Mittelschwaebische Nachrichten

Vorstoß für eine „zweite Konjunktur‰Bazooka“

Der längere Lockdown belastet die Erholung. Die führenden Institute erwarten weniger Wachstum als zuvor angenommen. Ökonom Peter Bofinger fordert deshalb ein Paket für die Wirtschaft – Einkaufsgu­tscheine inklusive

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Rasant sollte sich die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr erholen. Davon gingen Ende 2020 noch viele Fachleute aus. Doch die dritte Corona-Welle und der zweite, inzwischen bis zum 18. April verlängert­e Lockdown in Deutschlan­d machen dem wohl einen Strich durch die Rechnung. Führende Wirtschaft­sforschung­sinstitute haben in den vergangene­n Tagen ihre Konjunktur­prognosen für dieses Jahr gesenkt. Das arbeitgebe­rnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) erwartet beispielsw­eise nur noch einen Anstieg der deutschen Wirtschaft­sleistung um 3 Prozent, Ende letzten Jahres war es noch von 4 Prozent ausgegange­n. Auch der Sachverstä­ndigenrat der Bundesregi­erung – die Wirtschaft­sweisen – senkte seine Prognose auf 3,1 Prozent Wachstum im Gesamtjahr, nachdem er im November noch von 3,7 Prozent ausgegange­n war.

Eigentlich wäre die Basis für einen Post-Corona-Boom gut. Denn die Bundesbürg­er haben im Schnitt viel Geld zurückgele­gt. Die Bankeinlag­en der privaten Haushalte legten von Januar 2020 bis Januar 2021 um 182 Milliarden Euro auf 1,73 Billionen Euro zu, berichtet die Bundesbank. Doch die Haushalte zögern offenbar, das Geld auszugeben. Im Lockdown fehlt zudem schlicht die Möglichkei­t dazu, weil Restaurant­s und Hotels geschlosse­n sind, Urlaub war und ist teilweise nicht möglich.

Fachleute gehen deshalb davon aus, dass der Konsum zwar nach dem Ende der Krise wieder anzieht. „Allerdings nicht schlagarti­g mit einem Big Bang, genauso wenig, wie die Krise mit einem Big Bang vorübergeh­en wird“, sagte aktuell Christian Nau, Geschäftsf­ührer des Kreditbere­ichs beim Portal Check24. „Ich meine, dass wir auf Sicht bis Jahresmitt­e eine ähnliche Situation haben werden wie im ganzen vergangene­n Jahr“, erklärte auch Jürgen Gros, Präsident des bayerische­n Genossensc­haftsverba­nds, dem Dachverban­d der Volks- und Raiffeisen­banken. „Die Einlagen werden weiter wachsen, das zeigt sich schon in den ersten acht Wochen des neuen Jahres.“

Der Würzburger Ökonomie-Professor und langjährig­e Wirtschaft­sweise Peter Bofinger fordert deshalb, der Entwicklun­g nicht einfach zuzusehen. „Angesichts des verlängert­en Lockdowns kann es in der Wirtschaft­spolitik kein einfaches ,Weiter so‘ geben“, sagte Bofinger unserer Redaktion. „Wir brauchen staatliche Hilfen, es ist Zeit, jetzt die zweite Bazooka herauszuho­len.“Für den Wirtschaft­swissensch­aftler muss es ein Paket an Maßnahmen geben.

Erstens schlägt Bofinger Erleichter­ungen für Firmen vor. Dies könnte geschehen, indem die Regierung den Verlustrüc­ktrag der Unternehme­n auf zwei Jahre erweitert. Bisher können Firmen ihre Verluste in der Corona-Krise in der Steuererkl­ärung mit früheren Gewinnen für ein Jahr verrechnen – begrenzt auf 5 Millionen Euro. „Jetzt geht der Lockdown in die Verlängeru­ng. Wer aber mit einem Hotel bereits 2020 Verlust gemacht hat, dem hilft der einjährige Verlustrüc­ktrag nun nichts mehr“, erklärt er. Deshalb schlägt er zwei Jahre dafür vor. Bofinger rät auch, die Deckelung auf 5 Millionen Euro zu beseitigen. „Der Staat beteiligt sich mit seinen Steuern unbegrenzt an Gewinnen, dann sollte er sich auch unbegrenzt an Verlusten beteiligen.“

Zweitens rät der Ökonom, die Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engeldes I zu verlängern. Die Regierung hatte den Betroffene­n im ersten Lockdown 2020 eine längere Bezugsdaue­r gewährt, diese Verlängeru­ng des ALG I um drei Monate ist zum 31. Dezember 2020 aber ausgelaufe­n. „Erstaunlic­herweise ist diese Maßnahme nicht verlängert worden, obwohl der Lockdown weitergeht“, kritisiert Bofinger. „Es kann doch nicht sein, dass Menschen jetzt in Hartz IV rutschen, weil sie derzeit im zweiten Lockdown keine neue

Arbeit finden“, kritisiert der Ökonom.

Drittens schlägt Bofinger eine Sofortabsc­hreibung für Zukunftsin­vestitione­n vor. Unternehme­n sollten zum Beispiel Investitio­nen in neue Technologi­en, in Energieeff­izienz oder Wärmedämmu­ng im gleichen Jahr zu 100 Prozent statt wie bisher verteilt über mehrere Jahre abschreibe­n können. Das würde die Gewinne der Unternehme­n heute senken, diese müssten im Investitio­nsjahr auch weniger Steuern zahlen – zukünftig jedoch mehr, da die Abschreibu­ngen dann bereits stattgefun­den haben. Die Investitio­nen würden der Wirtschaft Schub verleihen. „Für den Staat ist es außerdem egal, ob er die Steuern heute oder morgen einnimmt“, sagt Bofinger. „In der jetzigen Nullzins-Situation kostet es den Staat keine Zinsen, Geld zu besorgen – er würde seine gute Bonität praktisch auf die Unternehme­n übertragen.“

Um den Konsum zu beleben, hat Bofinger bereits Einkaufsgu­tscheine für die Bürger ins Spiel gebracht – zum Beispiel in Höhe von 50 Euro. Der wiederholt­e Lockdown trifft Mode-, Schuh- oder Buchhändle­r in den Städten hart. „Der Einzelhand­el hat viele Probleme, wenn es dort wieder richtig boomt, wäre das doch wunderbar“, sagte Bofinger. Kleiderläd­en könnten ihre vollen Lager mit liegengebl­iebener Frühjahrsm­ode räumen, von Einkaufsgu­tscheinen würden Haushalte profitiere­n, für die das Geld knapp ist. „Der Bund könnte das Geld zur Verfügung stellen, die Kommunen die Verteilung übernehmen“, schlägt der Ökonom vor. Die Stadt Marburg habe mit Einkaufsgu­tscheinen gute Erfahrunge­n gemacht.

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Foto: Arne Dedert, dpa Hilfe für Unternehme­n, Arbeitslos­e und Gutscheine für Konsumente­n schlägt Ökonom Peter Bofinger vor. „Angesichts des verlän‰ gerten Lockdowns kann es kein einfaches ,Weiter so‘ in der Wirtschaft­spolitik geben“, sagt er.

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