Mittelschwaebische Nachrichten
Die Frage der Woche Sich für Urlaub schämen?
Da steigen sie also wieder in den Ferienflieger, um ein paar sonnige Frühlingstage auf Malle zu genießen. Raus aus der deutschen Corona-Tristesse und endlich wieder ein bisschen unbekümmerter leben. Haben wir uns doch alle verdient. Oder? Sicherlich. Wen kotzt nicht die x-te Verlängerung des Lockdowns an? Und nicht wenige von uns mussten in den vergangenen Monaten echt hinlangen – sei es im Pflegedienst eines Krankenhauses oder Altenheimes, an der Supermarktkasse oder als Paketfahrer. Ihnen allen sei ein Urlaub von Herzen gegönnt. Bloß: Muss es so weit weg sein?
Es hat sich doch herumgesprochen, dass nicht wenige Covid-19-Infektionen von Auslandsreisen eingeschleppt worden sind. Wenn in Madrid und Barcelona die Inzidenz durch die Decke geht, wird es die Inseln früher oder später auch treffen. Das Virus hat leider die Eigenschaft, für uns unsichtbar sein Unwesen zu treiben. Als Urlaubsfracht kann es nach Deutschland reisen und zwischendurch noch ein paar Mitreisende im Flieger angreifen. Riskant ist der Ferienhopser allemal – für einen selbst und leider auch für andere.
Schlechte Stimmung unter den Zuhausegebliebenen macht er auf jeden Fall. Wenn uns die Neidhammel gestohlen bleiben, dann doch die nicht, die für sich ernstlich besorgt sind, zurzeit mit Touristen in Kontakt zu kommen. Ihnen zuliebe sollten wir im Moment noch auf die Ferien fernab verzichten. Und auch denen zuliebe, die fröhliche Urlaubsheimkehrer als riesige Provokation empfinden, weil sie selbst seit Monaten nichts mehr verdienen. Unsere Gesellschaft nähert sich gerade einem Punkt, wo die Befindlichkeit gefährlich kippen könnte. Gereiztheit und Aggressivität nehmen spürbar zu. Und der Zusammenhalt schwindet dahin.
Urlaub ist eine Auszeit vom Alltag. Warum um Himmels Willen sollte man sich dafür schämen? Man kann diese Auszeit sogar – ganz schamlos – auf Mallorca verbringen. Daran ist nichts Verwerfliches. Für Urlaub schämen müsste man sich allerdings, wenn man nach der Rückkehr nicht sofort in ein Corona-Testcenter gehen würde, um zu prüfen, ob man seine Mitmenschen gefährden könnte.
Auch auf Mallorca – um beim Beispiel zu bleiben – gibt es Hygieneregeln. In vielen Urlaubsländern sogar Ausgangssperren.
Viel mehr als ein wenig Sonne tanken, ein Tapetenwechsel mit Meeresrauschen und ein Drink draußen in einer Bar ist doch gar nicht drin. Vielleicht, ohohoh, am Abend noch ein Strandspaziergang. Die meisten Hotels haben gar nicht auf. Einen übervollen Sangria-Strohhalm-Ballermann gibt es nicht.
Aus welchem Grund also sollte jemand, wenn es die Lebensumstände zulassen, nicht nach Mallorca fliegen? Oder nach Istrien oder an die Algarve? Denn auch da kann man derzeit hinfahren, ohne nach der Rückkehr in Quarantäne zu müssen. Darüber spricht nur keiner.
Was wird denn da gerade für eine überhitzte Diskussion geführt, die zuweilen mehr Züge einer Neiddebatte hat? Die Aufregung wäre vielleicht weniger groß, wenn wenigstens ein bisschen Urlaub in diesen Tagen auch in Deutschland möglich wäre. Kreative Möglichkeiten dafür gäbe es viele. Doch irgendwann im Lauf des Pandemie-Jahres haben Politiker und Virologen die Länder der Welt neu nach Inzidenzwerten vermessen – und die dazugehörigen Corona-Verhaltensregeln aufgestellt ... All die Mallorca-, Istrien- oder Algarve-Urlauber tun demzufolge nichts Verbotenes. Für alle anderen gilt: Man muss auch mal gönnen können.