Mittelschwaebische Nachrichten

Kaiser, Bauern und Botschafte­n für die Ewigkeit

Die Tagung „Die Habsburger in Schwaben“bietet 500 Jahre Heimatkund­e pur. Ein „Sensations­fund“im Günzburger Schloss lässt das Fachpublik­um aufhorchen. Reicht das, um neue Begeisteru­ng zu wecken?

- VON JAN KUBICA

Der Wochenmark­t ist schon am Mittwoch

Weil für Gründonner­stag, 1. April, ein Ruhetag verkündet worden war, hat die Stadt Leipheim beschlosse­n, den Wochenmark­t auf Mittwoch, 31. März, vorzuverle­gen. Dabei bleibt es, obwohl die Regierung den Ruhetag abgesagt hat. Nicole Schneider von der Stadt Leipheim freut sich, dass auch am vorgezogen­en Termin alle Standbetre­iber von 7.30 bis 12.30 Uhr ihre Waren anbieten.

Landkreis

Wer Geschichte allein als die Summe dessen wahrnimmt, was einmal war, wird sich vermutlich nicht lange oder gar intensiv damit beschäftig­en. Wirklich interessan­t und greifbar werden Ereignisse von Gestern schließlic­h erst, wenn sie sich in ein jeweiliges Heute übersetzen und darin auf ihren Gehalt abklopfen lassen. So gesehen, servierte die von Günzburgs Stadtarchi­var Dr. Raphael Gerhardt initiierte wissenscha­ftliche Tagung „Die Habsburger in Schwaben“den in der Spitze 120 Teilnehmer­n neue Erkenntnis­se und Forschungs­ansätze. Und es waren mehr als Kleinigkei­ten, die der penible Blick auf 500 Jahre Heimatgesc­hichte bereithiel­t.

Einen Höhepunkt der zwei Tage füllenden Veranstalt­ung markierten die Ausführung­en von Dr.-Ing. Bernhard Niethammer. Der Leiter des Schwäbisch­en Bauernhofm­useums Illerbeure­n referierte über neue bauforsche­rische Erkenntnis­se zum Günzburger Schloss. Zupass kam ihm seine Gabe, einen Vortragsdr­eiklang aus unbedingte­r Aktualität, umfangreic­hem Bildmateri­al und allgemein verständli­chen Formulieru­ngen herzustell­en. Dabei schien das Unternehme­n bereits an den besonderen Gegebenhei­ten des virtuellen Tagungsrau­ms zu scheitern, noch ehe es begonnen hatte. Doch die Tücken der Technik wurden beseitigt und falls tatsächlic­h ein Zuhörer etwas träge vom Mittagesse­n an den Bildschirm zurückgeke­hrt war, wurde er allerspäte­stens hellwach, als Niethammer im Zusammenha­ng mit einer Entdeckung im dritten Obergescho­ss dieses einzigen Habsburger-Schlosses in Deutschlan­d das Wort „Sensation“in seine Rede einfließen ließ. In einem vor gut 200 Jahren zerstörten und nun wiederentd­eckten Festsaal traten nämlich enorm aufwendige Wandmalere­ien zutage – ein Fund, der laut Niethammer „das Bild der ganzen Anlage neu deutet“.

Überhaupt brachten die jüngsten Forschunge­n vor allem am ältesten, ursprüngli­ch spätgotisc­hen und in den Jahren nach 1450 von Ritter Hans von Stain errichtete­n Teil des Schlosses eine „Fülle an Befunden, die den bisherigen Forschungs­stand zur komplexen Bau- und Nutzungsge­schichte als überholt erscheinen lassen“, wie der Referent ausführte. Im Resultat lassen demnach erst diese neuen Arbeiten „eine weitgehend abgesicher­te Rekonstruk­tion der frühen Bauzuständ­e“zu.

Im Lauf der Tagung wurde immer wieder augenfälli­g, dass „das

unserer Stadt immer im Zusammenha­ng mit europäisch­en Verbindung­en“stand und gleichzeit­ig die Habsburger-Herrschaft „für Günzburg eine unheimlich wichtige und prägende Epoche“war, wie Oberbürger­meister Gerhard Jauernig bereits in seinem Grußwort formuliert­e. Die von Raphael Gerhardt in Zusammenar­beit mit dem Bezirk Schwaben, dem Historisch­en Verein für Schwaben und dem Historisch­en Verein Günzburg ausgetüfte­lte Abfolge der Vorträge war in sich logisch; die Teilnehmer konnten in vielen Phasen auch ohne vorab erworbenes Spezialwis­sen auf soeben Gehörtes zurückgrei­fen.

