicht sogar mit Freude, auf dieses Problem schauen. Im vergangene­n Jahr sah es nicht zwingend danach aus, als könnte es in der deutschen

Mannschaft ein Überangebo­t fähiger Mittelfeld­macher geben. „Da kann sich schnell viel tun und während der EM brauchen wir sowieso mehr als elf Spieler“, schob Löw das Thema schließlic­h beiseite.

Außerdem erklärte er, vor dem Turnier nochmals darüber nachzudenk­en, Kimmich vielleicht doch als Rechtsvert­eidiger auflaufen zu lassen. Gegen Island konnte dort Lukas Klosterman­n nicht komplett überzeugen. Ansonsten aber zeigte sich die Mannschaft energisch und spielstark wie schon lange nicht mehr, auch wenn der Bundestrai­ner mit der zweiten Halbzeit nicht mehr komplett zufrieden war. Zu viele Rückpässe, zu wenige Torchancen – Luxusprobl­eme angesichts des nie gefährdete­n Erfolgs, für den hauptsächl­ich die Spieler des FC Bayern verantwort­lich waren. Goretzka und Kimmich lenkten, Serge Gnabry und Leroy Sané wirbelten. Schließlic­h durfte auch noch Jamal Musiala sein Länderspie­ldebüt feiern.

Selbstvers­tändlich kam der Spielverla­uf dem deutschen Vorhaben entgegen, einen klaren Sieg zu feiern. Allerdings investiert­e die

Mannschaft auch entspreche­nd viel, um durch Goretzka (3.) und Kai Havertz (7.) früh 2:0 in Führung zu gehen. „Klasse herausgesp­ielt“attestiert­e Löw den beiden Treffern. Das Team habe aber auch gewusst, „dass wir unter besonderer Beobachtun­g stehen“. Das zeigte sich auch bei der Einschaltq­uote. Im Schnitt 6,78 Millionen Zuschauer verfolgten das Spiel auf RTL. Für den Sender eine klare Steigerung im Vergleich zu seiner letzten Länderspie­l-Übertragun­g. Beim 1:0-Sieg des DFB-Teams gegen Tschechien am 11. November 2020 hatten im Schnitt nur 5,42 Millionen Interessie­rte eingeschal­tet am Bildschirm. Das 0:6 gegen Spanien hatten am 17. November 7,34 Millionen Menschen in der ARD verfolgt. Die öffentlich-rechtliche­n Sender haben aber von jeher höhere Einschaltq­uoten.

Neben dem Interesse für den ersten Auftritt von Uli Hoeneß als Experte (siehe Artikel unten), spielte

Löws Rücktritt sorgt für Quotenspru­ng

selbstvers­tändlich auch der angekündig­te Rücktritt von Löw eine Rolle für den Quotenspru­ng. Seine Mannschaft zeigte schnell, dass sie tatsächlic­h gewillt ist, ihm den Rest seiner Amtszeit so angenehm wie möglich zu gestalten.

Allerdings sind die Gegner bis zum Start der EM nicht dazu angetan, ernsthafte Erkenntnis­se zur Wettbewerb­sfähigkeit dieses Teams zu erlangen. Am Sonntag spielen die Deutschen in Rumänien (20.45 Uhr, RTL), kommenden Mittwoch gegen Nordmazedo­nien. Im abschließe­nden Testspiel vor der EM stellt sich Lettland als Sparringsp­artner zur Verfügung. Allesamt keine Gegner, die auf den ersten Gegner des Turniers vorbereite­n: Weltmeiste­r Frankreich.

Deutschlan­d

Neuer – Klosterman­n, Gin‰ ter, Rüdiger, Can – Goretzka (71. Neu‰ haus), Kimmich, Gündogan – Havertz (79. Musiala), Gnabry (86. Younes), Sané (79. Werner) 1:0 Goretzka (3.), 2:0 Ha‰ vertz (7.), 3:0 Gündogan (56.)

Srdjan Jovanovic (Serbien)

richter Tore Schieds‰

nicht für die Handlungen ihrer Bosse verantwort­lich. Dem Schuhverkä­ufer wird auch nicht vorgeworfe­n, sein Geld mit von Kindern gefertigte­n Waren zu verdienen.

Berufsspor­tler haben nicht den Auftrag, die Welt gerechter zu machen. Selbstvers­tändlich aber sind sie auch Mitglieder der Zivilgesel­lschaft und als solche sind sie für Menschenre­chte eingetrete­n. Das ist mehr, als Generation­en vor ihnen geleistet haben, die es sich allzu bequem hinter der Schutzbeha­uptung gemacht haben, Sport habe nichts mit Politik zu tun. Selbstvers­tändlich können Athleten Veränderun­gen anstoßen. Von ihnen aber zu verlangen, das Ziel ihrer jahrelange­n Arbeit sausen zu lassen, ist unverhältn­ismäßig.

Die Weltpoliti­k hatte lange die Möglichkei­t, auf Katar einzuwirke­n. Der kompletten Gesellscha­ft steht es offen, für Menschenre­chte einzustehe­n. Solange es aber kein Problem darstellt, Billig-Shirts aus Bangladesc­h zu kaufen oder Kaffeebaue­rn mit Dumpingpre­isen zu ruinieren, darf von Sportlern nicht mehr erwartet werden, als man selbst zu leisten im Stande ist.

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Foto: Tobias Schwarz, dpa Joachim Löw war weitestgeh­end mit dem Spiel seiner Mannschaft zufrieden. Allzu viele Rückschlüs­se lässt ein Sieg gegen eine überforder­te isländisch­e Elf allerdings nicht zu.

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