Besonders augenfälli­g wurde dies in einem Komplex, der sich mit dem Deutschen Bauernkrie­g und der Konfession­spolitik des Herrscherh­auses, im Kern also mit der Zeit von 1520 bis 1620 beschäftig­te. Denn natürlich erreichten damals die Thesen der Reformatio­nsakteure Martin Luther und Philipp Melanchtho­n auch das habsburgis­che und damit katholisch­e Schwaben. Die vorderöste­rreichisch­en Lande allerdings waren im Gegensatz zu anderen europäisch­en Territorie­n „ein äußerst heterogene­s und schwer zu beschreibe­ndes Gebilde“, wie Prof. Dr. Dietmar Schiersner in seinem Beitrag erwähnte. Das begünstigt­e politische Dynamik, zumal sich viele Reichsstäd­te im Südwesten Deutschlan­ds bereits empfänglic­h für die neue Art des Glaubens zeigten.

In Leipheim predigte Hans Jakob Wehe 1524 die protestant­ische Lehre. In Memmingen fassten Vertreter aufständis­cher Bauern 1525 ihre Forderunge­n in die „Zwölf Artikel“. Darin enthalten sind unter anderem ein Recht auf freie Wahl der Pfarrer, der Zutritt zu freier Jagd und Fischerei sowie die Aufhebung der Leibeigens­chaft. Die „Zwölf Artikel“zählen nach heutiger Auffassung übrigens zu den frühesten Versuchen, allgemeine Menschenre­chte in Europa zu formuliere­n. Dass die kessen Töne der Obrigkeit missfielen, versteht sich von selbst. Es kam zum Deutschen Bauernkrie­g, dessen erste militärisc­he Auseinande­rsetzung die Schlacht bei Leipheim 1525 war. Zwischen Biber und Donau erlitt der aus Bauern der Markgrafsc­haft zusammenge­setzte „Leipheimer Haufen“eine verheerend­e Niederlage. Wehe wurde kurz danach hingericht­et.

Exakt an diesem Wimpernsch­lag der Geschichte wendete sich der in Kleinkötz geborene und längst fernab lebende Johann Eberlin an seine Landsleute. Mit seiner „Warnung an die Christen der Burgauisch­en Mark“veröffentl­ichte er 1526 eine Schrift, die sich als mäßigend und damit ungemein wirkmächti­g erweisen sollte. Darin bat er seine Nachbarn, Mitbürger und Verwandten, unter allen Umständen den Frieden zu halten – obwohl sie von den Ereignisse­n des Vorjahres so hart getroffen waren. Das Schicksal Wehes, den er an anderer Stelle einst als „Vetter“bezeichnet hatte, erwähnt Eberlin nicht.

Die Ereignisse jener Tage führte Simon Paintner-Frei, Stadtjugen­dpfleger in Ichenhause­n, den Zuhörern pointiert und lebendig vor Augen. Nach seinen Ausführung­en war Eberlin zunächst in den Franziskan­erorden eingetrete­n, beurteilte die dort gepflegten Rituale später aber äußerst kritisch und begann schließlic­h, im Sinne der Ideen Martin LuSchicksa­l thers zu predigen. In seinen Schriften zeigte er sich stets volksnah – vermutlich, weil er all die Widrigkeit­en des damaligen Bauernlebe­ns seit frühester Jugend aus eigenem Erleben kannte. Er riet nun den Christen in seiner Heimat, sich allein an gute Prediger zu halten und ausschließ­lich zu „fechten mit Gottes Wort und Gebet“. Als Botschaft für die Ewigkeit zu verstehen ist Eberlins Formulieru­ng, „dass Aufruhr ein ganz unfähiges Mittel ist, Frieden zu bekommen.“

Für die kommenden knapp 100 Jahre stand die Region im Zeichen der „Rekatholis­ierung“. Dietmar Schiersner zeigte am Beispiel der feierliche­n Beisetzung von Markgraf Karl von Burgau plastisch auf, welche Auswüchse das Wechselspi­el zwischen konfession­eller Leistungss­chau und Ausnahmech­arakter der Herrschaft annehmen konnte. Vor seinem Tod 1618 hatte Karl verfügt, seine Beisetzung solle eine Art Parade des Katholizis­mus im soeben beginnende­n, letztlich 30 Jahre währenden und ganz Europa verheerend­en Krieg darstellen. Mindestens 54 Geistliche befanden sich laut Schiersner im pompös organisier­ten und mit vielen damaligen VIPs bestückten Leichenzug. Es war eine Demonstrat­ion der katholisch­en Gesinnung dieses prominente­sten Bewohners des Günzburger Schlosses und der ganzen Markgrafsc­haft.

Es spricht für den Ideenreich­tum des Initiators, dass die Tagung nicht im Staub des Gestern und Vorgestern versank. Raphael Gerhardt selbst sprach kurzweilig über den Umgang mit der habsburgis­chen Vergangenh­eit in Günzburg vom 19. Jahrhunder­t bis zur Gegenwart. Der Referent, seit 2018 Leiter des

Museums und Archivs der Großen Kreisstadt, verwies zunächst auf die unmittelba­ren Nachwirkun­gen der Habsburger Herrschaft seit dem Übergang der Region an Bayern 1806. Über Jahrzehnte verstanden die Günzburger die Residenz des Markgrafen Karl (1610 bis 1618) und die Herrschaft unter Maria Theresia und Joseph II. (etwa 1750 bis 1790) als Blütezeit der Stadt. Bayern blieb ihnen lange fremd. Eigentlich erst nach dem Ersten Weltkrieg, unter inzwischen völlig veränderte­n politische­n Vorzeichen, bildeten die Habsburger kein Objekt für eine positive Erinnerung­skultur mehr. Die lebte erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf und knüpfte sich in den 1950er-Jahren vor allem an neue Straßenben­ennungen. Die steinernen Zeugen der Habsburger-Dynastie dagegen rückten erst in den 1970er-Jahren in den Vordergrun­d. Als Glücksfall erwies sich, dass ausgerechn­et ein Zugezogene­r, Oberbürger­meister Rudolf Köppler, dieses Kapital der Stadt deutlicher erkannte als viele Alteingese­ssene. Heute wird die habsburgis­che Geschichte Günzburgs zusammen mit dem Slogan „Klein-Wien“als Besonderhe­it vermarktet.

So positiv einzelne Tagungsbei­träge herausstac­hen: Es waren auch einige Längen im Spiel. Was eher beobachten­d als wirklich kritisch gemeint ist und sich auch daraus erklärt, dass die 120 Teilnehmer über zwei Veranstalt­ungstage insgesamt 16 Vorträgen nebst diversen Diskussion­srunden folgten. Eine Welle an Wissen wurde da vermittelt. Trotzdem ist festzuhalt­en, dass nicht jeder Vortragend­e die zugestande­ner Maßen höchst seltene Gabe besaß, Geschichte unterhalts­am zu präsentier­en. Dem Fachpublik­um mag das nichts anhaben, doch dem lernbegier­igen Laien forderte die Aufgabe, zwei volle Tage konzentrie­rt zu lauschen, eine Portion Selbstüber­windung ab.

Sollte es ein Ziel der Veranstalt­ung gewesen sein, neue Begeisteru­ng für die vormoderne Geschichte der schwäbisch­en Heimat zu erzeugen, blieb es also vermutlich unerreicht. Umso schwerer dürfte es werden, die geplante Buchveröff­entlichung zur Tagung daraufhin auszuricht­en, Lese-Interesse auch außerhalb rein wissenscha­ftlicher Beschäftig­ung mit dem Thema zu wecken. Und das wäre schade, denn was vor Jahrhunder­ten in der Region geschah, ist ja tatsächlic­h überaus spannend zu erfahren. Zumal das Gestern jedem die Hand reicht, der das Heute begreifen möchte.

 ?? Foto: Peter Bauer ?? Rudolf von Habsburg‰Darstellun­g, 1752 gemalt von Franz Martin Kuen, Deckenfres­co in der Krumbacher Kirche St. Michael. Rudolf war von 1273 bis 1291 römisch‰deutscher König. Das Haus Habsburg hat die hei‰ mische Region über viele Jahrhunder­te, von 1301 bis 1805, beherrscht. Kuens Bild ist auch eine Huldigung an das Haus Habsburg.
Foto: Peter Bauer Rudolf von Habsburg‰Darstellun­g, 1752 gemalt von Franz Martin Kuen, Deckenfres­co in der Krumbacher Kirche St. Michael. Rudolf war von 1273 bis 1291 römisch‰deutscher König. Das Haus Habsburg hat die hei‰ mische Region über viele Jahrhunder­te, von 1301 bis 1805, beherrscht. Kuens Bild ist auch eine Huldigung an das Haus Habsburg.
 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Diese Stuckdecke schmückte einst das Postamt der Habsburger in der Unterstadt. Vor dem Abriss des Gebäudes sicherten Handwerker und Historiker 1970 das Decken‰ kunstwerk und trugen es in Segmenten ab. Im Heimatmuse­um wurde die Decke 1987 restaurier­t.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Diese Stuckdecke schmückte einst das Postamt der Habsburger in der Unterstadt. Vor dem Abriss des Gebäudes sicherten Handwerker und Historiker 1970 das Decken‰ kunstwerk und trugen es in Segmenten ab. Im Heimatmuse­um wurde die Decke 1987 restaurier­t.
 ?? Foto: Philipp Röger ?? Das Günzburger Schloss wurde mehrfach erbaut und zerstört. Der Gebäudetei­l im Vordergrun­d birgt die spätgotisc­hen Ur‰ sprünge.
Foto: Philipp Röger Das Günzburger Schloss wurde mehrfach erbaut und zerstört. Der Gebäudetei­l im Vordergrun­d birgt die spätgotisc­hen Ur‰ sprünge.

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